Alpenreisen

Nachrichten aus einer Zeit, als Alpenwanderer bzw. Alpenreisende noch Zeit hatten, mehr als SMS- oder Whatsapp-Nachrichten und Bildli zu versenden. Die alten Reiseberichte klingen wie Poesie, aber das ist ja auch ein verschwindendes Genre. Leider ist gerade schönes Wetter angesagt, aber sicher wird es irgendwann wieder regnen, so dass wir Zeit finden, in den schönen alten Büchern zu schmökern. Wer sich die Kosten fürs Antiquariat sparen will, findet die Alpenreisen auch auf Google books.

Cover Helvetica EOS

„Die ganze Welt theilte sich in zwei Hälften ein, in eine in zahllosen Dörfern, Städten und Cantonen fröstelnde und die Nebelüberschwemmung beklagende und eine in Sonnenschein und Lichtglanz strahlende und in himmlischer Wärme sich erfreuende. – Jene Welt war mir völlig entzogen, ich sah auch nicht den Rauch eines einzigen Schornsteines. Es war mir, als überschaute ich die Erde zur Zeit der Sündfluth, welche das Nebelmeer auf das Frappanteste nachbildete.“

Schön beobachtet und noch schöner beschrieben, das herbstlich-frühwinterliche Nebelmeer beim Aufstieg von Brienz aufs Brienzer Rothorn. Oder auch so: Der Nebel „war durchaus wie ein ausgespanntes weiβes Tuch, das man an den Kanten für jedes Thal, für jeden Berg zurecht geschnitten und überall knapp angepaβt und eingespannt hatte.“ Autor dieser so präzisen wie poetischen Zeilen ist Johann Georg Kohl. Ja, Kohl wie der Helmut. Aber der Johann Georg? Wohl noch nie gehört. Ich jedenfalls nicht, obwohl mir ja die Reiseliteratur zur Schweiz des 19. Jahrhunderts nicht ein gänzlich unbeschriebenes Blatt ist.

Vor gut einer Woche lag der prächtige neue Helvetica-Katalog des EOS Buchantiquariats Benz von Zürich in meinem Briefkasten. Darin entdeckte ich einige kostbare Bücher, darunter auch drei Bände „Alpenreisen“ von Johann Georg Kohl, erschienen von 1849 bis 1851 in Dresden und Leipzig. Spannend, fand ich, zahlbar ebenfalls. Wikipedia half mir weiter zum Autor. Hier eine Zusammenfassung: Johann Georg Kohl (1808–1878), Sohn eines Weinhändlers in Bremen, studierte Rechtswissenschaft in Göttingen, Heidelberg und München. Nach dem Tod seines Vaters musste er mittellos sein Studium 1830 abbrechen. Er wirkte dann für sechs Jahre als Hauslehrer in Kurland. Nachdem er Sankt Petersburg, Moskau und das südliche Russland bereist hatte, lebte er ab 1838 meistens in Dresden. Von dort aus bereiste er fast alle Länder Europas, von 1853 bis 1858 besuchte er Nordamerika. Immer hielt er seine Reisen in Büchern fest. 1858 kehrte er nach Bremen zurück, 1863 wurde er zum Stadtbibliothekar ernannt.

Cover Alpenreisen

Und dann durfte ich das Paket mit Johann Georg Kohl in Empfang nehmen. Band 1 enthält die Winterfahrten im östlichen Berner Oberland und nach Unterwalden sowie die Frühlingsreise in der Urschweiz, Band 2 die Sommerreise durch die rhätischen Alpen und auf die italienische Seite sowie die Herbstreise nach Savoyen und durch den Jura, Band 3 – etwas weniger interessant – Naturansichten aus den Alpen. Kurz: Eine Fundgrube, und immer noch lesenswert. Ein weiteres Beispiel von der Tour aufs Brienzer Rothorn.  „Als wir von der glatt beeisten Höhe bergabwärts zu steigen uns anschickten, und ich in die Tiefe hinabblickte, wandelte mich wieder ein wunderlich kitzelndes Gefühl von Furcht und Schwindel an. Ich wuβte gar nicht, wie ich die Füβe setzen und wie ich mich drehen sollte. Doch zündete ich mir schnell eine Cigarre an und blies ihren Rauch möglichst gleichmüthig in die Luft, um mir vor meinem Führer den Anschein von Muth zu geben.“

Cover Annuaire CAF

Zum Rauch noch eine kleine Episode aus einer andern Publikation des 19. Jahrhunderts, die ich letzte Woche in einem Buchantiquariat neben der Église Saint-Julien in Arles kaufte. Der 26. Jahrgang des „Annuaire du Club Alpin Français“ enthält den Bericht „Excursion en Gruyère (Suisse) et ascension de la Hochmatt (2155 mèt.)“ von Mme Paul Bouchard, membre du CAF, secrétaire-adjointe de la Section de Haute Bourgogne (so ist der Bericht gezeichnet).  Leider konnte ich bis jetzt den Vornamen der Ehefrau von Monsieur Bouchard nicht herausfinden. Zusammen mit ihrem Bruder und ihrer Schwägerin besteigt sie im Sommer 1898 die Hochmatt. Madame skizziert auch die Begegnungen mit den Sennen, die sie unterwegs treffen und bei denen sie in einer Alphütte übernachten.

„Vos femmes ne montent-elles jamais vous voir?“ demandons-nous aux bergers. – „Non, mais on a sa pipe“, répond très sérieusement le plus vieux.

Johann Georg Kohl: Alpenreisen. Drei Theile. Arnoldische Buchhandlung, Dresden und Leipzig 1849-1851.

Helvetica-Katalog auf http://www.eosbooks.ch  zum Herunterladen als pdf oder zum Bestellen (Fr. 5.-). Die drei Bände von Kohls „Alpenreisen“ sind freilich verkauft…

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