Bergkrimis, 1. Seillänge

Die Zahl neuer Bergkrimis ist immer noch im Aufstieg begriffen. Aber der Absturz droht unablässig, und das hat mit dem Thema und dem möglichen Tatort zu tun. Grundsätzlich gibt’s nämlich drei Möglichkeiten, warum jemand runterfällt: Unfall, Selbstmord – oder Mord.

„Unterdessen hatte er den Weg über das Eis eingeschlagen und ich folgte ihm. Mein Herz war zu voll und ich fand keine Worte, um ihm irgend etwas zu erwidern. Aber während ich ging, erwog ich die verschiedenen Umstände, deren er Erwähnung getan, und beschloß, zum mindesten seine Geschichte anzuhören. Hauptsächlich war es Neugierde, die mir diesen Entschluß eingab, aber auch ein schwaches Gefühl des Mitleids mengte sich hinein. Ich hatte ihn bisher für den Mörder meines Bruders gehalten und war begierig, aus seinen Worten eine Bestätigung oder Widerlegung dieser Ansicht zu vernehmen.“

Der Mörder? Am Berg! Genau. Der Ur-Berg-Krimi sozusagen. Und Weltliteratur. „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ von Mary Shelley. Sie verfasste den Roman 1816/17, er erschien erstmals am 1. Januar 1818. Der Roman erzählt die Geschichte des jungen Schweizers Viktor Frankenstein, der an der damals berühmten Universität Ingolstadt einen künstlichen Menschen erschafft. Und dieser für Unruhe und Untaten, am Salève bei Genf und auf dem Mer de Glace ob Chamonix. Am Berg eben. Ein Ausschnitt aus „Frankenstein“ markiert den Einstieg in die Anthologie „Gefährliche Ferien. Die Alpen“. Allerdings wird darin dem Titel nicht immer Genüge getan. „Eigermönchundjungfrau“ von Alex Capus spielt in Bern, Veit Heinichens Beitrag in Triest. Was dafür eher fehlt, sind alpinistische Texte von heute zu den gefährlichen Alpen: von Emil Zopfi zum Beispiel oder von Volker Klüpfel/Michael Kobr. Immerhin: Jörg Maurer tritt auf, und der von Laura de Weck inszenierte Dialog zwischen der Verkäuferin in einem Sportgeschäft in den Bergen und dem potentiellen Nacktwanderer – nicht Mörder! – ist herzerwärmend.

„Markus Schmitz wurde in der Silvesternacht in Murnau getötet. Wo waren Sie denn in der Silvesternacht?“
„Allein auf dem Zahn.“
„Wo, bitte?“, fragte Kathi.
„Hoch über dem Graswangtal. Der Berg sieht aus wie ein überdimensionaler Backenzahn mit ein bisschen Karies vielleicht.“

Ausschnitt aus dem Verhör, das Kommissarin Kathi Reindl mit der verdächtigen Bettina Gerstner führt, im jüngsten Alpen-Krimi von Nicola Förg: „Rabenschwarze Beute“. Wie schon in den letzten Krimis geht es auch wieder ums Tierwohl bzw. –elend. Um Vögel mit Federn diesmal, die massenhaft an den von Menschen errichteten Konstruktionen verenden. Aber es geht auch um schräge Vögel, die aus Gier und Rache alles daran setzen, dass Mitmenschen nie mehr zu einem Höhenflug oder einer Hochtour ansetzen können.

„Das Trio hatte ebenfalls die Besteigung des Piz Beverin vorgenommen. Frank wäre allerdings jede Wette eingegangen, dass sie niemals den Gipfel erreichten. Die schlagen sich gegenseitig den Schädel ein, bevor sie oben auf dem Heidbüel sind, dachte er verächtlich.“

Und wie! Denn wandern kann ganz schön gefährlich werden. Da kommt das Monster über den Gletscher gerannt, dort wartet der Mörder hinter der nächsten Wegbiegung. Oder die Mörderin. Monster gibt es im Erstlingskrimi „Tod am Piz Beverin“ von Rita Juon nicht, die andern aber schön. Potentielle und wirkliche. Oder rutschte der deutsche Tourist am Beverin einfach aus? Der Weg vom Hoch Büel auf den berühmten Piz jedenfalls ist verdammt abschüssig. Ein kleiner Fehltritt genügt.

„Grundsätzlich gibt’s drei Möglichkeiten, warum jemand runterfällt: Unfall, Selbstmord oder Mord.“

Erklärt Polizist Bär der Privatdetektivin Pallas im Krimi „Alpenfrauen. Fall zwei für die unwiderstehliche April Pallas“ von Daniela Schwenk. Das Cover mit den verschneiten Dauphiné-Alpen, dem Warnschild „Achtung Absturz“ und dem Titel verspricht einen hochspannenden Bergkrimi. Dieser hier ist hauptsächlich in Zweisimmen angesiedelt, und die Gipfel im Simmental sind halt nicht ganz so markant und mörderisch wie Barre des Écrins und Meije. Aber abstürzen ist auch am Niderhorn möglich. Nach einem Fall über eine höhere Wand wird man freilich kaum mehr einen Unterschied der drei oben erwähnten Absturzursachen feststellen können. So viel sei verraten: Es war Mord.

„Der Klettersteig forderte einiges an Geduld und Diskussionen, denn dort waren trotz der frühen Stunde bereits zwei Familien mit Kindern und drei bis an die Zähne ausgerüstete Klettersteig-Anfänger unterwegs.“

Auch in einem Klettersteig kann man runterfallen, wenn auch nicht allzu tief, wenn das Klettersteigset korrekt montiert wurde. Die Verletzungsgefahr allerdings ist mächtig. Das gilt auch bei der Handhabe mit einem Beil, insbesondere dann, wenn es gegen den Kopf geführt wird, wie in „Verraten. Monika Trautners 2. Fall“ von Irmgard Braun. Die Fallhöhe eines Beils musste der bergbegeisterte Oliver Baudel erfahren, bei einem Fest an Tegernsee. Kletterdetektivin Trautner und ihr Enkel Liam ermitteln in den Bayerischen Alpen, am Lago di Garda (mit seinen berühmten Vie ferrate) und in den Dolomiten. Zum Showdown kommt es dann auf der Skitour am Aiplspitz, dessen Gipfel teilweise mit einem Drahtseil erklommen wird. Es ist die Schlüsselstelle, und genau dort wartet ein Monster auf Monika.

„Vom Wanderweg, auf dem er eine Strecke weit gelaufen war, war bald einmal nichts mehr zu sehen. Einen vorgespurten Schneeschuhpfad gab es längst nicht mehr. Immerhin sah er die dick verschneiten Weiden und Erlen am Rottenufer.“

Eigentlich hätte Kriminalpolizist a. D. „Kauz“ Walpen, ein Üsserschwiizer mit Gommer Wurzeln, der in Münster seinen Ferienwohnsitz hat, gar nicht mit Schneeschuhen über die Rottenebene von Reckingen nach Münster stapfen dürfen, im Kriminalroman „Gommer Winter“ von Kaspar Wolfensperger. Erstens nicht wegen drohender Lawinengefahr. Und zweitens, ja: Waren in den letzten Tagen nicht schon Schneeschuh- und Langläufer auf mysteriöse Art und Weise gestorben? Doch! Walpen, der Ermittler wider Willen, ist dem Täter oder der Täterin auf der Spur, auch im tiefen Schnee. Oder gar er bzw. sie ihm? Geschickt verbindet Wolfensperger kriminalistisches und literarisches Knowhow mit der Gommer Berglandschaft und Gesellschaft. Und das bereits zum zweiten Male. Denn „Gommer Winter“ ist der Folgeband von „Gommer Sommer“. Nun warten wir auf den „Gommer Frühling“. Auch als Geschichte zum Lesen.

Anna von Planta (Hrsg.): Gefährliche Ferien – Die Alpen. Diogenes Verlag 2017, Fr. 15.- www.diogenes.ch
Nicola Förg: Rabenschwarze Beute. Pendo Verlag 2018, Fr. 24.- www.piper.de
Rita Juon: Tod am Piz Beverin. Orte Verlag, Fr. 26.-, www.orteverlag.ch
Daniela Schwenk: Alpenfrauen. Fall zwei für die unwiderstehliche April Pallas. Ulrike Helmer Verlag 2017, Fr. 28.- www.ulrike-helmer-verlag.de
Irmgard Braun: Verraten. Monika Trautners 2. Fall. Rother Verlag 2017, Fr. 18.- www.rother.de
Kaspar Wolfensberger: Gommer Winter. Bilgerverlag, 2018, Fr. 40.- www.bilgerverlag.ch

Lesungen:
Freitag, 23. März 2018, 20.15: Rita Juon liest aus ihrem Krimi „Tod am Piz Beverin“ im Buachlada Kunfermann in Thusis; www.buachlada-kunfermann.ch
Freitag, 23. März 2018, 18.30: Kaspar Wolfensberger liest aus seinen beiden Gommer Krimis im Rahmen des Krimiabends mit mehreren Autoren am Literaturfest Luzern; www.literaturfest.ch/programm

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