Bergkrimis

Man weiss: die Alpen als Erholungsraum sind überlastet. Wohl deshalb empfiehlt unser Rezensent ans Meer zu fahren – mit Bergkrimis im Gepäck. Nach diesen zehn Büchern wird wohl kein Leser, keine Leserin mehr einen Schritt ins Gebirge wagen. Gegen die Alpen, in denen es von Mördern und Terroristen wimmelt, ist Bagdad die reinste Oase des Friedens.

„Lass uns ans Meer fahren!“
„Das ist eine gute Idee“, meinte Nadine.
Er lehnte sich zu ihr, küsste sie ganz sanft auf den Mund und strich ihr über die Wange.
„Keine Berge?“, flüsterte sie.
„Nein“, antwortete er lächelnd und schüttelte den Kopf.
„Und wann fahren wir los?“
„Jetzt!“

L’année prochaine, j’irai à la mer. Sagen die Franzosen, wenn die Bergferien wieder mal ins Wasser gefallen sind, während am südlichen Himmel die Sonne geschienen hat. Aber warum denn erst im nächsten Jahr und nicht schon jetzt? Mais bien-sûr! Andiamo! Und was nehmen wir mit an den Strand? Bergkrimis, was denn sonst. Wie in jedem Sommer. Zehn neue Krimis liegen bereit für die Reise. Wo starten wir? Natürlich dort, wo Berge und Meer eine Einheit bilden. Lofoten, wir kommen.

Cover Krimi 16, 1 Brandung

„Die Felsblöcke, die die Rinne in den Hang gepflügt hatten, mussten groβ, riesengroβ gewesen sein, und hatten sich mindestens ein paar Meter in den Hügel hineingefressen“, lesen wir in „Tödliche Brandung“ von Frode Granhus. Die Berge kommen also auch im hohen Norden runter. „Aber auf ihrem Weg nach unten hatten sie ein grausames Verbrechen ans Licht gebracht, als wäre es schon bei der Beerdigung vorherbestimmt gewesen, dass alles einmal ans Licht kommen würde. Die Berge waren Zeugen.“ Genau, das ist so bei Bergkrimis. Nur sind sie stumm. Das heisst: Die Menschen müssen die Berge zum Sprechen bringen, wenigstens die Spuren an ihnen. Auch andere Spuren müssen verfolgt werden, damit das Verbrechen ans Licht kommt. Und damit wir Leser den alpin umrandeten Krimi zufrieden neben das Strandtuch legen können. Doch da liegt schon der nächste.

Cover Krimi 16, 2 Vermisst

„Moni mochte alle Berge, egal ob groβ oder klein, Hauptsache, der Fels war gut und die Absicherung ordentlich. Ihr gefielen die Tannheimer sehr; sie würde nächstes Jahr wiederkommen, um die berühmte Verschneidung an der Roten Flüh zu klettern.“ Hoffentlich! Denn sie ist die neue Serienheldin von Irmgard Braun; die kletternde Krimischreiberin (oder umgekehrt) hat bereits zwei lesenswerte Werke verfasst (vorgestellt auf www.bergliteratur.ch <http://www.bergliteratur.ch> im Juli 2014 und 2015). Nun also Grossmutter Monika Trautners erster Fall in den Tannheimer und Ammergauer Alpen: „Vermisst“, so der Titel, wird eine Freundin ihres Enkels, nach einem Kletterkurs. Gemeinsam machen sich Moni und Liam auf die Suche – und geraten natürlich selbst in tödliche Gefahr. Das hat es so in sich bei den Krimis, nicht nur bei denjenigen aus den Bergen. Ob das Ermittler-Duo die entführte Susi überhaupt findet? Die Lösung erfahren wir im 33. Kapitel. Dann wäre es vielleicht Zeit für ein Bad. Aber:

Cover Krimi 16, 3 Gletscher

„Auβerdem war hier weit und breit kein Meer in Sicht. Nur Berge und Täler und Berge und Täler.
‚Wozu sind diese Berge da?‘, hatte der Ispettore Grauner schon an einem seiner ersten Arbeitstage gefragt.
‚Die sind dazu da, um hochzugehen‘, hatte der Commissario geantwortet.
‚Wozu hochgehen?“
‚Damit man runterschauen kann.‘
‚Da kann ich ja gleich unten bleiben.‘“
Dort wäre er am liebsten auch geblieben, der Ispettore Saltapeppe, in Neapel unten. Doch Autor Lenz Koppelstätter versetzte ihn nach Bozen im Südtirol. Nun muss er zusammen mit Commissario Grauner den Mörder eines Einsiedlers hoch oben im verschneiten Schnalstal jagen. „Der Tote am Gletscher“ wurde vom Skipisten-Toni entdeckt. Eine eisige Lektüre. Etwas Wärmeres gefällig?

Cover Krimi 16, 4 Jagdgeflüster

„Die Berghänge schwangen sich lieblich in die Höhe, grüne Wiesen gingen in Tannenwälder über. Darüber thronte felsig der Piz Staila. Wie meistens war er auch heute mit ein paar Wolken umhüllt, was ihm etwas Majestätisches und Geheimnisvolles verlieh.“ Piz Staila? Noch nie gehört. Oder sticht die Sonne zu fest, so dass ich mich nicht erinnere? Nein. Es gibt ihn wirklich nicht, jedenfalls nicht unter map.geo.admin.ch. Aber wir erkennen in „Jagdgeflüster“ von Sabina Altermatt die Gegend trotzdem, wo dieser Piz stehen könnte: im Unterengadin. Dort findet die Försterin Rea die ausgeweidete Leiche des Gemeindepräsidenten – die grünen Berghänge sind offenbar doch nicht so lieblich. Ob Rea, die von der Unschuld des verdächtigen Forstwartes Mario überzeugt ist, den Fall aufklären kann? Den Piz Staila kümmert‘s nicht, schon eher die Krimileser auf dem Camping Staila in Tschierv im Val Müstair. Und sie greifen flüsternd zum nächsten Band.

Cover Krimi 16, 5 Schneekristalle

„Hias hielt seinen zwei Begleitern die Tür zur Gaststube auf, über der in roten Lettern die Aufschrift ‚Hemingway-Stube‘ zu lesen war. Leise Musik erfüllte den Raum.“ Die erste Stelle, die ich mir in Eric Barnerts „Schneekristalle. Martin Keller und die Schatten der Silvretta“ anstrich. Die letzte habt Ihr schon gelesen: das Einstiegszitat zu diesen „Krimis der Woche“. Sehr aufmerksame Leser könnten sich erinnern: Barnet und Keller sind wir schon begegnet, in „Kreuzkogel“. Damals eine Verfolgungsjagd in der Vertikalen. Diesmal mehr in der Schrägen. Denn es geht um Skitourentätigkeiten in der Silvretta, um solche mit unverfänglichen Absichten – und um andere. Die Vergangenheit spielt mit, und mir ihr kommt Unrühmliches ans Licht. Beispielsweise vom Verherrlicher der Silvretta, vom Alpinschriftsteller Walther Flaig, einem üblen Nazi, von dem hier auch schon die Rede war. Schatten eben. Uns schaudert’s. Weg mit dem Sonnenschirm.

Cover Krimi 16, 6 Doppelgott

„Nichts hält Lydia mehr im Bett, als die ersten Sonnenstrahlen ihre Bettdecke erreichen. Ein Blick aus dem geöffneten Fenster zeigt ihr: ein wunderschöner Sommertag, wolkenloser Himmel, bereits am Morgen sommerliche Temperaturen, trocken.“ Ab an der Strand, bei diesem Wetter. Denn die Wolken kommen bestimmt, in den Bergen, und wenig später die Gewitter. Also nass. Und sowieso: Im Alpstein, wo „Doppelgott“ von Walter Burk spielt, lebt und wandert es sich gefährlich. Doppelte Spiele, mindestens doppelte Erzählebenen, bei nicht immer ganz klarem Fenster. Aber wie die liebe Monika den bösen Fabian beim Gipfelkreuz der Marwees mit dem Rucksack in den Abgrund weht, ist schon stark. Allerdings erst auf Seite 234.

Cover Krimi 16, 7 Sherlock

„Er musste sich an die Fakten halten, musste herausfinden, was es mit den sichergestellten Papierfetzen auf sich hatte. Wenn sie nicht aus Conan Doyles Kanon kamen, und dessen war Rickli so gut wie sicher, mussten sie aus irgendeinem Pastiche stammen. Davon gab es Hunderte.“ Tja, so ist das halt bei der Verbrecherjagd, in den Bergen so gut wie am Meer: Es gibt viel zu tun, für den Ermittler, für den Verbrecher manchmal auch (noch). Insbesondere dann, wenn sozusagen beide auf den Spuren von Sherlock Holmes wandeln. Da müssen mehr Buchseiten umgeschlagen werden als wir lesen mögen. In „Sherlocks Geist“ lässt Wolfgang Kemmer den Meisterdetektiven in Meiringen wieder aufleben, genau dort, wo er nach seinem angeblich finalem Sturz in die Reichenbachfälle am 4. Mai 1891 ins Leben zurückkletterte. Nachzulesen in Arthur Conan Doyles Erzählung „The Empty House“ (Das leere Haus) von 1903, einer der ersten alpinen Krimigeschichten.

Cover Krimi 16, 8 Gefrierpunkt

„‚Bist du jetzt Sherlock Holmes, oder was? Leck mich, Casella. Geh möglichst weit weg, da, zur Schneeraupe rüber, damit du hier keinen Schaden anrichtest.“ Mit klaren Worten schickt Commissario Rocco Schiavone seinen trotteligen Mitarbeiter weg vom Tatort. Ein zermalmter Körper unter einer Schneeraupe, in Champoluc hoch oben in einem Seitental der Valle d’Aosta. Ein doppeltes Unglück für den Römer Rocco: Erstens und überhaupt das Aostatal mit all seinen viel zu hohen Gipfeln, und zweitens der Schnee im Skigebiet von Champoluc – eine Zumutung, porca vacca! Für uns Leser aber ein Glück, mamma mia! Ein stimmiger, dichter, aktueller (Italien-)Krimi, mit überzeugenden Figuren, einer unter die Haut gehenden Hauptgeschichte und amüsanten bis himmeltraurigen Nebenschauplätzen. Nur der deutsche Titel ist viel zu pompös: „Der Gefrierpunkt des Blutes.“ Antonio Manzini, Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor, nannte sein erstes Werk um Schiavone schlicht „Pista nera“. Die Übersetzungen ins Spanische, Französische, Englische halten sich daran. Auf Deutsch gibt es Band zwei, „La costola di Adamo“; Band drei, „Non è stagione“, erscheint am 17. Februar 2017.

Cover Krimi 16, 9 Transalp

„Es war Mitte Juli, und es wurde nun merklich früher dunkel als im Juni. Der Markusplatz lag von den Touristenscharen verlassen. Alle Tagesgäste waren fort, und die, die über Nacht blieben, verloren sich fast auf dem riesigen Platz. Selbst de Tauben schienen schläfrig.“ Venedig als Schauplatz eines Bergkrimis? Schläft denn der Rezensent? Oder ist er müde vom transalpinen Lese-Trekking München-Venedig, mit dem Krimiautor Marc Ritter und dem Rätselverfasser CUS als Wanderleiter? „Transalp“ ist eine Rätsel- und Verfolgungsjagd auf diesem bekannten Weitwanderweg; im Zentrum steht ein ungleiches Ermittlerpaar, Alt- und Neonazis mischeln mit. Akteure und Leser müssen bzw. dürfen etappenweise Rätsel lösen. An der nördlichen Adria, an der der Alpenbogen knapp vorbeizieht, ist die Jagd zu Ende. Und unser gebirgig gefasster Strandaufenthalt auch schon fast.

Cover Krimi 16, 10 Schwindelfrei

„Die Alpen bilden den gröβten Steinhaufen, den Europa zu bieten hat, aber sie beginnen zaghaft, als meerumspülte Alpes Maritimes an der Côte d’Azur. Dort schneckeln und rollen sie sich ein, zieren sich praktisch noch ein bisschen, so, als ob sie sich nicht recht trennen könnten von den croissantduftenden Straβencafés.“ Zum Reinbeissen, was da über die Alpen geschrieben steht, nicht wahr? Zum Weiterlesen ebenfalls. Die Beschreibung der Alpen findet sich im dritten Kapitel auf Seite 23; insgesamt hat das Buch 61 Kapitel, dazu noch Prolog und Epiloge. Es ist Jörg Maurers jüngster Streich mit Kult-Kommissar Hubertus Jennerwein. Alles Weitere zu den besten Alpenkrimis auf www.bergliteratur.ch <http://www.bergliteratur.ch> , zum ersten Mal am 30. April 2010. Und hier noch der Titel des achten Falles: „Schwindelfrei ist nur der Tod.“ Schön, dass wir am flachen Strand liegen und lesen. Sonnige Ferien!

Sabina Albermatt: Jagdgeflüster. Piper Verlag 2015, Fr. 13.90.
Eric Barnert: Schneekristalle. Martin Keller und die Schatten der Silvretta. Rother Verlag 2016, Fr. 16.90.
Irmgard Braun: Vermisst. Monika Trautners 1. Fall. Rother Verlag 2016, Fr. 17.90.
Walter Burk: Doppelgott. Gmeiner Verlag 2016, Fr. 16.90.
Frode Granhus: Tödliche Brandung. btb Verlag 2015, Fr. 14.90.
Wolfgang Kemmer: Sherlocks Geist. Gmeiner Verlag 2015, Fr. 16.90.
Lenz Koppelstätter: Der Tote am Gletscher. Ein Fall für Commissario Grauner. Verlag Kiepenheuer & Witsch 2015, Fr. 13.90.
Antonio Manzini: Der Gefrierpunkt des Blutes. Rowohlt Taschenbuch Verlag 2015, Fr. 13.90.
Jörg Maurer: Schwindelfrei ist nur der Tod. Fischer Verlag 2016, Fr. 18.90.
Marc Ritter &CUS: Transalp. Knaur Verlag 2015, Fr. 13.90.

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