Advent 2016

Fast könnte man über sie sagen: Alle Jahre wieder, ganz ohne Schneehauben auf Gartenzäunen, Mauerpfosten, Tannenbäumen… Gemeint ist die Adventszeit. Sie ist draussen so anders als in unserer alten, drinnen behaltenen Vorstellungswelt. Aber müssen wir uns nicht einfach nur umgewöhnen, gewöhnen an die neuen Bilder, auch im Gebirge? Vier lose Gedanken kamen mir dort. Ich schrieb sie auf.

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Wenn ich in dieser stillen, kalten, kahlen Adventszeit durch die Bergwälder streife, dann geschieht es immer wieder, dass wenig vor mir ein Reh, eine Gams, ein Hirsch oder eine Hirschkuh steht und mich aus runden Augen reglos anblickt. Bis ich winke oder Hallo sage um zu zeigen, ich sehe dich! Dann springen die Tiere davon und Äste knacken, Steine rollen für kurz in der Stille.

Anders aber verhält es sich mit jenen Augen, die ich noch viel öfter treffe. Schwarzen, starren Augen, eckigen Löchern an Wald- und Lichtungsrändern, von Tarnnetzen verhangen wie dunkle Gespenster. Auch ihnen winke ich zu, aus grösserer Distanz oft, um ihnen zu zeigen, dass auch ich sie sehe, und vielleicht in der Hoffnung, dass sie lächeln, wenn ich winke. Sie bleiben aber reglos, immer. Zu tausenden stehen sie strategisch im Bergwald verteilt und überwachen dort den stillen, kalten, kahlen Advent.

Abends bei den Menschen, unten, ist Lichtzeit, Lichtlärm. Die Täler sind voll von hellen, gestochen-scharfen Punkten. Östlich ausserhalb Sargans nach Norden geblickt, erscheint vor mir plötzlich die Milchstrasse als breites Band am dunklen Himmel. Tausendfach jubilieren die Sterne, dicht an dicht. Doch dann ist es nur Triesenberg, die Stadt halb oben in der Nacht. Denn komme ich näher, so wachsen aus der Schwärze darunter die Kuppen des Hanges empor und modellieren die Häuserreihen in das Relief des Berges. Dann zerfliessen die aus der Ferne sterngeglaubten zu beleuchteten Strassenzügen der an die schwere Erde gebundenen Stadt. Und Licht ist wie glimmende, zäh herabkriechende Lava.

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Draussen im Gebirge ist der Advent kahl, kalt und jeden Tag stiller. Die Bäche der schneelosen Tälchen und Gräben sind harte Netzwerke ohne Leben, Adern aus Glas über den Hängen. Die feuchte, weiche Erde ist hart wie Stein und federt den Schritt nicht mehr ab. Vielleicht aber, wer weiss, bringt der 24. einen milden Föhn, warm wie dein Atem, herein in die Tälchen und Hänge. Und vielleicht sind es dann sie, die Bäche hier oben, die bis zum Abend wieder zu murmeln, zu plätschern zu rauschen, zu singen beginnen.

Transgression und Regression

Wenn es im Herbst still wird im Gebirge, dann wird es auch manchmal zeitlos und im Vakuum durch das man schreitet, erlebt man Unerwartetes. So geschah es mir letztens, im Oktober, als mir die Landschaft in einem Rollenspiel vom Atem der Äonen erzählte.

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Die Erdgeschichte atmet rhythmisch. Eine ihrer Atmungen ist die von Transgression und Regression, von Meeresvorstoss und Meeresrückzug. Was im Pendel zwischen Ozean und Hochgebirge einmal war, das ist uns in den Gesteinen und ihrem Verschwinden als eine lange Folge von Landuntergang und Trockenfallen, von Sedimentation und Erosion überliefert.

Tief am Grund eines Meeres war ich am frühen Abend beinahe blind über das Relief des alten Landes gezogen und endlich, als die kaum zehn Meter reichende Sicht allmählich im Nachtdunkel verschwand, an die Hüttentür gekommen und durch sie hindurch in die von warmem Licht erhellte Stube getreten. „Gefunden?“, war das Wort, mit dem man mich, den einzigen Gast, begrüsste.

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 Am nächsten Morgen erwachte ich und war wie an ein fremdes Ufer gespült. Die Hütte stand nun nahe der Kante eines Steilufers und am Fjord einer nordischen Insel, deren grüngewandete Lofoten-Berge nach der Dämmerung unter einem hellrosa Himmel bleich waren, von Reif überzogen. Das nahe Meer lag still, als ich durch die steifen Halme des gefrorenen Grases schritt. Es dauerte nicht lange bis ich merkte, dass das Meer um mich im Steigen begriffen war. Langsam aber stetig. Über eine schmale, mir wohlbekannte Landbrücke, flossen die Wasser in rhythmischem Wechsel mal von der Glarner auf die St. Galler Seite und dann wieder von der St. Galler auf die Glarner Seite. Später schritt ich einen Strand entlang und die Vormittagssonne wärmte mich zart. Die Wellen rollten heran und flossen wieder ab, jedes Mal ein Stück weiter herauf und etwas weniger weit zurück. Überrollte mich einmal eine von ihnen, so spürte ich die Kälte des Wassers im Gesicht, auf den Händen, in der Lunge. Sie hing auch danach noch lange in Perlen an meinen Haarsträhnen, die unter der Mütze hervorschauten.

 An den Gratfelsen, auf die ich mich um die Mittagszeit geflüchtet hatte, schlug die Gischt der Brandung in Fontänen empor. Auf dem höchsten dieser Felsen, nahezu kahl und in meiner um Jahrmillionen veralteten Karte fast zweitausendfünfhundert Meter über dem Meer, hatte ich noch die Vision, auf Rockall gestrandet zu sein. Dann verschwanden der blaue Himmel und mit ihm die vertrauten Gipfel ringsum in einem hin und her schaukelnden, lichtdurchfluteten Nebel. Während ich wartete, eine Dreiviertelstunde vergeblich, wurde das Licht stets matter, das Schaukeln weniger, das Klackern der vor- und zurückrollenden Steinchen und Muscheltrümmer am Grund immer leiser. Bis schliesslich, wo die Brandung sich einst an Felsen brach und Landbrücken mal von dieser, mal von jener Seite überspült wurden, vollständige Stille war, und auch ich begreifen musste: Das Land ist wieder untergegangen. Und erneut ging ich bis zum Abend tastend und in eine enge Taucherglocke aus wenigen Metern Sicht gehüllt, über den Grund, über eine vollkommen unbekannte Topographie.

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So ging es letztens, im Oktober, Tag für Tag, Nacht für Nacht. In meinem, aus dem Sommer so bekannten Gebirge, folgten nun in ewigem Wechsel auf Transgression Regression und wieder Transgression…

…des Nebelmeers.

Der Wolf geht um

Der Wolf steht für Wildnis, Kanada-Romantik. Taucht er in unseren Bergen, auf so bringt er die Gemüter durcheinander. Er fasziniert, er stört. Müssen wir ihn fürchten oder er uns?

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Seit Herbst 2011 leben im Calandagebiet und im Taminatal Wölfe, inzwischen ein ganzes Rudel, das erste in der Schweiz seit 150 Jahren. Aus den steilen Wäldern kommen sie manchmal herab in die Dörfer und haben schon manchem Menschen bei so mancher Begegnung einen Schauer eingejagt oder Faszination bei jenen hinterlassen, die die Wildheit lieben und vielleicht in ihrer Jugend oder später einmal Jack London gelesen haben.

Seit Sommer 2015 durchstreife ich als der vom Steinfach das kaum zwei Bergkämme entfernte Spitzmeilen- und Guschagebiet. Kein breites Tal, kein Zaun aus Autobahnen, Eisenbahnen und Siedlungslichterketten trennt das Dort der Wölfe vom Hier meiner Streifzüge. Ein Netz verzweigter Bergkämme verwebt dagegen beide Gebiete zu einer Einheit, in der unter dem weiten Sternenhimmel die Nachterde schwarz und konturlos daliegt und man höchstens von einem Vorsprung aus da oder dort, ungeahnt tief unten, ein einzelnes Licht erspäht, als markiere es ein Loch in der Einsamkeit. Kein Wunder, dass eigentlich immer, wenn ich hier mit einem Hirten im Gespräch war, die Rede schnell auf den Wolf kam. Mit jenem von Schaffans, mit dem ich an einem zu Schauern neigenden, heißen Julinachmittag auf den grauen Karrenfeldern, kurzes blühendes Sommergras zwischen löchrigen, skurrilen Felsformationen, darüber sprach, oder der von Halden, bei dem ich es war, der zuerst das Wort jenes Tieres in den Mund nahm. –„Sssscht“, hieß es da schnell, „reden wir besser nicht davon, sonst hört er uns noch.“

Ende August war ich nach drei Wochen Ferien zurück auf den Hochflächen, mit Zelt und einem Kollegen Biologen, der den Pflanzen nachsteigt wie ich den Steinen. Als wir uns nach individuellem Ausschwärmen beim Prudellhüttchen wiedertrafen, um gemeinsam zu rasten, erwähnte er wie nebenbei, er habe zwei Kothaufen gesehen, die von einem Wolf stammen könnten. Das taten sie wohl tatsächlich, denn wenige Tage später erzählte man es mir:

„Einer ist auf der Alp Halden und hat inzwischen mehrere Schafe gerissen.“

Hätte ich damals leiser reden sollen?

Man sei dem Täter auf der Spur, jedenfalls weiss das Dorfgespräch schon viel, die Leute sagen, es sei bestimmt einer mit Haushund-Genen, ein Halbblut, ein Wolfsblut… Gesehen wurde er allerdings nur einmal, vom Wildhüter, beim Gamszählen und mit dem Fernrohr vom Gegenhang aus. Ich bezog in jenen Tagen auch wieder Quartier auf der Alp Halden, und abends drehte sich das Gespräch in der Stube um Krisensitzungen mit den Bauern, den Wildhütern und Leuten vom Kanton, bei denen die verschiedenen Interessen zusammentrafen. Da ist der Hirte, der wehen Herzens allmorgendlich oft nur halbgetötete Schafe und Lämmer findet, über denen die Raben und Dohlen ihre Kreise lauernd bereits enger ziehen, da ist der Staat, der den Wolf schützt und jedem Schafbesitzer für jedes gerissenen Stück angeblich mehr bezahlt als den Marktwert, und der den betroffenen Alpen leihweise Herdenschutzhunde zur Verfügung stellt, und da ist schließlich der Wolf selbst, für den sich die fast lichtlose Schwärze unter dem Sternenhimmel, in der er über ein riesiges Angebot leichter Beute stolpert, Tag für Tag wieder in ein enges Labyrinth aus Schellengeläut und überall wandernden, fahrenden, redenden, hirtenden und kartierenden Menschen verwandelt.

Auch auf der Alpe Halden haben sie jetzt zwei grosse weisse, pyrenäische Herdenschutzhunde, vor denen ich nach Versicherung durch den Hirten, sie seien harmlos, meine Angst überwunden habe, und die mich tatsächlich, nachdem ich dem älteren, ihn am Hals kraulend, erklärt hatte, ich sei Geologe, friedlich passieren liessen. Auf der Glarner Seite aber halte sich ein Schafbauer privat einige Abruzzesen, so heisst es, und ich fragte mich, während ich den Grenzkamm gegen das Wissgandstöckli entlang ging, ob die auch so harmlos oder vielleicht eher wie jene Herdenschutzhunde sind, die ich vor vielen Jahren einmal im Vercors traf? Sie traten damals gemeinsam auf und ihre Botschaft war klar: „Kommt ja keinem Schaf zu nahe!“ Damit trieben sie zu viert uns sechs in grossem Bogen um die weidende Herde herum. Vor solchen Hunden habe ich Respekt, vielleicht sogar Angst. Dem Wolf aber würde ich gerne begegnen…

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…an einem grauen, kühlen Oktobermorgen unter bedecktem Himmel im leeren Gebirge. Irgendwo auf den Karrenfeldern, kurzes, braungoldenes Herbstgras zwischen skurrilen, löchrigen Felsformationen, hager ist er, gross, das Fell im Föhnsturm lodernd wie das kurze Herbstgras, und der Blick, den meinen treffend, klar, wägend, kühl und doch so, dass er eine Welle weckt, die mir aus dem tiefsten Innern des Bauches bis in die Zehen und Haarwurzeln schiesst. Ein „outlaw“ er, wie ich selbst in wilden, ungestümen Jugendträumen manchmal war und vielleicht heimlich immer noch bin, überall gejagt, angstvoll und kühn und frei.

Sommermorgen in den Bergen

Wieviel doch in einen frühen Morgen und einen Vormittag passt! Eine Anreise, ein Aufstieg und eine ganze Menge Eindrücke. Und schliesslich das Gefühl, frei zu sein wie eine Vogel

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Meine Fahrt von St. Gallen in die Berge vergeht, während die Dämmerung zum Tag wird. Beim ersten Licht fahre ich aus der Stadt, fallend gegen Nordost, bis vor mir die Fläche des Sees auftaucht, silbrig-grau und rau unter einem fernen Hellrot am hohen Himmel. Weiter fallend nähere ich mich der Seefläche, bis sie den Blicken entschwindet, weil die Ebene erreicht ist. Bald biegt dann die Autobahn um die äussersten Rippen der Berge herum, scharf nach Süden ins Rheintal und hinein ins Gebirge. Dort drinnen im Schatten verlasse ich den Boden auf der kleinen Strasse den Grabserberg hinauf. Im Osten stehen die Gratreihen hoch über mir wie scharf gezeichnete Risse vor der Sonne, die noch nicht heraufgestiegen ist, sondern den Schatten des Hohen Freschens in den Himmel projiziert. Eine Kehre weiter oben aber ist sie da, glutrot, und die wilden unregelmässigen Zacken, die dunklen, die gerade eben noch den Horizont beherrschten, fallen nun ins fast Unsichtbare, ins Kleine hinab.

In der Morgenkühle steige ich wenig später raschen Schrittes bergauf, umgeben vom Glockengeläut der Kühe, das die Hochtäler oberhalb der Voralp schon jetzt erfüllt. Erst ganz oben an den Graten, wo jäh das Seeztal sich auftut, tief unten, mit dem See darin, dem anderen, dem taghellen, grün-blauen, mit den Spuren darauf, entlang derer die Schiffe ihn teilten, Narben die sich langsam schliessen, erst dort oben ist es wirklich still. Jetzt wo die Sonne hoch steht, höher noch als ich, setze ich behutsam Fuss vor Fuss über den Grat, berauscht vom Gefühl des Mauerlaufens, des Schreitens auf blumengesterntem Hochseil, und von der stillen Exponiertheit. Weit draussen im Luftraum, im Flug.

Am heissesten Tag des Julis

An einem sehr warmen Sommertag früh nachmittags einen endlos erscheinenden Südhang aufzusteigen, zeugt nicht von alpinistischem Spürsinn für die Routenwahl. Lässt man sich ablenken, kann es einem doch passieren, und dass es auch dann den Betroffenen kein Schaden ist, davon soll hier berichtet werden.

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Am heissesten Tag des Julis, früh morgens, fuhren vier Geologen, die auch schon alpinistisch tätig waren, mit dem ersten Postauto nach Vättis, tief drinnen im Bauch der Alpen. Von dort wollten sie hinaus und weit hinauf bis auf den Pizol.

Durch die Schatten der Wälder in der Taltiefe des Gebirges gelangten sie zum Gigerwald wo der Pfad nach Norden in die Schluchten abzweigt. Überall und rund herum waren nun Felswände und Steine, bunt, gefaltet und übereinander geschoben. Die Geologen vergassen darüber das Alpinistische und diskutierten. Oder philosophierten sie? Jedenfalls redeten sie in einem fort, kaum dass dazwischen, wie zufällig, ein Schritt in die Höhe fiel. Das ging so lange bis die Sonne und mit ihr die Hitze auf einmal um die Ecke kam und selbst in der tiefen Schlucht den letzten Schatten tilgte. Als die Vier kurz darauf an den Beginn des langen Hochtales Tersol kamen, war es bereits Mittag und sie hielten Rast. Ganz hinten, hinter ansteigenden Schuttwüsten zeigte sich das Gipfelziel, noch in weiter Ferne.

Nach der Mittagspause folgte kein Schläfchen im Schatten, sondern es folgten tausend Höhenmeter. Jeder stieg sie für sich allein, in seinem Tempo und in schweissgebadete Meditation versunken, kaum ein Wort fiel mehr. Keiner war mehr Geologe, denn die Steine unter jedem Schritt waren allen gleichgültig geworden, waren nichts als vor den Schuhspitzen auftauchende, endlos ansteigende Milliardenschaften. Höher oben ging es über Schnee, durch einen Hohlspiegel, dessen Brennpunkt man nicht entrinnt und in dem es vollständig still ist. Windstill, lautstill, schattenstill. Erst Stunden später erwachten sie wieder aus dieser Meditation. Im leichten Lüftchen, das am Gipfel wehte, trocknete der Schweiss und es kehrten die Worte nach und nach zurück. Vom Panorama aufgemuntert, erzählten sich die Vier nun von den durchstiegenen Routen und bestiegenen oder noch zu besteigenden Gipfeln im weiten Rund. Dann wurde den späten, aus dem Bauch des Gebirges herauf wiedergeborenen Alpinisten bewusst, wie weit sie noch hinab mussten.

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Im Firn der den Gletscherrest auf der Nordseite bedeckte, waren zahllose Spuren zu sehen, die von jenen zeugten, welche bereits den ganzen Tag über Alpinisten gewesen, und die um diese Zeit aus der Höhe längst verschwunden waren. Unter ihnen muss es laut gewesen sein, ein Grüssen alle fünf Minuten, ein Jahrmarkt der Bergsteigerei, der sich vor kurzem erst verlaufen hatte. Auch die Nachzügler erreichten irgendwann noch, über Firn gleitend, über Blöcke springend, durch Pfadkurven rennend die Taltiefen wieder in denen der Tag selbst in der frühen Nacht noch glühte.

S´ Steimanndli

Wechselhaftes Wetter kommt immer anders als prognostiziert. Dem geregelten Plan meiner Geländearbeiten steht es jedenfalls im Weg und kann mich zur Weissglut bringen. Ein Bergwaldwesen sieht es dagegen gelassener.

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Die ganze Woche ist regnerisch, jedenfalls so wechselhaft, dass ich mich Tag für Tag entscheide in der Stadt zu bleiben, wahrscheinlich richtig entscheide. Doch in meiner kleinen Schreibstube bekomme ich schliesslich den Koller, vor allem wenn das Wetter vor dem Fenster dann doch ganz passabel ist. Darum ziehe ich eines Tages trotz immer gleicher Vorhersage ins Kartiergebiet, im festen Vertrauen darauf, dass eine beherzte Entscheidung sicher keine falsche ist.

Am Morgen liegt der Walensee vollkommen still. Trotz des Windkanals, den das Seeztal bildet, ist sein Spiegel so glatt, dass ich sie genau darauf sehen kann: Die ersten Regentropen! Und schlimmer noch, am Flumser Bahnhof auf das Postauto wartend, die Nebelbänke: Sie sind genau auf Höhe der Bergwälder in die ich heute will. An die Möglichkeit des Regens hatte ich gedacht, doch den Nebel hatte ich vergessen. Und genau dann ist er natürlich da, Murphy´s law. Als mich am Ortsausgang von Flums der immer gleiche Felsen neben der Schlucht anblickt, fühle ich mich von den Dingen verhöhnt, als ob sie das könnten, und argwöhne, der Zufall verfolge einen höheren Plan. Irgendwo im Wald zwischen der Molser Alp und der Seebenalp sehe ich kaum zwanzig Meter weit. Die Spitzen der Tannen verschwimmen und die kleinen Felswändchen werden erst fest, ihr Gestein bekommt erst Kontur und Farbe und somit seinen Namen, wenn ich direkt davor stehe. Jeden Meter muss ich also abgehen und verpasse doch jeden zweiten dabei. Nun bin ich angespannt und verärgert: Muss mir unbedingt alles hier zeigen, dass ich den falschen Entschluss gefasst habe?

„Bist umsonst gefahren!“, grinst das nasse Unterholz.

Da bricht sich der Ärger in Jähzorn Bahn. Mit voller Hammerwucht trümmere ich auf irgendetwas am Waldboden.

Im Nebel sieht mich ja keiner.

Und schreie schliesslich, als die Tropfen, die aus ihm fallen, noch dicker werden, den Nebel an, auf den man leider nicht trümmern kann:

„Du Hurahund!“

In der Stille hört mich ja Niemand.

Oder haben die Bauern mich gehört, die ich wenig später treffe? Sie lassen sich jedenfalls nichts anmerken. Zwei stehend, einer sitzend, warten sie unter einer Tanne den Regen ab. Der Stehende ist jener, den ich vor gut einem Monat bei Tschudiwiesen traf. An seinen grünen Jeep gelehnt, hatte er mir damals lang und breit von seinen Blumenwiesen erzählt. Heute spricht der Sitzende und frägt mich wie die Steine heissen, ob ich mit GPS arbeite. Nein, sage ich, eigentlich nicht, und zeige ihm stattdessen meine bunte Karte. Man kenne mich inzwischen. Letztens sei ich bei der Prodalp auf der Wiese gefläzt und habe gezeichnet. Ja, ich würde beobachtet, sagen sie und schmunzeln.

Die müssige Unterhaltung unter der Tanne wäre wohl ewig weitergegangen, hätte ich nicht noch etwas Farbe auf meine Karte bringen wollen. Später begegnete ich den Dreien nochmal. Auch sie waren mit dem Zaunaufrichten etwas weitergekommen.

„Ah“, hiess es da, „ s´Steimanndli“.

Diese Mal schmunzle ich.

Die Stille ist auch eine Windstille und eigentlich wunderschön. Die Nebel steigen langsam vor den Wäldern empor und ziehen unterhalb durchs Tal, geben zwischen den Regengüssen Blicke frei; vorhin kurz auf den Alvier, jetzt auf den Sichelchamm. Und das mal auflebende, mal einschlafende Trommeln des Regens auf dem Kartierschirm erinnert an erzwungene Ruhetage im Zelt, irgendwo weit weg. Spätestens nach dem Gespräch mit den drei Bauern ist das Steinmanndli so entspannt, wie es sich gehört für den Berg. Nun bringt ihn auch jener Mischwald aus Wachholder, Alpenrosen und Heidelbeere nicht aus der Ruhe, den es nachmittags im Bereich des Narggenchopfs durchquert und der ihm als Riesen bis zu den Knien reicht, der seine Beinkleider nässt, und auf dessen noch winterkahlen biegsamen Stämmen er ständig talwärts ausgleitet.

Gesicht und Unterarme kleben heute weder von Salz noch von Sonnencreme sondern sind vom Nebelregen kühl und frisch geblieben. Und als ich abends wieder bei der Postautohaltestelle Tannbodenalp auftauche, hat sich der Tag doch gelohnt: Trotz Nebel, trotz Regen hab ich einen dreiviertel Quadratkilometer mehr „im Sack“.

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Ins Tessin fährt man zum Klettern. Oder zum wildromantisch wandern. Als wir beides mischten und zu einer Tour verrührten, wurden wir dorfbekannt.

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Am frühen Abend kamen wir in Camedo im Centovalli an. Zwei Herren mittleren Alters und insgesamt nicht mehr ganz ohne Lebenserfahrung, tauchten wir mit hoch bepackten Rucksäcken auf um, wie zwei junge Spünde, auf dem Dorfspielplatz zu nächtigen. Wenn wir uns so sahen, merkten wir, dass wir aus alter Gewohnheit handelten, und wenn wir uns dann anblickten, schmunzelten wir, freuten uns über unsere Freiheit von vier Tagen und wussten, dass wir es richtig machten, so wie früher. Unser Schlafplatz ist kein Spielplatz, wie man ihn aus dem Mittelland kennt. Er liegt auf einer Waldlichtung, und das Gras steht hoch zwischen den Tischen und Bänken, im ehemaligen Sandkasten, um die noch funktionierende Schaukel und die kurze steile Wippe herum, unter der Seilbahn. Als wir gerade beschlossen hatten, keinen Tee mehr zu kochen um möglichst nachts nicht aus dem Schlafsack zu müssen, kam der junge Vater der, uns den Tipp des Spielplatzes gegeben hatte, im Dämmerlicht vom Waldrand daher, den vierjährigen Sohn an der Hand. Er hatte für jeden ein Bier dabei und mit Brocken von Deutsch, Italienisch und Zeigen auf der Karte redeten wir über unser morgiges Vorhaben. Das Kind, mit seinen schulterlangen blonden Locken wie ein kleiner Ritter, streifte durchs hohe Gras und kroch, als es endgültig dunkel wurde, dem Vater auf den Schoss. Als der kleine einzuschlafen drohte und die beiden den Rückweg antraten, legten wir uns in die Schlafsäcke, und ehe ich mich auf die Seite drehte, blickte ich noch lange aus der Lichtung des Waldes, in dem die Käuzchen riefen, hinaus in den Himmel, den die Sterne übersäten.

Am frühen nächsten Morgen querten wir mit leichtem Rucksack vom Weiler Lasa, einen kaum sichtbaren Weg entlang westwärts in die Waldschluchten unter den Südwänden des Pizzo Ruscada. Im dunklen tiefen Grund des zweiten dieser Tobel füllten wir die Flaschen für den Tag und stiegen dann linkshaltend über den steilen, noch frühlingslichten Waldboden empor. Am Pkt. 1433 m genossen wir ein aussichtsreiches zweites Frühstück in der Vormittagssonne, über uns die geneigten Plattenfluchten des Weiterweges. Auch in den Felsen wuchsen überall kleine Bäume, Wacholder, und dunkelrote Primeln, Aurikel des Urgesteins. Wir kletterten nach Lust und Laune über die Platten oder stiegen zweibeinig die Vegetationsbänder entlang, ganz wie es jedem gerade beliebte. Nach einer flachen Schulter mit weichem Gras schnitt die Gratrippe enger zusammen. Links schien sie überzuhängen, und auch rechts wurden die geneigten Platten immer kürzer, ehe sie entlang einer von unten näher und näher rückende Kante in eine Schlucht abbrachen. So kanalisierte sich das weitläufig beliebige Strömen unserer Kletterwege mehr und mehr, um schliesslich zu einem an der Flanke eines Gratturmes steckenden Haken zu fliessen. Wir hintersicherten ihn lieber noch mit einer Schlinge, ehe wir gut dreissig Meter auf eine von oben nicht einsehbare Verschneidung abseilten und von dort über Platten auf den Grat zurück stiegen, der uns, nun noch schmäler doch ohne Schwierigkeit, wie über einen hohen Steg weiter führte. Als wir über die Schrofen auf und ab vom West- auf den Hauptgipfel hinüber gingen, noch mehr aber beim nicht enden wollenden Abstieg nach Camedo, spürten wir die tausendsechshundert Höhenmeter und am Ende zehn Stunden des Tages ganz ordentlich in unseren ungeübten, nicht mehr jungen Knochen rumoren.

Zurück beim Dorfspielplatz war dieser von zwei alten Leuten und einem Kind unerwartet belebt. Sie schaukelte die Enkelin, er sass auf der Bank neben uns, man verstand ihn kaum. Ja, wir waren auf den Ruscada gestiegen, entlang einer Felsrippe aus den Tobeln im Südwesten, und ja, wir schliefen hier, ob es nicht kalt sei, sie hatten schon von uns gehört, vom Vater des kleinen Ritters, oder von jenem Deutschschweizer, der wie schon gestern Abend so auch heute, später mit seinen zwei Hunden hier vorbei kam und fragte, was wir vor hätten, heute, dann wie es uns dabei ergegangen war. Hätte es im Dorfe Camedo noch einen Pfarrer gegeben, einen hageren Herrn mit langer schwarzer Soutane und ausladendem Hut, er hätte uns sicher ebenfalls ausgefragt und danach in ein grosses Buch einen Eintrag geschrieben. Über die Beiden, die an jenem Tag von weit her kamen und den Ruscada von der Rückseite nahmen.

So wäre es früher gewesen. Heutzutage tauschten wir, als wir berichteten, Mailadressen und verschickten später Bilder.

Der Geologe im Bergwaldfrühling

Die Frühlingstage werden mehr und wärmer. Und für mich, den kartierenden Geologen, wird es Zeit in die Bergwälder aufzubrechen und meinem Handwerk nachzugehen.

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Um diese Jahreszeit muss der Geologe in die Wälder, denn jetzt zeigt sich hier der Untergrund am offensten. Zwischen dem langsam nach oben abstreifenden, weissen Winterkleid und dem von unten nachrückenden schattengrünen Pflanzenreich ist die feste Erde zugänglich wie sonst das ganze Jahr über nicht. So quere ich mit Hammer, Stift und Kartierbrett bewaffnet, und mit langsamem, sanft belastendem Tritt über die Steilhänge, bin dabei in jedem Winkel ihrer Oberfläche auf der Spur dessen was meine, was unsere grossen Berge formt.

An den Südhängen des Seeztals, in den steilen Kalkfelswäldern und auf den dazwischen sich erstreckenden Wiesenterrassen, ist die Luft so mild dass sie von unten strömt und wie warmer Atem über die Haut streicht, einzelne trockene Blätter aufnimmt und trägt, tanzen lässt. In den noch lichten Wäldern, durch die ich streife, blühen zahlreich die frühen Blumen, die Buschwindrosen, die Leber- und Schlüsselblumen. Auf den flacheren Terrassen herrscht dagegen noch blendende Helle, weiss strahlt hier der Schnee in der Sonne. Und speist die Bäche, überall ist Wasser. Es rauscht und tobt in den Schluchten der Kalkfelswälder, und es gluckst und strömt auf den Terrassen unter dem Schnee hervor, zwischen den Blöcken der Bergsturzmassen. Und es matscht über die Stiefel auf den noch braunen, gerade vom Schnee frei gegebenen Feuchtwiesen wo das fettig leuchtende Dunkelgrün der noch kleinen Sumpfdotterblätter die gelbe Pracht ihrer Blüten erahnen lässt.

Durch die noch nicht belaubten Kronen fällt das Sonnenlicht vor einem Baumstamm auf den Boden wie eine Einladung, der ich mich nicht entziehen kann. Es ist eine Geborgenheit wie im weichsten Bett, in der ich spüre wie die Erde meinen Herzschlag wiedergibt.

Am Fünfländerblick

Auch kaltes, nasses Winterwetter hält mich selten in den vier Wänden. Draussen dann ergreifen die Erd- und Wolkenlandschaften die Sinne mit Macht.

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Auf der Bank am Fünfländerblick sitzend, liegt tief unten der Bodensee in voller Breite. Grau ist sein Wasserspiegel wie die Wolken am weiten Himmel, die am Ottenberg, bei Konstanz und hinter dem Gehrenberg bereits herabströmend das Land verwischen. Wind kommt auf. Erkältet bin ich hergewandert und sitze nun schwach, dick eingepackt und esse etwas trockenes Brot. Meine Hände sind eiskalt. Sie fühlen sich an als hätte ich sie grade aus dem grauen, kalten Wasser vor mir gezogen. Da schaudert es mich vor seinem Anblick: Dort liegt zwischen den sanften Wellen der Landschaft eine jedes Lebenslicht löschende, alles eintauchende erfrierende, riesengrosse Masse.

Ich stehe auf und gehe auf die Bank an der anderen Seite wo mich die Kapuze besser schützt. Hier kommt der Wind von hinten. Über Baumkronen und locker hausbestandenen Hügeln bauen sich die Vorarlberger Gipfel auf, die alt bekannten Gesichter. Der Schnee reicht ihnen herab bis in die Wälder und ich sehe wärmende Erinnerungen.

Später, im Steilwald gegen Grub hinab, liege ich auf einer Bank und blicke in den grauen Himmel, durchzogen von den unendlich vielen schwarzen Strichen der blätterlosen Buchenkronen, blicke wie durch eine zersprungene, von der Fassung noch gehaltene Glasscheibe, so reglos verharrt auch der dünnste Zweig. Hier ist noch nicht mal ein leises Rauschen von Wind. Man hört das Rascheln der Amseln in den Blättern, und dass ein Specht irgendwo in der Nähe auf Nahrungssuche ist. Ich liege und Blicke in die Glasscheibe bis die zahllosen, von Zweigen gefassten Scherben verschwunden sind und mich Tropfen, die durch die leer zurückgebliebenen Rahmen auf mein Gesicht fallen, aufzustehen zwingen, Tropfen einer kalten, das Land verwischenden, überall herabfallenden Masse.

Die Skitour, ein Zeitloser Wert

Auch nachdem man länger nichts dergleichen unternommen hat verspricht ein Ausflug auf den zwei Brettern ins Land der Skihochtour alles was erwartungsgemäss dazugehört. All jenen denen im Alltag nur noch Zeit zum kurzen Träumen bleibt sei also aufmunternd gesagt: Fürs wieder losziehen ist es nie zu spät.

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Ein Bergtermin, drei Tage Anfang März, stand bei uns drei alten Freunden schon lange im Kalender fest. Und dann wurde sogar das Wetter gut, sehr gut: Sonne das Ganze Wochenende, Lawinengefahrenstufe zwei.

Vor der Klostertaler Hütte in der Silvretta genossen wir am Freitagnachmittag die energiegeladene Sonne des verschneiten Hochgebirges, die weiten weissen Hänge aus denen nur vereinzelt Steine schauten und den wolkenlos blaue Himmel, die Stille und die Ruhe, die kraftvolle Strahlung. Solange bis die Sonne versank und uns die Felsgrate, hinter die sie schied, als den Horizont dunkel beherrschende Zackenreihen ins Bewusstsein rückte, als damit und urplötzlich unter dem fernen blauen Himmel die Kälte des Weltalls aus den Schneeflächen stieg und binnen Minuten das Wasser das grade eben noch von der Dachrinne tropfte, in den von uns darunter gestellten Sammeltöpfen gefror. Da flohen wir in die Hütte um einzuheizen, bekamen sie aber nicht so recht warm und fielen Stunden später, als es draussen dunkel war, in einen fröstelnden Schlaf.

Der nächste Tag begann vielversprechend. Die letzten Sterne verschwanden im hellen, zu allen Horizonten hin in feines Rosa übergehenden Blau des Morgenhimmels, als wir im Schatten die flachen Talhänge anzusteigen begannen. Wenig später bemerkten wir die ersten Schneefahnen am Klostertaler Egghorn und hinten am Gletscherkamm, nahmen sie aber nur wohlwollend als ein das Hochgebirge schmückendes, vom Künstler der Gemälde an die Horizonte drapiertes, dramatisierendes Randelement zur Kenntnis. Hoffnungsvoll interpretierten wir sie schliesslich noch als frühmorgendliches Phänomen das bald einschlafen würde, als uns auf einem Moränenkamm entlang gehend die Böen anfassten, leicht aber eisig. Doch diese Böen wurden mehr. Die zahlreichen Spuren von Gestern, auch die breite Aufstiegsspur der wir folgten, waren alsbald verschwunden denn die Pflugschar des Ostwindes hatte die Schneehänge zu einem weiten Acker scharfkantiger, kurz gehaltener Formen erodiert und ein neues Land geschaffen das unsere Kanten als erste durchschnitten. Die Schneefahnen die die Grate schmückten kamen bald auch in wirbelnden Hosen über die Hänge daher. Für Minuten rissen sie dann an unseren Jacken, umspülten die Beine wie das hinter der Welle ins Meer zurückströmende Wasser, und liessen nach Minuten ohne Sicht Minuten der Stille einkehren die immer auch Minuten der absurden Hoffnung waren, die soeben zurückströmende Welle sei die letzte ihrer Art gewesen. Im Windschatten unter den Felswänden des Grates war der Himmel über uns erfüllt von glitzerndem Sternennebel, leise rieselndem Sonnenschnee, lieblich, wäre er nicht hie und da durchzogen von losgerissenen Harschkrusten, die wie Papierfetzen in Wirbeln weit hinauf flogen. Der Gang über den Grat, nun in der Sonne deren Energie in den rhythmisch ein- und aussetzenden Böen auf reine Helle reduziert blieb, glich einem Gang durch eine Traumwelt. Der sonst übliche Westwind hatte grosse Wechten nach Osten vorgebaut, runde und wulstige Bastionen dicht nebeneinander, zwischen denen nur enge Lücken blieben. Durch diese Löcher jagte nun der seltenere Ostwind die Schneefahnen senkrecht in die Höhe, so dass ich zwischen ihnen, den anderen um Zehnermeter voran, wie durch eine Allee aus eisigen Geysiren dem Gipfel entgegen schritt. Hier angekommen sah ich vor mir nur einen Wirbel aus Schneekristallen in den ich eintrat, unwillkürlich in die Hocke ging und einem Drang folgend den Karabiner meines Hüftgurtes in das Stahlseil des Gipfelkreuzes klinkte. Auch hier waren es stets nur Minuten, Minuten die, hatte man sie durchstanden von Stille gefolgt waren in der ein friedliches Hochgebirge unter wolkenlosem Himmel weit ausgebreitet lag. Als die beiden anderen den Gipfel erreichten war ich bereits ausgekühlt und wurde ungeduldig als sie mich nach Punkten des Panoramas fragte.

Später genossen wir die verbleibenden Stunden des Nachmittags vor der geschützten und besonnten Hüttenwand, plaudernd Stille und Wärme tankend, und schliesslich die Zielgerade der Sonne auf die Sonntagsspitzen genau beobachtend um rechtzeitig vor der, der Nacht um Stunden voraus eilenden Kälte in die Hütte zu gehen, zu heizen und dann tatsächlich einen wärmeren Abend, eine wärmere Nacht zu verbringen.

Silvretta12

Der Sonntag war eine Bilderbuch-Skitour. Das Kratzen der Harscheisen auf der hart gefrorenen Aufstiegsspur am schattigen Morgen, der Gang durch die besonnten Hügel zum Litznersattel, der kurze Aufstieg mit den Skiern am Rucksack durch Blockgelände zum Sattelkopf, und vor Allem: kein Wind! Dann die Abfahrt über den Verhupfgletscher durch besten Schnee und weiter zum Vermuntsee. Tausend Höhenmeter über die Hänge hinab wie im Flug, Schwung um Schwung staubte der Schnee. Und was wäre das Ganze ohne die folgenden Bruchharschhänge, die zerfahrenen engen Waldgassen und den im Talschatten noch eisigen Forstweg, hinab bis ins frühlingshafte Partenen. Am Ende waren wir glücklich. Trotz zweijähriger Pause, trotz des bangen Gefühls, trotz des langsamen Schrittes und der schnellen Erschöpfung: Wir können es noch. Hinaus gehen, hinauf und hinab fahren, fliegen.