Jahrbücher

Vor fünfundfünfzig Jahren las ein junger Mann ein paar alte Jahrbücher des SAC. Hingerissen von spannenden Berichten beschloss er, Bergsteiger zu werden. Die SAC-Jahrbücher sind verschwunden, andere haben überlebt, zum Glück, wie unser Rezensent berichtet.

Cover AJ 2014

„The settled conditions experienced in the principal Alpine regions during the first week of January 1914 enabled the Italian brothers Angelo and Romano Calegari, accompanied by Gaetano Scotti, to complete a successful expedition on New Year’s Day. Climbing on foot from a bivouac above the Simplon Pass the made the first winter ascent of the Fletschhorn, reaching the summit by way of the Fletschjoch and descending the same route by moonlight.”

So beginnt das Kapitel „One Hundred Years Ago“ im jüngsten Band der ältesten Bergsteiger-Zeitschrift. Seit dem März 1863 erscheint das „Alpine Journal“ des britischen Alpine Club. Volume 1 umfasst die Jahre 1863/64 und ist 448 Seiten schwer. Volume 118 steht für das Jahr 2014: 427 Seiten vollbepackt mit Infos und Fotos, Stories von heute und gestern, spannenden Touren in der ganzen Welt der Berge und Felsen. Die Rubrik „Vor hundert Jahren“ ist immer so lesenswert wie die „Area Notes“, wo wichtige Besteigungen und Begehungen des letzten Jahres aufgelistet sind, im schottischen Eis so gut wie am helvetischen Eiger. Rezensionen von Büchern machen einmal mehr deutlich, dass die Bergliteratur weiter reicht als die zehnte Auflage der „schönsten Höhenwege zwischen Mont Blanc und Matterhorn“ oder die erste Auflage von „Schneeschuhtouren für Spätaufsteher“. Frank Nugents „In Search of Peaks, Passes and Glaciers. Irish Alpine Pioneers“ dürfte so eine lesenswerte und hierzulande unbekannte Neuerscheinung sein. Immerhin setzten Iren ihre Schuhe als Erste auf die Gipfel von Eiger, Weisshorn und auch fast Matterhorn. Kurz: das AJ ist wie immer ein grossartiger Fundus von Wissens- und Lesenswertem. „A record of mountain adventure and scientific observation“ seit über 150 Jahren, wie der Untertitel lautet. Nicht verpassen: das alljährlich wiederkehrende grosse Bergabenteuer von Paul Ramsden und Mick Fowler auf einen gottverlassenen 6000er, diesmal auf den Kishtwar Kailash (6451 m). Für seine pionierhaften Leistungen am Berg erhielt Fowler, Past-President des Alpine Club, 2012 den King Albert Mountain Award, den die King Albert I. Memorial Foundation alle zwei Jahre vergibt. Eine Seite im neuen „Alpine Journal“ stellt diese Stiftung vor, und ihr Präsident Dominik Siegrist fragt sich in einem so klugen wie bedenkenswerten Text: „Who Owns the Mountains?“ Ja, wem gehören sie eigentlich, die Berge? Und können wir mit ihnen machen, was wir wollen? Oder dürfen bzw. sollten.

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Fragen über Fragen. Sie werden teilweise auch gestellt und beantwortet in einem andern Jahrbuch, das ebenfalls Ende des letztes Jahres erschien, aber im Titel das nächste hat. Das Alpenvereinsjahrbuch BERG 2015, das der Deutsche Alpenverein (DAV), der Oesterreichische Alpenverein (OeAV) und Alpenverein Südtirol (AVS) gemeinsam herausgeben. Wie immer eine grosse Themenvielfalt. Der BergWelten-Schwerpunkt gilt diesmal den Zillertaler Alpen. Genau: In diesem südlichen Seitental des Inntales im Tirol warten nicht nur die Schürzenjäger auf Besucher, sondern auch grosse Gipfel wie der Ahornspitz, an dem 1840 mit dem Salzburger Domherr Peter Carl Thurwieser das Bergsteigen begann. Die Thurwieserspitze erhebt sich aber in der westlichen Ortlergruppe. Die Rubrik BergFokus wendet sich den  Auslandsbergfahrten zu, zum Beispiel den wissenschaftlich motivierten Expeditionen der Brüder Schlagintweit. In der Abteilung BergSteigen wird von Lust und Frust des Expeditionsbergsteigens in Alaska berichtet. Neue Wege in der BergKultur beschreitet der Kulturgeograf Werner Bätzing (auch er erhielt den King Albert Mountain Award) mit der Niederösterreichischen Landesausstellung 2015: Im Zentrum steht die Ötscherregion, ein Kleinod in den Nördlichen Kalkalpen. BergWissen bringt die Fakten zu aktuellen Sachthemen auf den Tisch: Wie ist es um die Gletschersituation im Himalaya und Karakorum bestellt? Wie wirken sich Bewegung und Sport neurologisch aus? Und ganz praktisch: Wie ist es um die perfekte Tourenplanung im digitalen Zeitalter bestellt?

Die Wintererstbesteiger des Fletschhorns hatten www.alpenvereinaktiv.com nicht zur Hand. Es dürfte ihnen nicht entgangen sein, dass sich das Fletschhorn von der Saaser Seite eigentlich leichter erreichen lässt als von der Simplonstrasse aus. Am Neujahr 1914 dürften sie aber einfach nur froh gewesen sein, als sie in der Abenddämmerung endlich auf dem damals noch 4001 Meter hoch gemessenen Gipfel standen: „Siamo molto stanchi, ma felici per la conquista invernale della bellissima montagna.“

The Alpine Journal 2014. Volume 118. Edited by Bernard Newman. The Alpine Club, London 2014, Fr. 45.-. Erhältlich in der alpinen Buchhandlung Piz Buch & Berg in Zürich, www.pizbube.ch.

Alpenvereinsjahrbuch BERG 2015. Herausgeber Deutscher Alpenverein (DAV), Oesterreichischer Alpenverein (OeAV) und Alpenverein Südtirol (AVS); Redaktion Anette Köhler. Tyrolia-Verlag, Innsbruck 2014, € 18,90.

Wer den Bericht über „La prima ascensione invernale del Fletschhorn“ lesen will, findet ihn auf books.google. Und wer mehr zu den Gebrüdern Angelo und Romano Calegari – und auch zu ihrer Schwester Carla – erfahren möchte, schlägt die entsprechende Seite in „Badile – Kathedrale aus Granit“ von Marco Volken auf.

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