Pellegrina delle Alpi

Liebe auf den ersten Blick am Mer de Glace. Was nach einer Alpenschnulze à la Louis Trenker klingt, ist der Beginn einer Ehe und Seilpartnerschaft eines der stärksten (und vielleicht auch schönsten) Kletterpaare der Alpingeschichte. Da kann man nur hoffen, dass die Bücher von und über Gabriele Boccalatte und Ninì Pietrasanta bald auch auf Deutsch erscheinen. Sonst einfach wie der Blitz Italienisch lernen!

„Piccoli rifugi di fortuna incustoditi, baracche sepolto, d’inverno, sotto una coltre di neve, io non posso senza una certa tenerezza ricordarmi di quando m’accoglieste alla vigilia d’un’ascensione pericolosa, o al ritorno da un’impresa superata.”

So beginnt Ninì Pietrasanta das Hütten-Kapitel in ihrem 1934 erstmals veröffentlichten Buch „Pelligrina delle Alpi“ – die Pilgerin der Alpen gehörte in den 1930er Jahren zur italienischen Kletterelite und war eine der wenigen Alpinistinnen, die über das Bergsteigen schrieben. Und nicht nur über grosse Tage am Berg, sondern auch über kleine Hütten, die Geborgenheit verschaffen am Abend vor einer gefährlichen Tour oder bei der Rückkehr einer solchen, „come una buona madre“. 1937 war Ninì Pietrasanta (1909–2000) selbst Mutter des kleinen Lorenzo geworden, und so begleitete sie ihren Mann Gabriele Boccalatte (1907–1938; Absturz in der Südwand der Aiguille de Triolet) nicht mehr auf den schwierigsten Fahrten, wie beispielsweise die Erstdurchsteigung der Südwand der Aiguille Noire de Peuterey am 1. August 1935. Am 18. Juli des gleichen Jahres hatte das Paar gar einen Versuch am noch unbegangenen Walkerpfeiler der Grandes Jorasses gewagt, doch ein Wettersturz zwang sie zum Rückzug ins kleine Refuge de Leschaux.

Also in diese Hütte, mit der ihre Liebe begonnen hatte. Am 9. Juli 1932 war Boccalatte mit Renato Chabod ins Refuge de Leschaux aufgestiegen, um die Nordwand der Grandes Jorasses anzugehen, damals eines der letzten drei Probleme der Alpen, neben den Nordwänden des Matterhorns und des Eigers. Aber schlechtes Wetter verhinderte einen ernsthaften Einstieg. Am 14. Juli stiegen die beiden zwecks Proviantnachschub nach Chamonix ab. Dort trafen sie ihren Tourengefährten Pietro Ghiglione, der von Turin mit zwei Frauen angereist war, mit Ninì Pietrasanta und einer Freundin von ihr. Zum gemeinsamen Mittagessen gesellten sich noch weitere italienische Bergsteiger, so Giusto Gervasutti und Piero Zanetti. Anderntags kehrten die Männer in die Leschaux-Hütte zurück, während die Frauen nach Montenvers gingen, den berühmten Aussichtspunkt über dem Mer de Glace. Auf einer kleinen Tour am 17. Juli verletzte sich Gabriele am Kopf; um verarztet zu werden, stieg er nach Montenvers ab – wo er Ninì trifft, die ihm einen Verband anlegt. Et voilà! Chabod wird in sein Tourenbuch notieren: „Fra la Ninì e Gabriele vi è stato il classico coup de foudre.“ Am 18. Juli wandern die Zwei zusammen ins Refuge de Leschaux. Und am 19. Juli machen sie zusammen mit Chabod, Ghiglione und Zanetti die erste Besteigung einer Granitnadel im gezackten Kamm der Périades gegenüber der Leschaux-Hütte – seither heisst die Nadel Pointe Nini (3455 m).

Diese schöne Geschichte findet sich im prächtig mit zeitgenössischen Fotos illustrierten Buch „Oltre la vetta. Vita e imprese di Gabriele Boccalatte e Ninì Pietrasanta“ von Dante Colli. Und wo findet man die zwei Bücher von bzw. über Ninì? In Milano zum Beispiel, in der Libreria Monti in città am südlichen Rand der Innenstadt unweit der Porta Romana. Es lohnt sich, diese kleine Bergbuchhandlung voller Bücher, Zeitschriften und Karten zu besuchen. Mehr noch: Es gibt auch ausgesuchte Weine aus dem Gebirge zu kaufen. Ein feiner Tropfen kann den Abend in einem piccolo Rifugio noch gemütlicher machen.

Ninì Pietrasanta: Pellegrina delle Alpi. Club Alpino Italiano, Milano 2011, € 22.- Faksimile der Erstausgabe von 1934.

Dante Colli: Oltre la vetta. Vita e imprese di Gabriele Boccalatte e Ninì Pietrasanta. Nuovi Sentieri Editore, Belluno 2016, € 35.-

Libreria Monti in città, Viale Monte Nero 15 in Milano. A due passi da Porta Romana, rund 25 Min. zu Fuss südöstlich des Duomo. www.libridimontagna.net

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