Schnee, Sonne und Stars

Wer vorn nur schwarz sieht, blickt gern zurück, sagt eine alte Weisheit. St. Moritz sieht heute vorn jedoch nur weiss: es schneit! Trotzdem darf man dank diesem «sonnigen Buch» einen Blick in die Geschichte des Wintersports werfen, der gemäss einer Legende in St. Moritz erfunden worden sei: vor 150 Jahren.

Cover Schnee, Sonne und Stars

„Peter kam es vor, es fliege das Dorf unter ihm weg, sein Dorf, putzlebendig wie ein grosser Ameisenhaufen; die grossen Dachzacken des langgestreckten Kulmhotels reckten sich ihnen wie gierige Zähne entgegen, und der schiefe Turm, den sie umflogen, schien bedenklich zu wanken. Aus dem Palace stieg leise und sacht das goldene Saxophon und babbelte und blubberte göttlich vergnügt vom Dach aus den beiden Fliegern nach.“

Das herzerfrischende Bilderbuch „Des St. Moritzer Peterli wunderbares Skiabenteuer“ von Lü De Giacomi-Didio (Text) und Alois Carigiet (Illustrationen) erschien erstmals 1938 und vor zwanzig Jahren in einer Neuausgabe. Der Flug von Peter über das verschneite St. Moritz mit seinen Grandhotels passt perfekt zum Jahresende, wenn der Tourismushauptort des Engadins mit höchsten Tönen blubbert. Und erst recht in diesem Winter, wenn die Geburt des Wintertourismus in der Schweiz und überhaupt gefeiert wird. „Schweiz – das Winter-Original. Seit 1864“ heisst die neue Kampagne von Schweiz Tourismus.

Kulm-Hotelier Johannes Badrutt, so will es die Legende, schloss 1864 mit englischen Sommergästen eine Wette ab. Der Winter im Engadin sei voller Sonnenschein und viel angenehmer als jener in England. Um dies selbst zu erleben, lade er sie in sein Hotel ein. Sollten sie nicht zufrieden sein, übernehme er auch die Reisekosten. Die Engländer kamen zur Weihnachtszeit – und blieben bis Ostern, glücklich und braungebrannt. Die Namen dieser ersten Wintertouristen in der Schweiz kennt man leider nicht, und ob wirklich der Winter 1864/65, kann auch nicht schwarz auf weiss bestätigt werden. Dafür kennt man die ersten Wintergäste von Davos: Hugo Richter und Friedrich Unger. Am 8. Februar 1865 trafen sie mit dem Pferdeschlitten in Davos ein. Beide litten an Tuberkulose und hatten von den Beobachtungen des Davoser Landschaftsarztes Alexander Spengler gelesen, wonach diese Krankheit bei den Einheimischen nicht auftrete. Die Höhenluft musste also gesund sein.

Luft und Licht, Schnee und Sonne, dazu passende Unterkünfte: Einem Aufenthalt in den winterlichen Bergen aus gesundheitlichen, freizeitlichen oder gesellschaftlichen Gründen stand nichts mehr im Wege. Und schon bald kamen sportliche Gründe hinzu. Nur an der Sonne liegen war etwas für Kränkliche. Aber Gesunde wollen sich bewegen. In Davos entdeckte der Journalist und Historiker John Addington Symonds, der Ende der 1870er Jahre seine kranke Lunge kurierte, die Faszination des Schlittelns als Zeitvertreib. Auf der Strecke zwischen Davos und Klosters organisierte er Wettkämpfe, 1883 gründete er den Davos Toboggan Club.

Engländer importierten ihre Leidenschaft für Spiele und Wettbewerbe: Der Wintersport war geboren. Eislaufen, Eisspiele und Schlittenrennen, aus denen Skeleton- und Bobfahren entstanden, machten den Anfang. Als dann der Skilauf aus Norwegen die mitteleuropäischen Gebirge erreichte, setzte eine Entwicklung ein, welche die Bergwelt völlig umkrempeln sollte. In seinem Buch „Schnee, Sonne und Stars. Wie der Wintertourismus von St. Moritz aus die Alpen erobert hat“ schildern Michael Lütscher und seine Mitautoren die Anfänge des Wintertourismus als „Produkt der ersten Globalisierung im späten 19. Jahrhundert“. Denn die meisten Gäste der Pionierzeit reisten aus der halben Welt in die Schweizer Berge. Das grossformatige, mit tollem Bildmaterial ausgestattete Buch fördert Überraschendes zutage. Etwa, dass Les Avants oberhalb von Montreux die erste Winterstation der Romandie war. Grindelwald und das Berner Oberland, die Waadtländer Höhen, die Zentralschweiz und schliesslich das Wallis folgten. Nach und nach wurde der gesamte Alpen- und Juraraum für den Wintertourismus erschlossen. Das lässt sich nun alles nachlesen und anschauen. Da und dort wird eine Kurve nicht ganz rund gefahren, ein paar Absitzer sind auch nicht zu vermeiden. Trotzdem: Ein sonniges Buch zu 150 Jahre Winter-Tourismus.

Inzwischen hat auch Frau Holle ein Einsehen für dieses gross angelegte Wintermarketing von MySwitzerland.com gehabt und Schnee bis in die Niederungen geschickt. Was da passiert, sagte Hans Morgenthaler in „Ihr Berge. Stimmungsbilder aus einem Bergsteiger-Tagebuch“ von 1916 in zwei Wörtern: „Es schneit.“

Damit wünsche ich Euch gute Fahrt ins Neue Jahr: auf Sohlen, Kufen oder Laufflächen.

Michael Lütscher: Schnee, Sonne und Stars. Wie der Wintertourismus von St. Moritz aus die Alpen erobert hat. Verlag NZZ Libro, Zürich 2014, Fr. 88.–

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