Skigeschichten

Von Honoré de Balzac bis Prinz William und Kate Middleton: Ski und Erotik scheinen irgendwie zusammenzugehören. Interessant auch, dass der Dichter schon im Detail den Skilauf in Norwegen beschrieb, Jahrzehnte bevor er in den Alpen Einzug hielten und man die Ski noch Schneeschuhe nannte. Dies und noch viel mehr in zwei Büchern über die Lust am Schnee, ausgewählt von unserem Schneehasen Daniel.

»Halte mich, Seraphitus,« sprach ein blasses junges Mädchen, »und laß mich Atem schöpfen. Nur dich vermochte ich anzublicken, während wir am Rande dieses Abgrundes hineilten; was wäre aus mir geworden? Ich bin ja nur ein schwaches Geschöpf. Ermüde ich dich?«
»Nein,« entgegnete das Wesen, auf dessen Arm sie sich lehnte, »nur vorwärts, Minna! Die Stelle hier ist nicht sicher genug, um auszuruhen.«
Und abermals glitten die langen, an ihren Füßen befestigten Schneeschuhe hell klingend vorwärts; dann gelangten sie auf die erste Platte, die der Zufall kühn aus der Wand dieses Abgrundes hatte hervortreten lassen.
Die Gestalt, die Minna Seraphitus genannt, stemmte sich fest auf ihre rechte Ferse, um das ungefähr eine Klafter lange, aber nur wie ein Kinderfuß breite Brettchen aufzurichten, das mit zwei Riemen von Seehundsfell an ihrem Halbstiefel befestigt war. Das Renntierfell, mit dem die untere Seite des sehr schmalen Brettchens besetzt war, sträubte sich gegen den Schnee und brachte Seraphitus plötzlich zum Feststehen. Er zog seinen linken, mit einem noch längeren Schneeschuh versehenen Fuß heran, schwenkte sich leicht um seine eigene Achse, umfaßte seine furchtsame Gefährtin, hob sie ungeachtet der langen, auch an ihren Füßen befestigten Schneeschuhe empor und setzte sie auf ein Felsstück, das er zuvor vom Schnee mit seinem Pelze gereinigt hatte.
»Hier, liebe Kleine, bist du in voller Sicherheit.«

Ausschnitt aus dem Roman „Séraphita“ von Honoré de Balzac, 1834 erstmals publiziert in der „Revue de Paris“, 1835 dann in Buchform. Die Szene stammt aus dem ersten Kapitel dieser „Etude philosophique“; Séraphitus und Minna machen im Januar 1800 einen Ausflug in die tief verschneiten Berge am Stromfjord in Norwegen, auf „longues planches attachées à leurs pieds“, wie es im Original heisst. Und diese „Schneeschuhe“ sind eben keine Schneeschuhe, wie man sie damals bei uns kannte, sondern Ski. Die beiden unterschiedlichen Fortbewegungsgeräte im Schnee wurden im 19. Jahrhundert immer wieder verwechselt. Fridtjof Nansens Buch, welches ab 1891 das Skifahren in den Alpenländern wirklich bekannt machte, trägt im Deutschen den Titel „Auf Schneeschuhen durch Grönland“. Der norwegische Originaltitel von 1890 lautet „Paa Ski over Grönland“.

Balzac also schildert Ski, als diese hierzulande („Seraphita“ erschien 1836 erstmals auf Deutsch) noch lange nicht in Gebrauch waren. Aber eigentlich hätte man von der Nützlichkeit und dem Fahrspass der Ski wissen müssen, wie Michel Achard in seiner Bibliographie zeigt, welche die Kenntnis des Skilaufs in Frankreich vor 1890 erfasst. Erstaunlich, was er gefunden hat: eine schier unglaubliche Fülle von Texten und Bildern, die den Skilauf vor allem in nordischen Ländern beschreiben und zeigen. Doch irgendwie kam der Ski damals in Mitteleuropa nicht in Fahrt. Wie Achard in seiner ausführlichen Einleitung bilanziert, war der Ski erstens ein exotisches Arbeitsgerät in fernen Ländern, wusste sich zweitens die ländliche Bevölkerung hierzulande im verschneiten Gelände fortzubewegen, kamen drittens die Touristen erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts auch im Winter in die Alpen. Und genau sie brachten dann auch diese langen, schmalen „Schneeschuhe“ mit. Vielleicht probierte der eine oder andere Briefträger die Ski aus, wie der berühmte Snowshoe Thompson in der kalifornischen Sierra Nevada. Aber, so Achard: „Il y eut peut-être plus des facteurs en skis sur les couvertures des magazines que devant les boîtes aux lettres rurales.“

Honoré de Balzac und Michel Achard haben die Lust auf Skigeschichten geweckt. Da kommt nun Ines Sebesta mit ihrem Buch „Lust auf Schnee – Skigeschichte(n) zum Schmunzeln und Staunen“ grad richtig herangekurvt. 44 Geschichten hat sie zusammengetragen: Shorts Stories, Interviews, Aperçus, Gedichte, Reports, Tagebuchnotizen, Anekdoten, geschichtliche Abhandlungen – eine bunte Mischung wie die Farbpalette auf einer Sonnenterrasse eines Skirestaurants. Und dort sind wir auch in voller Sicherheit. Bestellen eine heisse Ovomaltine und beginnen zu lesen. Zum Beispiel die Geschichte 13: „Warum William und Kate wirklich heirateten (Erklärung des Skipsychologen Willibald Schneeweiss zur Liaison von Prinz William und Kate Middleton)“. Seraphitus und Minna wären sicher gerne dabei gewesen.

Michel Achard: La connaissance du ski en France avant 1890. Approche bibliographique 16e – 19e siècle, 2012; eine CD ist in Vorbereitung, mit zusätzlich 200 neuen Funden. Zu bestellen bei n.nordmann@orange.fr.

Ines Sebesta: Lust auf Schnee – Skigeschichte(n) zum Schmunzeln und Staunen. Wieser Verlag, Klagenfurt 2012, Fr. 19.90. www.ines-sebesta.de.

Ein Gedanke zu „Skigeschichten

  1. Das ist sehr erleuchtend! Ich wusste erstens nicht, dass schon Balzac von Skigeschichten sprach und zweitens auch nicht, dass Schneeschuhe häufig mit Skiern gleichzusetzen sind. Ich werde meinen Vater im März nach Norwegen begleiten, wir wollen eine Tour mit dem Auto dorthin machen (haben unseren touran schon entsprechend vorbereitet. Dann werden die Langlaufski ausgepackt und 5 Tage von Hütte zu Hütte gefahren..
    mfg Jan Ove

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