Skikultur

Beim Skifahren kann man nicht nur auf die Nase fallen oder die Finger abfrieren – man kann zum Beispiel auch Könige kennen lernen. Oder die Lilienfelder-Kurventechnik. Oder das Skigebiet Arlberg, das vielleicht nicht besser aber sicher billiger und freundlicher ist, als manch mit Kunstschnee beschneites Skiparadies Helvetiens. Unser Skihistoriker – vor einer Woche noch Sonnenwanderer – informiert umfassend über das Neueste vom Skisport aus vergangenen Zeiten, als der Schnee noch vom Himmel fiel.

„Hab‘ ich schon erzählt, daß ich mein großes Skibuch angefangen habe. Titel: Der Ski, ein Führer durch das winterliche Hochgebirge. Das wird eine epochale Sache.“

Behauptet Xaver Findeis, Bildhauer und Skifahrer nach der Zdarsky-Technik, zu Beginn von Roland Betschs „Gott in der Lawine“ aus dem Bergverlag Rudolf Rother von 1931. Schauplatz dieses „Ski-Sportroman“ (so der Untertitel) ist St. Christoph am Arlberg, aufgezeichnet wird die ganze Entwicklung vom heroischen Skisport zum wintersportlichen Massentourismus, darin eingebettet eine Peer Gynt nachempfundene Tragödie um Baron Peter von der Heydt. „Bitte, wo gibt’s ein Buch über den Skilauf?“, fragt Findeis den Baron und gibt die Antwort gleich selbst: „Nirgends. Ich stehe einzig da. Ich verdiene Tausende.“ So weit bringt es der wilde Xaver aber nicht mehr; noch in derselben Nacht deckt ihn eine Lawine zu.

Cover 1 Spuren

83 Jahre später liegt dieses grosse Skibuch endlich auf. Xaver hätte gejauchzt, der Baron genickt, und Roland Betsch hätte im Register mit Freude seinen Namen registriert und gelesen, dass seine Texte zitiert werden, dass sich auf Seite 106 gar ein Kurzeintrag zu ihm findet: „Dipl.-Ing. ROLAND BETSCH. *1888 Pirmasens, D, † 1945 Ettlingen, D. Ingenieur und Schriftsteller, Autor humorvoller Ski- und Bergromane und eines in erzählender Form geschriebenen Skilehrbuches.“ Tatsächlich: „Spuren. Skikultur am Arlberg“ zeigt uns auf 360 Seiten die Geschichte einer berühmt gewordenen Skiregion und damit vorbildhaft, wie der Skilauf in den Alpenländern ab Ende des 19. Jahrhunderts in alle Schnee- und Gesellschaftsschichten hineingefahren ist und diese verändert hat. Im Vorwort zur Skikultur schreiben Sabine Dettling und Bernhard Tschofen,  „dass aus schwer zugänglichen und entlegenen Bergregionen prosperierende, zuweilen mondäne Orte des Skitourismus wurden. Der früher eher lebensbedrohliche Schnee wurde zum ‚weiβen Gold‘ und kann oder muss mittlerweile auch ‚künstlich‘, sprich technisch hergestellt werden, um die materiale Grundlage des Skilaufs auch unter veränderten klimatischen Bedingungen zu sichern.“ Bis in die jüngste Zeit des Wintersports will dieses Skibuch freilich nicht führen, sondern zeigt beispielhaft in fünf Kapiteln die Zeit von „Raumerschliessung und Terrainerkundung“ über „Tempo und Mythos“ bis zum neuen Aufschwung Richtung Skiparadies nach dem Zweiten Weltkrieg. Und wie eben diese ausserordentliche Geschichte geschildert und gezeigt: mit klugen Texten, saftigen Zitaten und grossartigen, meistens noch nie veröffentlichten Fotos und Illustrationen. Das Ganze so schön dargestellt wie Hannes Schneider, der berühmteste Skifahrer und -lehrer von St. Anton am Arlberg, seine Stemm-Kristianias in die weissen Valluga-Hänge zauberte. Im Anhang finden sich zudem umfangreiche Anmerkungen, die das sehr weite Feld der Skiliteratur erschliessen. Ein paar Legenden mehr hätten das tolle Bildmaterial noch besser verortet, und eine doppelseitige Abbildung einer (Skitouren)karte würde den (Schweizer) Lesern helfen, sich besser zwischen Arlberg- und Flexenpass, Lech und Stuben, Galzig und Kaltenberg zurechtzufinden. Doch das ist nur eine ganz kleine Kritik an diesem wirklich grossen Skibuch.

Cover 2 Zdarsky

Wer sich für die Geschichte des Skilaufs interessiert, wir auch um die folgende Neuerscheinung keinen Bogen machen dürfen bzw. wollen. Das von Otmar Schöner herausgegebene Buch „Mathias Zdarsky und die Bahnbrecher im alpinen Schnee“ widmet sich dem Mann, der vor rund 100 Jahren die Skiwelt teilte. Zdarskys Buch „Die Lilienfelder Skilauf-Technik. Eine Anleitung für Jedermann, in einigen Wochen den Ski vollkommen zu beherrschen“ vom November 1896 war der Startschuss für einen jahrzehntelangen Ski(buch)krieg. Zdarsky hatte eine neue Bindung entwickelt, welche den Schuh seitlich fest am Ski stabilisierte. Das ermöglichte ihm eine radikal neue Fahrtechnik als der sogenannte Norweger Stil, der vor allem im Schwarzwald ausgeübt wurde und von ihrem bekanntesten Vertreter Wilhelm Paulcke vehement vertreten wurde. Das war, vereinfacht gesagt, mehr Langlauf und bei den Könnern dann Telemark, während Zdarskys propagierter Schlangenschwung geeignet für das rasche und sichere Befahren steiler Alpenhänge war und sich auch beim ersten Torlauf der Skigeschichte am 19. März 1905 am Muckenkogel bei Lilienfeld in Niederösterreich bewährte. Schöner selbst schreibt über wenig bekannte Details aus Zdarskys Biographie. Andere Autoren widmen sich den Skipionieren Arthur Ulrichs, Paulcke, Toni Schruf, Franz Reisch, Georg Bilgeri, Hannes Schneider und Arnold Lunn. Auch der Zdarksy-Biograph und Skihistoriker Erwin Mehl wird porträtiert; übrigens ein politisch so unangenehmer Zeitgenosse wie Paulcke (beide waren überzeugte Nazis). Hannes Schneider hingegen wurde 1938 vor den Nationalsozialisten verhaftet und konnte schliesslich in die USA auswandern, wo er in New Hampshire ein Skigebiet aufbaute. Skifahren ist halt mehr als die wechselseitige Belastung von Aussen- und Innenski beim Gleiten im Schnee.

Cover 3 Schneehase

Geschichten zu dieser Bewegung liefert natürlich auch der neue „Schneehase“. So heisst das Jahrbuch des Schweizerischen Akademischen Skiclub (SAS). Die 39. Edition deckt die Jahre 2012 bis 2015 ab, ist grosszügig illustriert und wartet mit spannenden Beiträgen auf. Zum Beispiel: der Skisprung von den Anfängen bis in die 1950er Jahr, also die Zeitspanne, in der die Norweger Weite und Stil angaben; die Geschichte des italienischen Ski Club 18; ein Interview mit Pistenbauer Bernhard Russi inklusive Übersicht und Kommentar zu seinen Pisten; Snowboard und Freeskiing als Inspiration für das 21. Jahrhundert; die von SAS-Gründer Walter Amstutz ins Leben gerufene King Albert I. Memorial Foundation und ihre 49 Albert Mountain Awards. Wo lernten sich der belgische König und Kletterer Albert I. und Amstutz kennen? Beim traditionellen Anglo-Swiss-Abfahrts- und Slalomrennen in Mürren im Januar 1929.

Cover 4 Skiing History

Und noch ein letzter historischer Kristiania: Die sechs Mal im Jahr erscheinende Zeitschrift „Skiing History“ bietet umfangreiche Information zur weltweiten Skigeschichte. Das Magazin wird herausgegeben von der International Skiing History Association, einer gemeinnützige Organisation, die auch die Webseite www.skiinghistory.org  betreibt. Die in den USA erscheinende Zeitschrift beinhaltet häufig Artikel zu Europa und insbesondere zur Schweiz, zum Beispiel zu Vreni Schneider und Maria Walliser, zum Parsenn Derby und 100-jährigen Jubiläum der Abfahrt in Crans-Montana, zu Laurent Donzé und die grösste Langlaufskisammlung der Welt sowie zu Ernst Constam, dem Erfinder des Bügel-Skiliftes.

Mit all diesen Publikationen sind wir bestens gerüstet für das kommende verlängerte Wochenende, wenn vom 10. bis 13. Dezember 2015 in der Ski Austria Akademie in St. Christoph am Arlberg die internationale Konferenz „Skispuren/Ski tracks“ stattfindet. Sie behandelt die Geschichte des Wintersports und speziell die Traditionen des Skilaufs. Weitere Informationen unter www.arlberg2015.org  .

Frohes Skifahren am Arlberg und anderswo wünscht der Skihistoriker von Bern.

Sabine Dettling, Bernhard Tschofen: Spuren. Skikultur am Arlberg. Bertolini Verlag, Bregenz 2014, Euro 34.- www.bertoliniverlag.at
Otmar Schöner: Mathias Zdarsky und die Bahnbrecher im alpinen Skilauf. Reichenau an der Rax 2015, Euro 25.-, www.schoenerland.at
Der Schneehase. Edition 39. 2012-2015. Schweizerischer Akademischer Skiclub SAS. Schriftleitung Ivan Wagner. Simova Verlag, Bern/Zürich 2015, Fr. 79.- www.sas-ski.ch
Skiing History: Die sechs Ausgaben pro Jahr kosten auf Papier $ 59.-, nur digital $ 29.- Alle Abonnenten können mit einem Benutzernamen und Passwort auch frühere Ausgaben der Zeitschrift abrufen, www.skiinghistory.org

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