Tatort Kilchenstock

Eine Nachtwanderung bei Tageslicht mit Lesung auf dem Berg, der den Menschen einst auf den Kopf fallen wollte. Uns hat er getragen.

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Mit Wanderleiterin Gabi Aschwanden am Berg unterweg sein ist immer ein Vergnügen, auch wenn die Sonne brennt und der Schweiss trieft und der Rucksack drückt. Der Prophet geht zum Berg, die Bibel im Gepäck. Ah, dieser Schritt, und dann trägt Gabi auch noch einen zweiten Rucksack, damit wirklich alle mithalten können. Ja, der Kilchenstock ist steil, haarsträubende Blicke in Abgründe aus bröckligem Gestein und fast senkrechten Grashalden. Da krachts immer mal wieder durch die Runsen herab, Geissrus, Ätschrus, Gerenrus und sogar eine Füdlärus gibt’s da. Auch der Weg, den Forstleute mit Leuten aus einem Arbeitsprogramm gepickelt haben, rutscht da und dort schon wieder. Eigentlich rutschen ja alle Berge, nur die einen etwas schneller. Der Kilchenstock gehört zu denen.
Also die Bibel ist eigentlich ein historischer Roman, der gleich heisst wie der Berg. Wobei, die Landeskarte nennt ihn echt Glarnertüütsch Chilchestogg und der Gipfel, den wir nun endlich erreicht haben, soll Plattähöräli heissen und kommt in der Karte überhaupt nicht vor. Die wird halt in Bern gemacht und die dort oben wissen es wohl nicht besser und eigentlich ist es ja doch nicht so richtig ein Gipfel, eher ein Vorsprung mit ein paar plattigen Felsköpfen und super Aussicht tief, tief hinab ins Tal. Drüben am Ortstock hängen Nebelschwaden. Wir setzen uns ins Gras (Achtung, Zecken!), es gibt Bio-Champagner und Brötchen mit Kapuzinerbutter. Sicher sehr gesund. Allmählich wird es kühl. Der Prophet hält Lesung aus seiner Kilchenstock-Bibel. Ein Gleichnis fürwahr, die Geschichte des erwarteten Bergsturzes um 1930, der Mensch im Zwiespalt zwischen Wissenschaft und Glaube, mitten drin der gute Pfarrer Frey. Wie der da auf den Berg steigt um zu kontrollieren, wie weit der Bergsturz schon gediehen ist und sich dabei in diesem abschüssig-glitschig-brüchigen Gelände verirrt, da kommt einem das Frösteln an. Vielleicht ist’s auch, weil die Sonne nun hinter dem Ortstock oder den Jägerstöcken oder dem Eggstock abgetaucht ist. Schnell noch die Liebesgeschichte von Emil und Babetta Zopfi vorgetragen, die damals im Staub und Lärm des krachenden Gesteins entflammte. Eine Romanze zwischen Arbeiter und Bauerntochter in der Spinnerei Schuler in Rüti. Tief unten sieht man die Bettschwander Kirche, wo sie anno 1934 heirateten. Lesung am Tatort nennt man das, das Signieren verschieben wir auf den Mitternachtsimbiss im Obbort. Gut, ist noch Licht genug für den Abstieg, bei dem allen wieder warm wird um Hände, Füsse und hoffentlich auch Herz.

(Fotos Vitus Schweizer)

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