Trockenmauern

Fast so schwer wie ein Stein in einer Trockenmauer ist das besprochene umfassende Buch über die steinernen Kunstwerke, die fast unbeachtet die Landschaft schmücken und stützen. Lebenswelt für Pflanzen und Tiere, für Menschen, die von Terrassenkulturen lebten, schweisstreibendes Menschenwerk und fast selber Teil der Natur.

RZ2a_Flyer.16.05.14.indd

„Trockenmauern und Terrassenlandschaften sind ein kleines, aber sehr relevantes Beispiel dafür, dass der Mensch die Natur stark verändern kann, ohne sie zu zerstören. Unsere postmoderne Gesellschaft, die dies in allen Bereichen neu lernen muss, kann anhand solcher Beispiele sehr konkret erfahren, dass menschliche Naturveränderungen nicht automatisch ökologische Probleme verursachen, sondern der Mensch die Verantwortung für die dauerhafte ökologische Stabilisierung der von ihm veränderten Natur übernimmt.“

So setzt Prof. Dr. Werner Bätzing den Schlussstein unter seinen grundlegenden Essay „Leben in den Alpen – mit Zukunft?“, darin er sich mit den Trockenmauern in den Alpen befasst. Mit jenen Mauern also, die aus Steinen erbaut wurden, und zwar trocken, ohne Mörtel oder Zement. Einfach Stein auf Stein und Stein auf Stein. Aber was heisst da einfach? Kunstvoll ist das richtige Wort. Wie in der Trockenmaueranlage im Rebberg Clos de la Conchetta bei Sion, die als eindrücklichste Anlage des Wallis, der Schweiz, ja vielleicht der Welt gilt: Die bis zu 280 Meter langen Mauern sind je nach Stelle zwischen 12 und 22 Metern hoch. Nicht ganz so hoch, dafür freistehend ist der um 1840 erbaute Eisenbahndamm von Cei Mawr der Ffestiniog Railway in North Wales: 19 Meter. Einst fuhren die Güterzüge der Schieferbergwerke darüber, heute sind es Passagierzüge. An der alten Gotthardbahnlinie gibt es ähnliche verblüffende, intakte Trockenmauern, und die durch Mauern entstandenen Terrassenlandschaften von Linescio oberhalb Cevio in der Vallemaggia gehören zum Eindrücklichsten und Schönsten, was man im Tessin bewundernd erwandern kann. Oder muss ich schreiben: konnte? Denn Trockenmauern sind halt manchmal doch nicht für die Ewigkeit gebaut, sondern bedürfen der Pflege.

Nun hat die Stiftung Umwelt-Einsatz Schweiz ein Buch herausgebracht, das alles umfasst, was es zum Thema zu sagen, zu beschreiben und zu zeigen gibt. Eine von Fachleuten klar und verständlich verfasste, mit tollen Fotos und Zeichnungen illustrierte Publikation im Format 20 auf 30 Zentimeter, gut 1900 Gramm schwer; fast wie schön behauener Stein, den man oben drauflegt auf ein Trockensteinmäuerchen. Schlicht ein grosses „T“ steht auf dem Cover und auf dem Rücken des Buches, simpel und stilvoll wie die Mauern und Treppen, Gebäude und Brücken, denen es sich widmet. Kurz: das papierene Standardwerk für die steinernen Kunstwerke.

Auf 470 Seiten steht von Anfang bis Abspann alles drin über Trockenmauern. Wie man sie macht (und nicht), wie man zusammen arbeitet, wie sie entstanden sind und welche Bedeutung sie haben, welche reichhaltige Flora und Fauna sie beherbergen (so die Echte Osterluzei und den Osterluzeifalter), wo grossartige Beispiele zu besichtigen sind (eben zum Beispiel der Clos de la Conchetta bei Sion). Das wär doch ein Ausflug für den Ostermontag. In diesem Sinne: Ob zu Hause im Trockenen oder am Fuss einer Trockenmauer in den Sonnenstuben der Schweiz – frohe Ostern!

Stiftung Umwelt-Einsatz Schweiz (Hrsg.): Trockenmauern. Grundlagen, Bauanleitung, Bedeutung. Haupt Verlag, Bern 2014, Fr. 110.- www.haupt.ch, www.trockenmauerbuch.ch

2 Gedanken zu „Trockenmauern

  1. Vielen Dank, Daniel Anker! Ihr schöner Text freut uns so, dass wir auf der Website des Buches jetzt im Medienspiegel auch noch das Kapitel „Blogs“ einführen und auf Ihren Blog verlinken. Herzliche Grüsse, Christine Loriol

  2. Lieber Daniel
    Schöner Text über diese Trockenmauern, die sich geschmeidig in die Natur einfügen und doch oft wenig Beachtung erhalten. Mein Sohn hat in seinem Zivildienst monatelang Trockenmauern gebaut, bei Wind und Wetter, und er ist stolz darauf, seinen Beitrag zur Erhaltung geleistet zu haben.

    Herzlich grüsst dich
    Annette

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert