Unten statt oben

Der eine schreibt alpine Literatur. Der andere darüber. Fehltritte gibt es in beiden Werken. Auch wenn sie Ludwig Hohl nachklettern, den Pickel beherrschen sie nicht wirklich, den Stift auch nicht immer.

„Wir trafen uns um acht Uhr. Die beiden Damen waren verschwunden, dafür stand eine Flasche wallisischer Chardonnay auf dem Tisch neben einem dünnen weiβen Buch: Ludwig Hohls Bergfahrt.“

Da kann ich nur sagen: Prost! Und es wird nicht bei der einen Flasche Chardonnay aus Wales bleiben, die der Journalist und Germanist Andreas Lesti und der emeritierte Germanistikprofessor und Berggänger im Grandhotel Mont Cervin Palace trinken werden, und dabei über Hohls „Bergfahrt“ und andere Bergbücher parlieren. Aber ehrlich gesagt: An ihrer Stelle hätte ich mich lieber mit den Damen über das Boutique-Angebot in Zermatts Bahnhofsstrasse oder über die Anzahl Viertausender unterhalten, die man vom Gornergrat aus sieht, als solch unpassenden Wein zu trinken. Und auch wenn „wallisisch“ ein Tippfehler ist, dann ist Chardonnay eben gerade kein typischer Walliser Wein.

Eine falsche Etikette sozusagen. Leider nicht die einzige in Lestis im September 2013 publizierten Werk „Oben ist besser als unten. Eine literarische Expedition in die Alpen.“ Ein paar Beispiele gefällig? Da entspringt die Aare in Meiringen, und die Aareschlucht liegt am Fuss des Schreckhorns. Da waren um 1800 nur sieben grosse Alpengipfel bestiegen, aber um 1854 gab es dann nur noch 39 unbestiegene. Da ist der Monte Rosa der höchste Gipfel Italiens. Da gelang es Heckmair und Gefährten erst 1938, den Eiger zu bezwingen. Da entdeckt Lesti mit Thomas Burnet (1635-1715) „den ersten Autor der Welt, der positiv über Berge schrieb“, und vergisst Conrad Gessner, Johannes Müller, Bendicht Marti und andere, die dies lange vor Burnet taten. Kurz gesagt: schludrig. Ob es am falschen Chardonnay liegt?

Und dann diese Zufälle, dass er auf seiner literarischen Reise durch die Alpen immer wieder das richtige Buch und den passenden Gesprächspartner findet. Wirkt mit der Zeit irgendwie unglaubhaft. Schade, genauso wie die inhaltlichen Fehltritte. Denn Andreas Lesti zieht durchaus lesenswerte Bergbücher aus Gestellen und Schubläden, aus dem Rucksack und hinter dem Hüttenofen hervor.

Ludwig Hohl hat seinen Auftritt auch in „Niedergang“ von Roman Graf; der Roman schaffte es in diesem Herbst auf die Shortlist des Schweizer Buchpreises. Graf erzählt von einer Bergtour irgendwo in den Schweizer Alpen, die ein ungleiches Paar unternimmt. Während der Schweizer André unbedingt auf den Gipfel will, den widrigen Verhältnissen zum Trotz, geht seiner deutschen Freundin Louise Schnauf und Lust aus. Hohls Helden lassen grüssen: Der eine setzt die Bergfahrt weiter, der andere kehrt um. Am Ende sind beide tot. Wie es Louise ergeht, erfahren wir nicht. André jedoch erreicht mit letzter Kraft den Gipfel.

Graf schreibt spannend, eindringlich, anschaulich. Die Geschichte, die Tour entwickeln einen Sog. Auch wenn einem dieser egoistische, sture André eigentlich zutiefst zuwider ist. Er ist nicht das Problem. Sondern sein Gipfelsturm: Er gleicht dem wallisischen Chardonnay. Zuerst ist der Weg noch mit Stahlseilen gesichert, doch am wenig hohen, senkrechten bis überhängenden Gipfelturm steckt dann nur ein Haken, und André muss in den Wanderschuhen an „Streichholzschachtelsteinen“ eine Siebnerstelle klettern. Den Rucksack und das Seil (zum Abseilen) hat er unten gelassen, dafür einen Energieriegel in die Tasche gesteckt. Natürlich ist es Nacht, als er endlich ganz oben ankommt; um nicht zu erfrieren, baut er sich mit dem frisch gefallenen Schnee ein Iglu. Wirkt ziemlich unglaubhaft. Schade. Fehlt bloss noch, dass der Held aus dem Gipfelbuchbehälter ein Bergbuch herausklaubt. Die Titel könnten lauten: „Abwärts“ oder „Unten statt oben“.

Andreas Lesti: Oben ist besser als unten. Eine literarische Expedition in die Alpen. Rogner & Bernhard, Berlin 2013, Fr. 32.90.
Roman Graf: Niedergang. Knaus Verlag, München 2013, Fr. 28.90.

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