Wasserwunder

Ohne Wasser keine Berge, ohne Berge kein Wasser. Das haben wir ja schon in der Schule gelernt. Hier geht’s also bergab, bzw. bachab. Auf dem Rhein oder durchs Küsnachter Tobel und 21 weiter Zürcher Tobels oder Töbeli. Was interessanter ist, muss jeder, jede für sich entscheiden. Oder einfach auf dem Sofa sitzen bleiben und beides per Bildband geniessen. Allenfalls dann noch ins Alpine Museum zur Wasserausstellung am Ufer der Aare.

„Küsnacht (427 m), grosses schönes Dorf mit 4100 Einw., Kantonales Lehrerseminar, schöner Spazierweg ins wildromantische Küsnachter Tobel.“

So preist „Bürgis Illustr. Reiseführer – Sommer in der Schweiz“, 1910 erstmals und 1913 in dritter erweiterter Auflage erschienen, das Dorf Küsnacht am rechten Ufer des Zürichsees. Dort landen wir nach der Wanderung von der Forch durch das schon damals als wildromantisch angepriesene Küsnachter Tobel. Vorbei am 250 Tonnen schweren, 5 Meter hohen Nagelfluhblock, der am 23. April 2013 aus der Schluchtwand herunterpurzelte und genau zwischen Wanderweg und Dorfbach liegen blieb – besser hätte es dieser sogenannte Ausreisser nicht machen können. Zumal er in Form und Grösse erst noch dem Alexanderstein weiter unten im Tobel gleicht; dieser Felsblock kommt allerdings von weit her, vom Hausstock in den Glarner Alpen, und der Linthgletscher hat ihn in rund 400 Jahren hertransportiert und dann vor rund 15000 Jahren liegengelassen, als er abschmolz. Diesen erratischen Block aus Taveyannaz-Sandstein nannte man früher „Wöschhüslistein“; er erhielt den heutigen Namen zu Ehren des Küsnachter Geologen Alexander Wettstein, der 1887 zusammen mit fünf Gefährten, darunter seinem Bruder, an der Jungfrau verunglückte.

Alpine, ja alpinistische Spuren also im Küsnachter Tobel, an dessen Ausgang 65 nummerierte Blöcke aus Baugruben der Umgebung ausgestellt sind. Mit der Liste vor Ort kann man einen schieferigen Siltstein von einem dichten Kalk mit gelbem Ankerit unterscheiden; die Steine sehen je nach Licht und Bemoosung allerdings ziemlich ähnlich aus. Vorne im Küsnachter Horn, dem vom Dorfbach aufgeschütteten Delta, liegt nochmals ein Findling im Kieselstrand, umspült von den Wellen, welche die Kursschiffe auslösen. Genau dort können wir je nach Jahreszeit ein kaltes oder warmes Bad nehmen, bevor wir dann in der „Sonne“ nebenan auf diese feine Wanderung durch das längste Tobel am Pfannenstiel anstossen.

Und auf ein Buch, das dieses Tobel und zahlreiche andere mit grossartigen Fotos, klugen Texten, präzisen Karten, Profilen und Informationen vorstellt: „Wasserwunder. 22 verwunschene Tobelwanderungen im Kanton Zürich“ von Michel Brunner und Ueli Brunner. So geheimnisvoll und gleichzeitig zu wünschenswert zu jeder Jahreszeit sah man den bevölkerungsreichsten Kanton der Schweiz noch nie. Genau: Dass er eben mehr als Häuser und Hallen, Strassen und Schienen, Flugplätze und Fabriken aufweist, zeigt dieser Bildbandführer. In diesem Fall eine durch das Wasser geprägte Natur, in die wir nun mit diesem Werk eintauchen können, zuerst Seite um Seite, später hoffentlich Schritt für Schritt.

Wenn wir schon grad am Wasser wandern oder weilen: Ein neuer Fotoband widmet sich mit dem schön doppelsinnigen Titel „Bilderstrom“ einem der berühmtesten Flüsse Europas, dem Rhein, kapitelweise von heute bis zu den ersten Aufnahmen des Stromes von Charles Marville mit der Festung Ehrenbreitstein, der Burg Katz, der Ruine Godesburg und dem Siebengebirge dahinter – alles Örtlichkeiten, die den Schweizern in Rheinsachen weniger geläufig sind. Die ausgewählten Werke der 60 Fotografen zeigen den 1232 Kilometer langen Fluss fast ausschliesslich auf seinem deutschen Abschnitt. Immerhin: Die Kölner Fotografin Ruth Hallensleben (1898–1977) ging über den Rheinfall hinaus bis zum jungen Vorderrhein, und Jos Schmid wässerte im letzten Jahr eine Polaroidemulsion der Vorderrheinquelle in derjenigen des Hinterrheins.

Der Fotoband „Bilderstrom“ erschien zur gleichnamigen Ausstellung im LVT-LandesMuseum Bonn. Sie ging im Januar 2017 zu Ende. Wer sich aber für das Thema „Wasser“ interessiert, muss aarewärts nach Bern reisen, ins Alpine Museum zur grossen Ausstellung „Wasser unser“.

Michel Brunner, Ueli Brunner: Wasserwunder. 22 verwunschene Tobelwanderungen im Kanton Zürich. AS Verlag, Zürich 2016. Fr. 48.- www.as-verlag.ch

Bilderstrom: Der Rhein und die Fotografie 2016–1853. Herausgegeben von Christoph Schaden. Hatje Cantz Verlag, Berlin 2016, € 29.80. www.hatjecantz.de

Wasser unser. Sechs Entwürfe für die Zukunft. Sonderausstellung im Alpinen Museum der Schweiz in Bern vom 27. Oktober 2016 bis 7. Januar 2018. www.alpinesmuseum.ch

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