A l’assaut des „quatre mille“

Wieder mal eine Entdeckung unseres Bergbüchersammlers: Raymond Lambert, einer der ganz grossen Bergsteiger der Schweiz und einmal auch der «höchste Mensch der Welt», erzählt von Stunden in Fels und Eis und Augenblicken am Rand des Abgrunds. Ach ja, Französisch müsste man können.

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«Enfin, c’est la calotte de la Verte. Il commence à neiger et les nuages, au-dessous de nous, lèchent les flancs du massif. Brassant la neige jusqu’à mi-jambe nous atteignons le sommet. Il est seize heures quarante-cinq, mais je ne peux me priver de la traditionnelle cigarette de la victoire.»
Und fast wäre es auch die letzte Zigarette geworden für den Genfer Raymond Lambert. Am 9. und 10. September 1934 überschritt er zusammen mit Loulou Boulaz die Aiguille Verte (4122 m), mit Aufstieg über den schwierigen Aiguille-Sans-Nom-Grat und Abstieg durch das gefährliche Whymper-Couloir. Kurz nach der Gipfelzigarette entlud sich ein fürchterliches Gewitter, die beiden Alpinisten entledigten sich der Steigeisen, Pickel und Haken. Und begannen ohne diese wichtigen Hilfsmittel den Abstieg durchs Couloir, an dessen Rand sie biwakieren mussten, in feuchten Kleidern, ohne Essen, aber mit ein paar trockenen Zigaretten. „Hélas! un peu plus tard, nous devrons nous apercevoir que les allumettes, elles, sont mouillées…“ Boulaz und Lambert überstehen die Nacht, aber beim Weiterabstieg lösen sie ein Schneebrett aus, mit dem sie über den Bergschrund auf den Gletscher am Rinnenfuss abstürzen. Wie durch ein Wunder kommen sie mit ein paar blauen Flecken davon.
Das Abenteuer an der Aiguille Verte erzählt Raymond Lambert (1914-1997) in seinem Buch  „A l’assaut des ‚quatre mille‘“. Ich entdeckte es am vergangenen Dienstag in der „Boutique du livre“ an der Rue des Chavannes 4 in der Altstadt von Neuchâtel und kaufte es zusammen mit „Nouvelles escalades dans les Alpes“ von Geoffrey Winthrop Young (in der berühmten Bergbuchkollektion von Victor Attinger, Neuchâtel) und mit „342 heures dans les Grandes Jorasses“ von René Desmaison – drei klassische Bergbücher. Ganz oben auf meiner Wunschliste war vor allem das Werk von Lambert gestanden; er ist einer der ganz grossen Bergsteiger der Schweiz und war für ein Jahr auch „l’homme le plus haut du monde“ – so heisst sein Buch im Untertitel der zweiten Auflage. Denn 1952 erreichte Raymond Lambert mit Sherpa Tenzing Norgay am Everest die Höhe von knapp 8600 m; den Gipfelsturm unternahmen sie nicht, weil sie wussten, dass es ein Aufstieg ohne Rückkehr geworden wäre. Ein Jahr später wurde der höchste Gipfel der Welt dann bis zuoberst bestiegen.
Herzstück von Lamberts Buch, das 1946 erstmals erschien, ist der Bericht über die erste Wintertraversierung der Aiguilles du Diable am Mont Blanc de Tacul, zusammen mit Erica Stagni und Marcel Gallay; eine Tour, bei der die drei Alpinisten um ein Haar im gnadenlosen Wintersturm erfroren wären. Lambert und Gallay bezahlten das Abenteuer mit der Amputation von Fingern und Zehen, und auch die Retter erlitten schwere Erfrierungen. Titel dieses Berichts: „L’Hôtel-de-la-Mort-lente“.
Raymond Lambert: A l’assaut des „quatre mille“ (deuxième édition). Dix récits de haute montagne suivis de „Altitude 8600“ ou l’homme le plus haut du monde (recueillis par Claude Varennes). Editions Jeheber, Genève 1953.
Marcel Gallay seinerseits publizierte drei Bücher über das winterliche Drama an den Aiguilles du Tacul, das sein Leben total veränderte.

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