Ab in die (Süd-)Schweiz!

Vier neue Schweizer Wanderführer. Nur im Zimmer bleiben ist nicht schöner. Worauf warten wir noch?

«Es ist Zeit, ab mit dir in die Sonnenstube der Schweiz. Wozu hat der Herrgott uns in unserem Land so eine schöne Vierzimmerwohnung eingerichtet? Da, die deutsche Schweiz, das ist die saubere, freundliche, grüne Arbeitsstube, die Westschweiz, das ist unser Salon, prächtig geputzt und glänzend, die romanische Schweiz, das ist das Schlafzimmer, geräumig mit offenem Fenster, durch das die Ruhe und die kühle Bergluft strömen, und das Tessin, dort hinter dem dunklen Gotthardkorridor, das ist das Südzimmer, das Balkonzimmer voller Sonne.»

Sonniger, wenn auch verstaubter Ausschnitt aus dem 1947 erstmals aufgelegten Buch «Piccolina» der fleissigen Kinderbuchautorin Elsa Muschg (1899–1976); ihr Halbbruder ist Adolf Muschg, geboren 1934. Mit vier neuen Wanderführern unter dem Arm bzw. im Rucksack sehen wir uns mal die Vierzimmerwohnung an und beginnen gleich in der Sonnenstube.

Nicola Pfund stellt in «Da un gradino all’altro: Le più belle scalinate del Canton Ticino» vor. Auf 33 Wanderungen nimmt er uns mit zu besonderen Treppen im Sottoceneri (13), im Sopraceneri (18) sowie im Misox (2). Schmugglerpfade, ausgesetzte Alpwege, ein bildstockgeschmückter und gepflästerter Kreuzweg, die Treppen neben Drahtseilbahnen: immer ermöglichen erst von Menschen geschaffene Stufen ein gutes Gehen, auf- und abwärts. Und das gerade mit Tessin mit seinen steilen Flanken. Wegen der schweren Unwettern und Überschwemmungen im Maggiatal und im Misox sind dort zurzeit viele (Treppen-)Wege gesperrt. Aber gerade im Sottoceneri, nicht sehr bekannt und besucht als Wanderland, gibt es viel zu ersteigen. Der mit neuen und alten Fotos bestückte Führer von Pfund hilft bei der Suche nach schweisstreibenden Aufstiegen von Stufe zu Stufe.

Dem dunklen Gotthardkorridor entsteigen wir mit dem „Walserweg Gottardo“ von Peter Krebs. Im Frühling 2024 ist dieser Weg eröffnet worden. Damit wurde erstmals auch das Oberwallis als Ursprungsgebiet der mittelalterlichen Emigration in die Weitwanderung „Grosser Walserweg“ einbezogen; er wird einst alle Walserorte von Frankreich bis Österreich verbinden. Doch jetzt wandern wir mal mit in siebzehn Etappen von Binn via Ossola und Bosco Gurin und Andermatt nach Vals zuhinterst in einem Seitental der Surselva. Wir müssen ja nicht gleich die 270 Kilometer in einem Stück machen, sondern können mit den genauen (wander-)touristischen Angaben auch nur ein paar Tage Gottardo unter die Füsse nehmen. Dank der Hintergrundgeschichten zu Themen wie Alpkäse, Alptourismus und Walsern lohnt sich das Buch ebenfalls zur Heimlektüre. Doch wenn man die tollen Fotos anschaut, möchte man gleich losziehen. Für den Rucksack ist das Buch etwas gar schwer; das Beiheft passt hingegen gut hinein.

Wir bleiben noch in der südlichen Schweiz. Und wandern mit Bernd Jung und Iris Kürschner luftig über Gipfel und Grate vom Wallis durchs Tessin nach Graubünden, dabei immer so hoch oben wie möglich bleibend. Mit grossartigen Fotos, genauen Wegbeschreibungen und klaren Karten stellt das bekannte Führerduo in «Gratwandern Südschweiz» 60 Tages- und Mehrtagestouren vor. Die kürzeste dauert knapp drei Stunden, die Via Alta della Verzasca fünf Tage. 32 Touren sind blau (bis T3), 12 rot (T4) und 19 schwarz (T5 und T6). Ob grasig und breit oder felsig und schmal, ob mit oder ohne Klettereinlage: genussvolle oder spektakuläre Tief- und Weitblicke sind bei allen Wanderungen sicher, vom Grammont überm Genfersee bis zum Munt Pers überm Morteratschgletscher. GPS-Daten können heruntergeladen werden, aber eigentlich braucht es sie nicht: Einfach dem Kamm folgen, auch wenn es schwierig wird.

Nun haben wir die Vierzimmerwohnung ausführlich erkundet, uns mit dem dritten Führer auch schon etwas im Salon umgesehen. Aber dort tagelang unterwegs sein können wir mit diesem Buch hier: «Légendes de la Gruyère et du Pays-d’Enhaut. 100 récits et 30 itinéraires pédestres» von Jacques Rime. Der Autor, ein katholischer Pfarrer, ist ein erstrangiger Kenner des Greyerzerlands mit seiner (berg-)religiösen Geschichte und seinen legendenhaften Erzählungen. Er hat 2021 die Habilitation «Le baptême de la montagne. Préalpes fribourgoises et construction religieuse du territoire (XVIIe-XXe siècles)» publiziert – das genauste regionale Porträt einer Berglandschaft von der religiös-spirituellen Seite. Leichter lesbar und vor allem vor Ort nachvollziehbar ist sein neues Buch mit Legenden und Wanderungen in seiner Heimat. Wir kommen da an einigen Chalets vorbei, in deren Küchen – diese hat Elsa Muschg in ihrem Wohnungsvergleich irgendwie vergessen – der vielleicht berühmteste Käse der Schweiz hergestellt wird.

Nicola Pfund: Da un gradino all’altro: Le più belle scalinate del Canton Ticino. Fontana Edizioni, Pragassona 2023. Fr. 39.-
Peter Krebs: Walserweg Gottardo. Oberwallis, Val Formazza, Tessin, Gotthard und Surselva. Inkl. Beiheft mit allen Informationen zu den 17 Etappen. AS Verlag, Zürich 2024. Fr. 39.-
Bernd Jung, Iris Kürschner: Gratwandern Südschweiz. 60 Touren im Wallis, Tessin und Graubünden. Rother Bergverlag, München 2024. Fr. 41.90.
Jacques Rime : Légendes de la Gruyère et du Pays-d’Enhaut. 100 récits et 30 itinéraires pédestres. Éditions Cabédita, Bière 2024. Fr. 32.-

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