Ab ins Bündnerland

Nie ist kulturalpin mehr los in der Ferienecke der Schweiz als während des Bergfahrt Festivals in Bergün. Als Zugslektüre ein Bericht, ein Führer und eine besondere Biografie.

«Sonntag, 9. Juni 2024, 09:45 – 10:30 im Blauen Saal im Kurhaus Bergün.

Das Floss der Medusa auf dem Palpuogna-See. Ernst Bromeis mit der Schwimmanleitung in Zeiten des Untergangs. Musik und Wort.

In Zeiten, wo links und rechts von einem die Welt untergeht, ist es von Vorteil, wenn man schwimmen kann. Wasserbotschafter (an Land) und Expeditionsschwimmer (im Wasser) Ernst Bromeis rudert mit uns auf dem Flügel über den stürmischen Lai da Palpuogna. Improvisation auf der Klaviatur des Lebens ist gefragt.»

Nur eine der schier unzähligen Veranstaltungen, die das Bergfahrt Festival Bergün vom 7. bis 9. Juni bietet. Wer noch nie dort war, sollte unbedingt mal mit der RhB zu diesem Ort am Albulapass reisen. Und wer ihn kennt und das Programm von Cultura alpina in Bravuogn, wird einmal mehr überrascht sein, wie vielfältig, spannend, überraschend die Bergüner Bergfahrt auch in diesem Jahr ist. Ernst Bromeis übrigens hat 2008 ein spektakuläres Buch zu Graubünden verfasst (https://bergliteratur.ch/245/). Graubünden ist eben auch Blaubünden.

Am Lai da Palpuegna (oder Palpuogna, es finden sich beide Schreibweisen) machte vor drei Jahren der Weitwanderer Reto Küng eine kurze Rast. Dort trifft er auf seiner längsten Etappe (33 km) von Savognin zur Chamanna d’Es-cha „erstmals auf einige Tagestouristen. Dies ist nicht verwunderlich, der See gilt als einer der schönsten Graubündens und ist leicht zugänglich. Ich raste für eine halbe Stunde an seinem Ufer.“ In 43 Etappen mit insgesamt 932 Kilometern marschierte Küng quer durch die Schweiz und hielt das Trekking mit lockerem Text und 140 meist grossformatigen Fotos fest im Buch „Indirettissima. Auf Umwegen vom Waadtländer Jura in die Val Müstair“. Der Haupttitel ist eine Anspielung an die legendäre „Direttissima Schweiz“ von 1983, die auf dem Kilometer 160 von Westen nach Osten in die Val Müstair ging.

Auf der 36. Etappe gelangte Küng nach Thalkirch im Safiental, auf der 37. weiter nach Zillis in der Val Schons. Beide Orte liegen im Naturpark Beverin/Parc natiral Bavregn, der sich über 515 km2 rund um den Piz Beverin (2997 m) erstreckt. Wer den Naturpark Beverin richtig kennenlernen will, packt den „Kultur- und Landschaftsführer rund um den Piz Beverin“ in den Koffer – noch besser in den Rucksack. Denn er zeigt die schönsten Routen für Naturliebhabende und Wanderfreundinnen, Mountainbiker und Skitüüreler. Zudem bringt der kompakte Führer den Lesenden zahlreiche Facetten des Naturparks näher. Wer sind die Menschen, die hier leben und arbeiten? Wie kam es, dass der Steinbock in einer Kolonie mit über 400 Tieren am Bärenhorn und an den Grauhörnern heimisch ist? Wie prägen Rätoromanen und Walser die Landschaft und das Leben bis heute? Welche Bedeutung hat die Lage des Naturpark Beverin an einer der ältesten Nord-Süd-Achsen der Alpen (Via Mala)?

Aber für Bergün reisen wir von Thusis nicht auf dem „schlechten Weg“ Richtung Zillis, sondern bleiben in der RhB hocken. Und nach dem Festival fahren wir, knapp am Lai da Palpuegna vorbei, durch den Albulatunnel hinüber ins Engadin. Zu diesem weltberühmten Hochtal hat Karsten Plöger das hoch interessante Buch „Biografie einer Landschaft“ geschrieben. Nach dem Abschluss seines Studiums an der University of Oxford mit einer Dissertation zur mittelalterlichen Diplomatie war Plöger wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut London und von 2010 bis 2018 als Lehrperson und Mitglied der Schulleitung am Lyceum Alpinum Zuoz tätig. Er erzählt von Bauern und Hirten, von Säumern, Söldnern und Zuckerbäckern, von Kriegszügen und den Olympischen Winterspielen in St. Moritz, von den Wandlungen des Klimas sowie von den Entwicklungsunterschieden zwischen dem Ober- und dem Unterengadin.

Zum Schluss unserer Bündner Fahrt ein Ausschnitt aus dem letzten Absatz des Engadin-Buches: „Die Aneignung der eisgeborenen Landschaft zwischen Maloja und Martina ist derweil noch nicht abgeschlossen; sie begann mit den Steinäxten des vierten vorchristlichen und setzt sich fort mit den Glasfaserkabeln des dritten nachchristlichen Jahrtausends. Unseren Vorfahren erschien diese Landschaft als bedrohlich, kaum zu bändigen. Wie fragil sie in Wirklichkeit ist, zeigt sich erst seit wenigen Jahrzehnten.“

Alles zum Bergfahrt Festival Bergün hier: www.bergfahrtfestival.ch/content/files/Bergfahrt-Festival_Programm_2024_digital%281%29.pdf

Reto Küng: Indirettissima. Auf Umwegen vom Waadtländer Jura in die Val Müstair. Edition Wanderwerk, Burgistein 2022. Fr. 36.- www.wanderwerk.ch.

Naturpark Beverein (Hrsg): Naturpark Beverin – Parc natiral Bavregn. Ein Kultur- und Landschaftsführer rund um den Piz Beverin. Somedia Buchverlag, Edition Terra Grischuna, Chur 2024. Fr. 26.50.

Karsten Plöger: Das Engadin. Biografie einer Landschaft. Hier und Jetzt Verlag, Zürich 2023. Fr. 39.- Englische Ausgabe: The Engadine. Bioghraphy of a landscape.

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