Adventszeit mit Matterhorn

Sieben Kriminalromane und eine Krimigeschichte feiern das Matterhorn, einmal auch von Süden. Fiebern und frieren Sie mit!

Stille Nacht, mörderische Nacht. Ein Weihnachtskrimi

Sehnsüchtig sah Clothilde zum Matterhorn, dessen Gipfel von dichten Wolken umhüllt war. Noch bis vor zwanzig Jahren war sie mit Maxim an den Hängen der Furggen Ski gefahren, und er hatte ihr von der eindrücklichen Pendelbahn Plan Maison erzählt, die im März 1993 aufgrund eines nächtlichen Eissturms den Betrieb unerwartet hatte einstellen müssen. Ach, wie schön waren doch die Tage mit Maxim gewesen.

Maxim ist tot. Und Clothilde auch. Am Heiligabend jedenfalls. Am 24. Dezember wird Clothilde Anthamatten von Winterstern (82) blutüberströmt und tot im Schnee vor ihrer herrschaftlichen Villa auf der Riffelalp oberhalb von Zermatt aufgefunden. Die Verdächtigen: ihre gesamte Verwandtschaft, die im Laufe der Adventszeit angereist ist. Welcher der 24 Gäste wollte die reiche Witwe aus dem Weg räumen? Während das abgelegene Anwesen mit Blick auf das Matterhorn langsam im Schnee versinkt, begibt sich Anna, die liebste Enkelin der Verstorbenen, auf Mörderjagd in der eigenen Familie. Am Heiligabend selbst und zugleich rückwärts in der Adventszeit, vom 23. bis zum 1. Dezember. Clothilde erinnert sich am 18. Dezember an die Skitage mit Maxim rund um die Cima di Furggen. Geschickt inszeniert Silvia Götschi in «Stille Nacht, mörderische Nacht. Ein Weihnachtskrimi» das kriminalistische Rätsel um einen verschlossenen Raum in der weissen Scheinidylle auf der Riffelalp.

Schneegestöber am Matterhorn

Irgendwann stand das Fahrzeug gänzlich schräg, so steil ging es aufwärts. Kant musste sich festhalten und kam dennoch nicht umhin, das Alpenpanorama zu bewundern. Der Schnee ließ Berg und Tal taghell erscheinen. Und das Matterhorn glänzte im Mondlicht. Es war unwirklich schön, wie ein Gemälde, das sich Kant nie aufhängen würde.

Etwas schräg ist ebenfalls die weihnachtliche Krimigeschichte «Schneegestöber am Matterhorn» von Alexander Oetker im Band «Mehr Mord im Chalet». Gustav Kant, Privatdetektiv aus Berlin, gewinnt eine Reise nach Zermatt zur Weihnachtszeit und hilft dann den Pfarrer suchen, der ausgerechnet zur Mitternachtsmesse in der Zermatter Kirche nicht auftaucht. Mit Kants Antrieb wird herausgefunden, dass sich der Geistliche wohl auf der Riffelalp versteckt, worauf ihn die Suchmannschaft mit einem Pistenfahrzeug holen geht. Zu Silvester ist Kant aber zurück in seiner Stammkneipe im leicht verschneiten Berlin. Das Matterhorn seinerseits kommt als weisses Pulver in Marcel Huwylers Geschichte «Ihr Kinderlein kokset» vor, während Beat Grossrieders «Chlausbesuch am Züriberg» mit einem ganz andern Stoff für Zoff in der Familie sorgt.

Mord im Grand Hotel Matterhorn

Das Foto reihte Mette neben die anderen auf dem Tisch. Von außen würde es aussehen wie zwei Damen, die sich eine Bildergeschichte anschauten.
«Das ist der alte Sessellift, sehen Sie? Er fährt hinauf zum Hungerberg. Und von da kann man zu einer Felsspalte hochsteigen, wo man bis zum Matterhorn sehen kann. Zweimal im Jahr, sagen die Hiesigen. Ich halte es für eine Touristenmär, aber meine Mutter hat es geglaubt.»

Mit dem Matterhorn lässt sich alles besser verkaufen, das wissen wir. Mit dem berühmten Namen warb auch ein Hotel in Oberwald im Goms. Dort stranden nicht nur die rüstige Rentnerin Libby Andersch und ihr elfjähriger Nachbarsjunge Noah, die mit dem Glacier Express nach Zermatt reisen wollen, bis ein Schneesturm die Weiterfahrt verhindert. Mit ihnen gestrandet ist eine Filmcrew, die kurzerhand umdisponiert und statt in einem exquisiten Belle-Époque-Haus im verlassenen Hotel dreht. Bis die Hauptdarstellerin Gwendolin mit gebrochenem Genick im Foyer liegt. «Mord im Grand Hotel Matterhorn» von Gabriela Kasperski ist ein zweites «locked room mystery», angereichert um Geschichten vom stillgelegten Skigebiet Hungerberg. Allerdings wurde ich nicht richtig satt mit diesem Matterhorn-Krimi.

Murder at the Matterhorn

«The one to the right is the Monte Rosa. You can ski up there on the glacier all year round. The rocky one to the left is what the Italians call the Cervino. You and I probably know it better by its Swiss German name, the Matterhorn.» Seeing comprehension spread across my face, Julian continued. «We normally see pictures of it from the Swiss side in Zermatt. It’s the reason we’re here.»
«You’re here for a mountain?»
«We believe that the Matterhorn is used by extra-terrestrial visitors either as a navigation point or maybe it has some other, more important significance.»

Sicher hat das Matterhorn noch eine andere, wichtigere Bedeutung denn als Orientierungspunkt für ausserirdische Besucher. Aber darum geht es nicht im Gespräch zwischen dem einhemischen Julian und dem englischen Privatdetektiv in «Murder at the Matterhorn. An Armstrong and Oscar Cozy Mystery» von T.A. Williams. Im fünften Band der Serie schickt der Autor seinen Helden mit Hund Oscar aus der Toskana, wo sie normalerweise Verbrechen aufdecken, ins Valtournenche. Ort des Geschehens ist ein hochgelegener Campingplatz von UFO-Enthusiasten. Als Dan Armstrong ankommt, ist ein Mitglied der Gruppe bereits tot. Einige aus der Gruppe vermuten eine Entführung durch Außerirdische, aber Dan ist sich sicher, dass sich der Mörder im Tal am Fusse des Cervino umtreibt. Insofern verspricht der Titel zu viel, genauer wäre «Murder in the Matterhorn Valley» oder gar «Murder in the Cervino Valley», doch «Mord am Matterhorn» liest (und verkauft) sich halt stärker.

Gornerschlucht  – Hoffmanns Tode

Nora hob ihr Glas. «Also, prost, ihr beiden, und auf eine erfolgreiche Matterhorn-Tour! Wann soll es denn losgehen?»
«Ja, ab morgen gilt es ernst. Nachmittags steigen wir zur Hörnlihütte hinauf und treffen dort die zwei Bergführer.»
«Ja, genügt denn einer allein nicht, um euch zwei auf den Gipfel zu führen?»
«Eben nicht. Es ist Vorschrift, dass am Matterhorn kein Führer mehr als eine Person übernehmen darf. Es wird zwar saumässig teuer so, aber wer unbedingt aufs Matterhorn will, muss eben schon etwas investieren…»

Ob die beiden Bayern Helmut und Rainer den Matterhorn-Gipfel erreichen, erfahren wir nicht. Sie sind ja auch nur Nebenfiguren im digitalen Alpenkrimi «Gornerschlucht» von Urs W. Käser. Die Stadtberner Gemeinderätin Nora von Graffenried hingegen – ob verwandt mit Noch-Stadtpräsident Alec von Graffenried erfahren wir ebenfalls nicht… – gehört zu den Verdächtigen im Mordfall Daniel Vontobel, der in der Gornerschlucht erschlagen gefunden wurde und der Nora mit Nacktfotos erpresst hatte. Doch Vontobels Ehefrau hatte auch ein Motiv, den üblen Mann loszuwerden. Die Zermatter Polizei holt Kommissarin Elena Eyer aus Brig zu Hilfe. Kann sie sich einen Weg durch das Dickicht an Indizien und Zeugenaussagen bahnen? Ein klassischer Krimi à la Agathe Christie, mit netten Nebengeschichten zum Matterhorn-Jubiläum (150 Jahre Erstbesteigung), zu Bergblumen und Heuschrecken. Käsers zweiter Zermatt-Krimi «Hoffmanns Tode», mit dem Matterhorn auf dem Cover und der gleichen zackigen Kommissarin am erfolgreichen Ermitteln, klettert auch in die Höhe: mit der Bahn auf den Gornergrat, am Seil aufs Rimpfischhorn und im Traum des Zermatter Polizisten Paul Pfamatter aufs Matterhorn.

Tödliche Freundschaft

Eine weitere halbe Stunde später kamen sie an eine fast senkrechte Wand und Christoph blieb abrupt stehen.
«So, hier zeigt sich, dass ihr das Seil nicht umsonst hochgetragen habt.» Er bedeutete seiner Gruppe, sich untereinander mit Seilen und Karabinerhaken zu verbinden. «Die Schutzhaken im Felsen habe ich selbst verankert, deshalb weiß ich, dass ich mich darauf verlassen kann.»

Der Bergführer Christoph wohl schon, nur wir Leser und Leserinnen nicht. Denn was Julian Letsche im Krimi «Tödliche Freundschaft» am Hörnligrat textlich verankert hat, ist einfach falsch. Erstens wird bei der ersten fast senkrechten Wand des Grates, unweit oberhalb der Hörnlihütte, angeseilt, nicht erst hoch oben am Grat. Zweitens trägt der Bergführer das Seil, nicht die geführte Person. Und drittens hat der Führer nur eine am Seil, nicht drei Personen (geplant waren sogar sieben!). Viertens stimmen die alpintechnischen Begriffe nicht (Schutzhaken, Anseilen mit Karabinern). Zudem sind die kriminalistischen Aspekte in diesem Roman noch brüchiger als die Felsen in der Ostwand des Matterhorns (es ziert natürlich das Titelbild). Und sechstens ist die ganze Geschichte um die Matterhorn-Aspiranten und ihre alten bzw. neuen Partnerinnen schlicht schlecht. Froh ist man einzig darum, dass jene den Gipfel nicht erreichen – und wir Leser und Leserinnen wohl nicht die letzte Seite.

Matterhorn

Marina’s eyes climbed the wall as if tracking something beyond them. “Listen.”
Will heard it too. A low, ominous rumbling. The sound grew louder, more distinct. In seconds, il hardened into a steady, rhythmic pounding.
A helicopter.
Will dropped his rucksack to the floor, opened a compartment and pulled out a pistol. A Glock 19. It had belonged to his father. He moved to the door, chambering a round.
“Put on your ruck.”
Marina zipped up her parka and threw the pack onto her shoulder. “Ready”.
Will opened the door and stepped outside onto the narrow concrete band surrounding the Solvay Hut. The hut, a single-room log cabin at an altitude of 13,200 feet, was perched on a shelf of ancient rock half-way up the Hörnli Ridge of the Matterhorn.

Ein steiler Einstieg! Jedenfalls beginnt die Leseprobe des Thrillers «Matterhorn» von Christoph Reich mit dem Solvaybiwak (4003 m) am Hörnligrat, wohin es Marina und Will verschlagen hat, ein Liebespaar, ja sogar Eltern einer kleinen Tochter, was er aber offenbar nicht wusste. Doch allzu viel Zeit bleibt ihm nicht, sich darüber mit Marina zu freuen. Denn im Helikopter sitzen nicht Rettungsleute, sondern Schützen, und das Drama nimmt seinen Lauf. Weiter geht es mit dem Klappentext: «Robbie Steinhardt führt ein friedliches Leben. In einem kleinen Alpendorf hütet er sein Vieh, kümmert sich um seine eigenen Angelegenheiten und denkt nicht an sein früheres Leben und die Familie und die Geliebte, die er zurückgelassen hat – damals, als er Mac Dekker von der CIA war. Doch als er erfährt, dass sein Sohn Will in seinen Fußstapfen gestorben ist, braucht er Antworten. Welcher Auftrag führte Will in die alpinen Höhen (und eben zum Matterhorn!), und warum ist Ilya Ivashka auf demselben Weg? Ilya – sein  enger Freund, sein Rivale in der Liebe. Ilya, der Mac den Verrat anhängte und ihn untertauchen ließ.» Muss ich lesen.

Was ich, jedenfalls in Sachen Matterhorn, nicht unbedingt lesen musste, ist der Jugendkrimi «Delitto ad alta quota» von Daniela Morelli (Mondadori Libri, Milano 2023). Auf dem Cover das Matterhorn, doch wo dieser «giallo per regazzi» angesiedelt ist, fand ich nicht heraus. Ganz sicher aber weder in Zermatt noch in Breuil-Cervinia.

Silvia Götschi: Stille Nacht, mörderische Nacht. Ein Weihnachtskrimi. Emons Verlag, Köln 2024. € 16,00.

Alexander Oetker: Schneegestöber am Matterhorn, in: Miriam Kunz (Hg.): Mehr Mord im Chalet. Weihnachtliche Krimigeschichten aus der Schweiz. Atlantis Verlag/Kampa Verlag, Zürich 2023. Fr. 23.90.

Gabriela Kasperski: Mord im Grand Hotel Matterhorn. Oktopus by Kampa, Zürich 2024. Fr. 21.90.

T.A. Williams: Murder at the Matterhorn. An Armstrong and Oscar Cozy Mystery. Boldwood Books 2023. € 27.80.

Urs W. Käser: Gornerschlucht. Alpenkrimi. XOXO-Verlag, 2021. Hoffmanns Tode. Books on Demand, 2021.

Julian Letsche: Tödliche Freundschaft. Oertel u. Spörer, Reutlingen 2024. € 15,00.

Christoph Reich: Matterhorn. Thomas & Mercer, 2024. € 22,80.

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