Scheints zieht es neuerdings auch die Kriminellen in die Berge – mehr aber noch die Krimiautoren und -autorinnen. Das Genre boomt, Alpenkrimis sind in, aber viele davon sind flach.

„Es ging so schnell, dass Marielle keine Zeit hatte, noch irgendwie zu reagieren. Als sie die Hand, Ferdinands rechte, unverletzte Hand, auf sich zuschießen sah, erschien ihr das so unwirklich wie die Szene eines tumben Actionfilms.
Sie sah die Hand, sah auch einen Augenblick lang das Gesicht des Mannes, das sich über die Felskante zu ihren Füßen streckte, dann war es schon wieder verschwunden. Die Hand aber hatte sie um den linken Fußknöchel gepackt, so grauenhaft hart und brutal, dass sie sofort in Panik geriet.
Marielle schrie. Sie klammerte sich an den Griff, vier Finger hatten bisher guten Halt daran gefunden. Aber jetzt wurden ihr die Finger gleichsam länger. Ferdinand zog sie aus ihrem Stand, ihr Arm wurde gedehnt, ihren Fingern ging die Kraft aus, lang konnte sie sich nicht mehr halten. Sie versuchte, mit ihrem freien Fuß die klammernde Hand wegzutreten – aber es half nichts.“
Showdown in der Steilwand zwischen der Ermittlerin und dem Verbrecher. Wie er endet, verrate ich Euch nicht. Kann Marielle Czerny ihren Verfolger abschütteln, den Steinschlagmörder Ferdinand Senkhofer, oder reisst er sie – und sich – in die Tiefe? Und wenn nur er abstürzt, wie kommt sie dann aus dieser Wand im Karwendelgebirge raus, zumal es schon bald ganz Nacht sein wird? Hätte sie doch bloss nicht alleine die Verfolgung aufgenommen. Zu spät…
Aber nicht zu spät, um den Alpenkrimi „Kalter Fels“ von Stefan König zu lesen. Zum Beispiel in den Sommerferien, an einem flachen Sandstrand, möglichst weit weg von steinschlägigen Flanken. Denn manchmal fallen die Steine nicht einfach so runter… Ja, das Gebirge kann ganz schön (und) mörderisch sein. Daran denken wir doch, wenn wir bei einem Krimi den Zusatz „Alpen“ lesen. Das ist freilich nicht immer der Fall. Claudia Rossbachers „Steirerblut“ zum Beispiel spielt in der Steiermark, verspricht laut Klappentext „viel alpenländisches Flair“, könnte aber genauso gut im Flachland spielen; unterhaltend ist der Krimi schon, doch weder die Alpen noch Alpines spielen eine Rolle. Das kann grösstenteils auch von Dietmar Wachters „Der Holzfischer“ gesagt werden: Ein schwüler Hochsommertag im August 2008, Forstarbeiter finden im stotzigen Birkenwald oberhalb vom fiktiven Landstein im realen Tirol Teile einer skelettierten Leiche. Kein einfacher Fall für den leicht übergewichtigen Inspektor Matteo Steininger – beim Aufstieg zum Fund kommt er gehörig ins Schwitzen.

Das kommen wir nicht bei der Lektüre von Manfred Köhlers erstem Krimi: Die Location „Schreckensgletscher“ verspricht ja nicht zu viel Wärme. Doch auch sonst konnte ich mit diesem Buch nicht richtig warm werden, irgendwie liess mich der offenbar schreckliche Gletscher mit seinem Geheimnis kalt. Ähnlich erging es mir mit „Tödliche Höhen“ von Uwe Gardein. Vom Cover her erinnert dieser „Allgäu-Krimi“ an die Alpenkrimis von Jörg Maurer – das wär’s dann freilich schon. Maurers Bücher flashte ich sozusagen (vgl. auch Buch der Woche vom 30.4.10 und 31.3.11), bei Gardein klinkte ich mich schon bald einmal aus. Anders gesagt: Alpenkrimis sind in, aber viele davon sind flach. Nicht ganz so, ja schon nur vom Gelände her nicht, ist „Alpengrollen“ von Michael Gerwien. Der Krimi spielt in Kitzbühel, wo der Münchner Ex-Kommissar und Immer-noch-Skifahrer Max Raintaler die Hahnenkammabfahrt verfolgen will. Er muss dann anderem folgen, auch einer rassigen Flachländerin, und verpasst so ein paar Abfahrten, nicht aber das Après-Ski in Kitzbühel. Muss übrigens ein mörderisches Pflaster sein!

Was erst recht für Garmisch-Partenkirchen gilt. Zwei neue Fälle aus der Feder von Nicola Förg für das nicht immer in Harmonie ermittelnde Duo der Garmischer Kriminalpolizei. Die burschikose Nichtskifahrerin und Hobbybäuerin Irmi Mangold und ihre junge, rassige Kollegin Kathi Reindl klären den „Mord im Bergwald“ auf und machen der tödlichen „Hüttengaudi“ ein Ende. Und wir als Leser erfahren dabei viel über die Leute und die Landschaft dort, über Berge und Tourismus ganz allgemein – spannende Krimis mit alpinem Background. „Zog es die Verbrecher neuerdings hinauf in die Berge?“ fragen sich Autorin und Ermittlerin gleichzeitig. Offenbar.
Nicola Förg: Mord im Bergwald. Ein Alpen-Krimi, Piper 2010, € 8,95
Nicola Förg: Hüttengaudi. Ein Alpen-Krimi, Piper 2011, € 12,95
Uwe Gardein: Tödliche Höhen. Ein Allgäu-Krimi, Ullstein 2010, € 8,95
Michael Gerwien: Alpengrollen. Kriminalroman, Gmeiner 2011, € 11,90
Manfred Köhler: Schreckensgletscher. Gmeiner 2007, € 9,90
Stefan König: Kalter Fels. Alpen Krimi, Emons 2010, € 9,90
Claudia Rossbacher: Steirerblut. Ein Alpen-Krimi, Gmeiner 2011, € 9,90
Dietmar Wachter: Inspektor Matteo ermittelt – Der Holzfischer. Berenkamp 2010, € 12,90