Alpenkrimis

Die heile Bergwelt gehört definitiv der Vergangenheit an – das ist jetzt endlich auch in der Literatur angekommen. Mord und Totschlag in den Bergen, Seil- und Hirnrisse vom Napf bis zum Bonattipfeiler. Die Bergwellt ist die Hölle. Man sehnt sich geradezu nach den Grossstädten, wo sich höchstens noch Taschendiebe und harmlose Haschdealer tummeln. Unser Rezensent hat wieder mal tüchtig abgesahnt.

„Nachdem er die ersten Höhenmeter überwunden hatte, war er schnell im Fluss. Er genoss es, sich ohne Seil zu bewegen, sah immer wieder konzentriert nach dem nächsten Griff. (…) Als er etwa zwei Drittel der Route überwunden hatte, geriet der Anwalt erstmals wirklich außer Atem. Die Kletterei war schön, aber gewöhnungsbedürftig. Keine Frage: Dieser Felsen war ein zäher Bursche – so wie er selbst. Bloss nicht abrutschen, dachte er sich. Nicht an dieser steilen Stelle der Route. Routiniert sucht er nach dem nächsten Griff. Doch diesmal fand er ihn nicht. Bröses Hände wurden feucht.“
Ob Dr. Guntram Bröse die Stelle am Teufelsfelsen zwischen Hornberg und Triberg im Schwarzwald wohl schafft? Wenn nicht, sähe es nicht gut für ihn aus. Ganz auszuschliessen ist ein Sturz nicht. Denn die Szene steht am Beginn von „Höhenschwindel – Ein Fall für Hubertus Hummel“ von Alexander Rieckhoff und Stefan Ummenhofer. Und dass es am Anfang eines Krimis eine Leiche gibt, ist ja nicht ungewöhnlich. Erst recht nicht, wenn an einem teuflischen Felsen free solo geklettert wird. Allerdings: Wäre ein Sturz nicht auch beim Abseilen möglich, wenn plötzlich das Seil reisst? Aber wer wollte Bröse schon Böses? Viele natürlich, Frauen und Männer. Hubertus Hummel wird den Fall lösen, widerwillig. Weil er eigentlich am Weitwandern auf dem Westweg von Norden nach Süden durchs Schwarzwald-Gebirge ist. Der Krimi passt gut in seinen – und unseren – Rucksack.

Hier nun noch ein paar weitere Tipps für spannende Ferienlektüre. Beispielsweise „Magermilch“ von Jutta Mehler. Diesmal trifft es Willi Stolzer, einen erfahrenen Bergsteiger. Doch alle Erfahrung nützt nichts, wenn der Klettergurt präpariert wurde, so dass sich die Schlaufen unter Belastung öffnen. Auch hier wieder die Frage: Warum musste Willi sterben? Vielleicht löst sich das Rätsel auf der Gedenktour, vor der sich allerdings Hans Rot, ein guter Bekannter von Willi, panisch fürchtet: „Spinnst Du! Die Tour geht ja wohl kaum auf den Dreitannenriegel oder auf den Natternberg. Die geht in die Alpen. Über Schneefelder und Gletschereis vermutlich. Tausend Meter Höhenunterschied mindestens.“

So viele Meter liegen zweifellos unter den Kletterschuhen von Jean-Pierre Legros, wie er mit seinem Führer den Bonatti-Pfeiler am Petit Dru erklettert und so seinen Lebenstraum verwirklicht. Allerdings kommt es ganz anders, als er sich diese berühmte Tour vorgestellt hat: Neben der Pfeilerroute eröffnet nämlich die beste französische Alpinistin, Catherine Destivelle, solo in elf Tagen eine neue Route durch die abweisende Dru-Westwand. Die Begegnung zwischen der Alleingängerin und der Seilschaft hoch oben in der Wand hat etwas Surreales – und fand tatsächlich statt, im Juni 1991. Eine spannende Sache, aber noch kein Krimi. Erst die Tatsache, dass zur selben Zeit ein Kumpel von Legros in seinem Haus in Belgien mit Kokain dealt, bringt kriminelle Energie in die Geschichte – und Legros in Bedrängnis. Wie dieser nun aber die Ereignisse erzählt und verbindet, hat Klasse. Sein Buch „Coup de cœur, coup de coke“ ist vielleicht nicht ganz leicht zu lesen, aber leicht mitzunehmen; es hat sogar im Kletterrucksack Platz.

Schwierig zu verstehen sind hingegen die Spital-Berg-Thriller von Emmanuel Cauchy. In der Serie „Les chroniques du docteur Vertical“ sind bisher zwei Bände erschienen: „Frisson fatal“ und „Morte et blanche“. Um sie mit Genuss und Gespanntheit verschlingen zu können, sollte man zuerst einen Sommer in Chamonix verbringen, um so das Französische tüchtig aufzufrischen. Gäbe es nicht einen deutschen Verlag, der diese Bücher à la Dr. House am Mont-Blanc herausbringen könnte?

Ein spannender französischer Kriminalroman um eine geplante Entführung im winterlichen Jura ist übersetzt worden: „Bruderliebe“ von Yves Ravey startet mit einer nächtlichen Skifahrt über die grüne Grenze Schweiz-Frankreich. „Am Eingang der Klamm kam ich wegen eines Kantenfehlers von der Piste ab. Meine Schulter stieß an die Felswand. Gleichzeitig hörte ich meine Bindung klicken. Der Talski löste sich. Ich fiel in den Schnee.“ Ein durchaus symbolischer Sturz: Seinem Bruder Jerry wird Max sagen, er sei nicht umgefallen. Das kann nur böse enden.

„Nimm dich in Acht, wenn du auf den oberen Weg aus dem Baltschiedertal triffst. Er verliert sich über den Schlucht und fällt dort steil ab. Falls du noch einen Blick ins Tal werfen willst, gehst du besser weiter unten Richtung Steinu. Es lohnt sich, die Wasserleitung Niwärch anzuschauen, aber sei vorsichtig“, sagt die Ich-Erzählerin in „Steinherz“ zu ihrer Schwester auf der Alp Raaft oberhalb von Ausserberg. „Ich hatte noch nie Angst vor dem Fallen“, erwidert diese. Ist das der Grund, dass sie von der Wanderung nicht zurückkommt? Und was löste den Fall aus? Eine der grossen Fragen beim Bergkrimi. Ein kleiner Schubs oder eine kleine Unaufmerksamkeit?

Ganz heimtückisch das Schneebrett am Schnierenhörnli im Quellgebiet der Emme, dem Lorenz Ramseyer, hoffungsvolles Talent der SCL Tigers, zum Opfer fiel. Löste er die tödliche Lawine im steilen Couloir selber aus, in das er als erster hineinfuhr. Oder haben damit seine beiden Begleiter zu tun, ebenfalls in der Juniorenmannschaft des Schlittschuhclubs Langnau tätig. Susanne Herger, Reporterin der „Berner Zeitung“, geht dem Unfall auf den Grund und kommt dabei selber zu Fall. Philippe Prost verfasste die stimmige Story für den dritten Band der Krimianthologie „Mordsgeschichten aus dem Emmental“. Dort ebenfalls zu lesen: „Tod am Napf“ von Christine Brand – man kann auf einer Wanderung sterben, auch ohne runterzufallen.

Und wenn wir schon bei Kurzkrimis sind: Wunderbar ist der „Bettenwechsel“ von Nicola Förg in der Sammlung „Alle Morde wieder“. Die Geschichte ist in einem Bündner Grandhotel zur Weihnachtszeit angesiedelt, und gleich zu Beginn wird das eineinhalb Meter hohe Schokoladenmatterhorn auf ziemlich mörderische Weise zertrümmert – einfach köstlich!

Und genau so ist natürlich der vierte Krimi von Jörg Maurer: „Oberwasser“. Das hat der Autor (und Kabarettist) tatsächlich, verglichen mit andern Alpenkrimiautoren. Es ist ja nicht das erste Mal, dass er im „Buch der Woche“ seinen Auftritt hat. Wiederum serviert uns Maurer ein meisterliches Feuerwerk von Haupt- und Nebenszenen um Kommissar Jennerwein mit seinem Team, um die Leute von Garmisch-Partenkirchen, um ein paar neue Figuren wie einen Wilderer, der sich immer wieder in letzter Sekunde vor dem Zugriff retten kann, bis… Ja, das seit hier nicht verraten. Lesen! Spätestens auf der Fahrt zur Zugspitze.

„Kreuzzug“ heisst mehrdeutig der Thriller von Marc Ritter, der auf – und in – der Zugspitze spielt. Attentäter sprengen den Tunnel der Zugspitzbahn und nehmen Bahnpassiere als Geisel. Eine buchstäblich verrückte Story, halb Science Fiction, aber durchaus mit Bodenhaftung. So gleichen Verteidigungsminister Philipp von Brunnstein und seine edle Gattin Carolin auffällig dem leicht verblichenen Polittraumpaar Stephanie und Karl-Theodor zu Guttenberg. Da das Attentat im Winter erfolgt, werden nicht nur Bomben ausgelöst, sondern auch Schneebretter. Meist eine tödliche Sache; auch Sandra Thaler hätte die Verschüttung nicht überlebt, wenn sie nicht zufällig von zwei hinterhältigen Geheimdienstler ausgebuddelt worden wäre. Ihr Freund, der weiter oben auf der Zugspitze im Einsatz ist, hat – nein, auch das gebe ich nicht preis! „Kreuzzug“ ist ein sogenannter Pageturner, mit seinen 550 Seiten vielleicht etwas zu schwer für den Rucksack. Doch in die Strandtasche passt er bestens.

Apropos Strand: Der Hamburger Architekt Tobias Langmaack veröffentlichte den Kletterkrimi „Mehr Seil…“; früher „galt seine Liebe dem Segeln“, wie es in den Angaben zum Autor heisst, vor ein paar Jahren entdeckte er das Sportklettern. Wahrscheinlich war er auf See oder auf der Elbe, als in der Schule die Kommaregeln behandelt wurden; im dreiseitigen Prolog strich ich 15 Korrekturen an, hauptsächlich Kommafehler. Vielleicht ging einfach auch das Lektorat segeln – oder klettern. Zum Beispiel bei diesem Satz: „Wenn er gut drauf ist, schafft er, allerdings nur senkrecht Wände, Überhänge sind nicht so was für ihn, eine gute Fünf.“ Danach legte ich den Korrekturstift zur Seite. Und nach Seite 32 mit dem „kleinen Berggasthof inmitten der majestätischen Fünftausender der Walliser Alpen“ klappte ich das Buch zu. Schade, in den Kletterurlaub auf Mallorca wäre ich eigentlich gerne mitgereist.

Christine Brand: Tod am Napf; Philipp Probst: Todes-Check, in: Verena Zürcher: Noch mehr Mordsgeschichten aus dem Emmental, Landverlag, Trubschachen 2012, Fr. 30.-
Emmanuel Cauchy: Frisson fatal; Morte et blanche, Serie „Les chroniques du docteur Vertical“, Glénat, 2011 und 2012, je € 14.95
Nicola Förg: Bettenwechsel, in: Uta Rupprecht: Alle Morde wieder. Weihnachtskrimis, Wunderlich 2011, € 14.95
Tobias Langmaack: Mehr Seil… Ein Kletterkrimi. Eigenverlag über Books on Demand 2010, www.mehr-seil.de , € 15.50
Jean-Claude Legros: Coup de cœur, coup de coke. Préface de Catherine Destivelle, JMEditions 2010, € 9.50
Jörg Maurer: Oberwasser, Fischer 2012, € 10.-

Jutta Mehler: Magermilch, Emons Verlag 2011, € 9.90
Yves Ravey: Bruderliebe, Antje Kunstmann 2012, € 14.95
Alexander Rieckhoff, Stefan Ummenhofer: Höhenschwindel – Ein Fall für Hubertus Hummel, Piper Verlag 2011, € 9.-
Marc Ritter: Kreuzzug, Droemer 2012, € 17.-
Andrea Weibel: Steinherz, Cosmos Verlag 2012, Fr. 34.-

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