Bergler waren schon immer Rebellen, so jedenfalls unser Morgarten- und Tellenmythos ect. Der italienische Autor Enrico Camanni erzählt aber auch von realen Rebellen und Rebellinnen, seien es Alpinistinnen oder auch Partisanen im 2. Weltkrieg. Ein aufwühlendes Buch, gerade in unserer Zeit
„Faccio sempre l’esempio della questione dei ghiacciai: è un problema enorme che ci tocca da vicino. Se vai in una libreria in Francia o in Svizzera è pieno di libri che trattano la questione, in Italia non c’è nulla. È per questo che ho scritto Alpi ribelli, perché mi piacerebbe, attraverso queste storie, che si lanciassero dei messaggi nuovi, che ci si prendesse un poco più sul serio.“
Sagt Enrico Camanni im Gespräch mit Anna Girardi über sein neues Buch, abgedruckt im September-Heft von „Montagne360“, der Zeitschrift des Club Alpino Italiano. „Alpi ribelli“ erzählt Geschichten aus den Bergen, Geschichten vom Widerstand und von Utopien. Ribelle bedeutet laut leo.org aufständisch, widerspenstig, aufsässig, meuterisch, hartnäckig, störrisch – rebellisch eben. Und mit Rebellen unterschiedlichster Herkunft und Stossrichtung bevölkert Camanni sein Buch. Von Guglielmo Tell bis zum Alphöhi. Von den Apostelbrüdern um Fra Dolcino am Fusse des Monte Rosa, die zum Kampf gegen die römische Amtskirche aufriefen, über die Partisanen, die im Zweiten Weltkrieg gegen die Faschisten und Nazis kämpften, bis zu den Leuten, die gegen den Bau des Hochgeschwindigkeitszuges im Valle di Susa protestieren. Von Tita Piaz, dem Teufel der Dolomiten, bis zu Mary Varale, der wahrscheinlich stärksten Klettererin in der Zwischenkriegszeit; unter Protest trat sie 1935 aus dem CAI aus, weil dieser Verdienstmedaillen bewusst nicht ihren Seilgefährten übergeben hatte, sondern weniger guten Bergsteigern – ein Affront. Camanni schildert auch den Fall einer anderen Frau, die sich gegen die Obrigkeit wehrte: Tina Merlin. Hätte man ihren Artikeln geglaubt, so hätte es am 9. Oktober 1963 die Katastrophe von Longarone nicht gegeben, als ein Bergsturz in den Vajont-Stausee eine riesige Flutwelle verursachte, die sich über die Staumauer ergoss und das Dorf Longarone zerstörte, wobei rund 2000 Menschen starben.
Ein aufwühlendes Buch, das Enrico Camanni da geschrieben hat. Er war Chefredaktor der „Rivista della Montagna“, Direktor von „Alp“ und „L’Alpe“. Derzeit schreibt er für die Tageszeitung „La Stampa“. Er hat zahlreiche Romane und alpinhistorische Bücher verfasst – mit besonderem Interesse für das Matterhorn, dem er mehrere Titel gewidmet hat, so „Cieli di pietra, la vera storia di Amé Gorret“. Natürlich hat dieser Abbé, Alpinist und Autor, der bei der Zweitbesteigung des Cervino am 17. Juli 1865 tatkräftig mitmachte, seinen Auftritt in „Alpi ribelli“.
Wer das rebellische Buch lesen möchte, sollte vom Italienischen mehr verstehen als Monte, Cima, Poncione, Denti, Pizzo und Pizza. Aber: Wer sich für Alpingeschichtliches interessiert, hat vom Donnerstag, 22. September, bis zum folgenden Samstag Gelegenheit, am Alpinismus-Kongress in Salvan ob Martigny teilzunehmen. Das Thema lautet: „Immer höher, schneller, forscher? Bergsteigen in den Alpen vom 19. Jahrhundert bis heute. Praxis, Emotion, Vorstellung.“ Alessandro Pastore von der Università di Verona beispielsweise hält diesen Vortrag: „Montagne, politique et environnement. Portrait de l’écrivain et alpiniste Guido Rey (1861-1935).“ Ich selbst werde die SAC-Archive und Sammlungen der Burgerbibliothek Bern, des Alpinen Museums und der Zentralbibliothek Zürich vorstellen. Darunter das erste Gipfelbuch auf der Hinteren Spillgerten in den Berner Voralpen, worin sich folgender Eintrag findet:
Besteigung 10.
Jules Martin Bern
Paul Montandon (IIes Mal)
& Frau, Thun, S.A.C.
= 22. Spt. 1895 = ohne Führer
auf dem gewöhnlichen Wege.
Deponierung dieses Büchleins. –
Keine Flocke Schnee am ganzen Berge.
Aussicht vom Titlis & Tödi bis Mt Blanc ganz klar.
Enrico Camanni: Alpi ribelli. Storie di montagna, resistenza e utopia. Editori Laterza, Bari 2016, € 18.-
Alpinismus-Kongress in Salvan ob Martigny vom 22. bis 24. September 2016:
Toujours plus haut, plus vite, plus engagé? Gravir les Alpes du XIXe siècle à nos jours. Pratiques, émotions, imaginaires.
Ce colloque international, organisé par la Société d’histoire de la Suisse romande en partenariat avec l’Institut des sciences du sport de l’Université de Lausanne, invite historiens, historiens de sciences, géographes, ethnologues, sociologues (etc.) à se pencher sur l’évolution de l’alpinisme sportif – en ce concentrant sur l’espace alpin.
Das ganze Programm unter www.colloque-salvan.ch