Alpine Kriminalromane

Es gibt Literaturpreise für Autoren, die sich verpflichten, kein Buch mehr zu schreiben. Gestiftet wahrscheinlich von überlasteten Rezensenten. Kann sein, dass auch unser Alpinrezensent gelegentlich einen Bergkrimipreis stiftet – für einen Nicht-geschriebenen. (Der Webmaster gilt bereits als angemeldet.) Bevor das geschieht hier doch noch eine Auswahl für die Sommerferien – es könnte ja eventuell zwischendurch auch mal regnen.

„I think we have the means to do that,“ said Chayne. „We can point out to Walter Hine, for instance, that your ascent from the Brenva Glacier was an attempt to murder him.“

Bergsteigen als kriminelle Handlung, als Mordversuch oder gar Mord: Was im zweiten Satz aufblitzt wie ein Messer, das ein Seil zerschneidet, dürfte die Schlüsselstelle alpiner Kriminalromane sein. Wenn der Bergsport selbst zum bewusst mörderischen Tun wird. Wenn Tat und Aufdeckung direkt vom Klettern oder Skifahren abhängen, wenn die Berge mehr Einfluss auf den Kriminalroman nehmen als blosse Kulissenschieberei. „Running Water“ von Alfred E.W. Mason, aus dem das Einstiegszitat stammt, gilt als der erste Bergkrimi; er erschien erstmals 1907. Eine deutsche Bearbeitung von Max Rohrer publizierte die Gesellschaft alpiner Bücherfreunde 1939 unter dem Titel „Das Gesetz der Berge. Eine Bergsteiger- und Gaunergeschichte“. Im Nachwort fällt der Begriff „alpiner Kriminalroman“. Seit 1907 bzw. 1939 ist der Berg solcher Romane langsam gewachsen, seit der letzten Jahrhundertwende schiesst er geradezu in die Höhe. Allein im vergangenen halben Jahr habe ich zehn mehr oder weniger alpinistische bzw. eben alpine Krimis gelesen. Hier sind sie, geordnet nach Alphabet und mit je einem Ausschnitt.

1 Badraun

Er kneift die Augen zusammen, um im aufkommenden Schneegestöber etwas zu sehen. Weiter oben am Hang unterhalb des Piz Lunghin erspäht er eine Bewegung. Dort steigt jemand aufwärts. Romeo folgt, so kurz vor seinem Ziel würde er sich nicht abhängen lassen. Da kennt jemand einen gut gelegenen Treffpunkt mit Aussicht. Warum nicht? Im Winter war er noch nie hier oben, eine Winterbesteigung des Piz Lunghin ist für ihn nicht ohne Reiz. Immer wieder verliert er den mysteriösen Anrufer, die mysteriöse Anruferin aus den Augen. Weiter oben stecken die Skis im Schnee, die Spur führt über die Fesen hinauf zum Grat. Spätestens auf dem Gipfel ist Schluss mit dem Versteckspiel. [1]

2 Braun

Thomas kam näher und näher, Schneeflocken wirbelten um seine dunkle Gestalt, sein Helm und seine Schultern waren weiβ überzuckert. Clara presste sich zitternd gegen den Fels. Er würde sie schubsen oder aus der Wand drängen, damit sie in den Abgrund stürzte. Sie hängte eine Selbstsicherung in die Schlinge – gut so. Wenn er nahe genug war, würde sie versuchen, ihn in die Tiefe zu stoβen. Er oder sie…
Zwei Meter von ihr entfernt stoppte Thomas. „Clara! Hab keine Angst, Clara! Ich habe Henrik nicht ermordet!“
Sie glaubte ihm nicht. [2]
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3 Eberl

„Bergwandern ist mein Hobby“, log ich.
„Ah ja?“ In seiner Stimme schwang berechtigter Zweifel, aber dann setzte er höflich hinzu: „Gut, ich warte hier, bis du deine Ausrüstung geholt hast. Die leichten Bergschuhe reichen heute für den Aufstieg.“ Von schweren Bergschuhen hatte ich noch nie gehört. Ich hatte nicht einmal leichte.
„Oh, nein, verdammt – jetzt hab ich doch meine ganze Ausrüstung zu Hause“, sagte ich so ärgerlich, als müsste ich eine Himalaya-Sause mit Reinhold Messner ausschlagen. [3]
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4 Föhr

Sie stolperte, rutschte von einem Stein ab und trat in den Bach. Ihre Sportschuhe sogen kaltes Wasser auf, sie rannte weiter, bis der Untergrund wieder trocken wurde, drehte sich um, sah Licht im Haus. Der Mann mit dem Gewehr würde keinen Anhaltspunkt haben, wohin sie geflohen war. Und mitten in der Nacht auf gut Glück in eine Richtung gehen? Wer tat so etwas? Selbst wenn – die Wahrscheinlichkeit, dass er sie finden würde, war minimal. Nein, sagte sich Bianca leise vor – er hatte keine Ahnung, wo sie war. Da schoss ihr jäh Adrenalin ins Gesicht wie ein Schwall kochendes Wasser. Nein, der Mann wusste es nicht. Aber der Hund… [4]
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5 Förg

Nein, er hatte das auch nicht getan und stieg zügig bergan, überflog die Tafeln nur, gelangte hinauf, wo sich der Parkplatz leerte, wo einige Motorräder davonknatterten und ein Pärchen auf Rennrädern talwärts flog. Ein Tag ging zur Neige, rotes Licht machte sich am Himmel auf.
Er schritt südwärts an den Wallanlagen vorbei, weit hinein in eine Wiese, wo der Blick bis Neuschwanstein ging. Man sah es im Felsen kleben, die Seen im Vordergrund. Seppi hatte sich hingelegt, die langen Vorderbeine nach vorn gestreckt, die Schnauze darauf gelegt. Er sah in die Berge und seufzte tief. [5]
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6 Götschi

Sie schöpfte nach Atem
Wollte sich spüren. Es endlich spüren, wie es sich anfühlte, wenn es vorbei war.
Wenn die Gedanken zerfledderten wie der Schnee, in dem sie jetzt lag.
Sie konnte die Diamanten sehen und die silbrigen Sterne. Sie fielen vom Himmel vor ihre Füsse. Und wenn sie die Augen schloss und wieder öffnete, stand der Prinz vor ihr. Er hob sie auf sein Pferd.
In der Ferne leuchteten schon die Fenster.
Sie würgte. Ihr Magen zog sich zusammen. Sie hatte Krämpfe, und der Schmerz traf sie gnadenlos. Überall war der Schmerz, und tausend Lichtpunkte tanzten über ihr.
Sie legte sich ins Wintergrab. Die Kälte des Schnees spürte sie nicht. Da waren nur dieser Schmerz und die traurige Bilanz in ihrem Kopf, alles falsch gemacht zu haben. [6]

7 Kreutzer

Francesco sah ihn entsetzt an: „Ich glaub es nicht. Und was soll ich hier?“
Eddy gab keine Antwort. Er bot Francesco einen Schluck aus seiner Wasserflache an. Der nahm dankbar an. „Ab jetzt geht’s luftig weiter. In der Sonne. Der eigentliche Klettersteig ist erst weiter oben. Ohne Stollen, sondern in der Wand.“
„Na, da bin ich ja beruhigt.“ Francesco stieβ die Luft aus und schniefte.
Eddy fing vor. Über einige Schrofen kamen sie auf eine begrünte Schulter mit karstigem Untergrund. Die Sonne knallte dermaβen auf den hellen Kalkstein, dass Eddy seine Sonnenbrille auspackte. Durch Gehgelände erreichten sie in zehn Minuten den Wandfuβ. Zwei Hinweisschilder zeigten in entgegengesetzte Richtungen. Eddy folgte dem Schild „Senza Confini“.
„Da rauf?“, fragte Francesco mit dünner Stimme. [7]

8 Maurer

„Nein, bitte nicht!“, keuchte der Gumpendobler, doch da traf ihn ein harter Schlag ins Gesicht, er taumelte nach hinten und stürzte zu Boden. Seine Hände wurden ihm hinter dem Rücken zusammengebunden, sein Mund verklebt. Er wurde hochgehoben und aufgeschultert. Sein Entführer schleppte ihn einen steilen, überwachsenen Weg entlang. Der Gumpendobler blinzelte. Es war ein ausgetretener Pfad, den man von der Straβe aus nicht sehen hatte sehen können. Die Bäume standen dicht und hoch. Der Mond schlich wie ein heimlicher Komplize hinter den beiden her. Der Gumpendobler strampelte mit den Beinen, er riss an seiner Handfessel, aber seine Kräfte lieβen langsam nach. Bei einer Serpentinenkurve hatte er Gelegenheit, nach oben zu blicken. [8]

9 Ritter

Ja, die Alpspitze dort drüben, ihr wäre das vollkommen wurscht, ob ein weiterer Depp auf sie hinaufkraxelte und über ihre Ostflanke hinabfuhr. Es war ihr schon weit Übleres widerfahren. Sie hatten Unmengen von Stahlstiften in ihren Muschelkalk getrieben, Fixseile daran befestigt, damit sich auch jeder Plattfuβindianer auf sie hinaufhieven konnte. Das war ihr vollkommen egal, sie wusste, dass sie auch noch die Zeit erleben würde, da niemand mehr an ihr hochkletterte. Entweder, weil die Spezies, die derzeit das Bergsteigen betrieb, die Lust daran verloren hatte. Immerhin hatte diese seltsamste aller Spezies damit erst vor gut hundert Jahren begonnen, und die Alpspitze war alt und darum weise genug, um zu wissen, dass diese Spezies ziemlich schnell die Laune an ihren Lieblingsbeschäftigungen verlor. Oder, so weit konnte die Alpspitze mit ihren dreiβig Millionen Jahren Lebenserfahrung vorausdenken, weil es diese Spezies einfach nicht mehr geben würde, die nur aus Spaβ an der Freude auf Berge kletterte. [9]

10 Syring

Die Regenfälle des vergangenen Winter hatten den Seit weit über seine Ufer treten lassen, sodass die Geschäfte und Hotels an der Uferpromenade – dem lungolago – noch immer versuchten, den Ansturm des Wasser mit Sandsäcken vor den Türschwellen abzuwehren. In Venedig gehört acqua alta zur Normalität, aber hier? Und auch oben am Berg war vieles in Bewegung geraten. Noch immer wurden Straβen von Gesteinsmassen blockiert, andere waren einfach weggerutscht, tiefe Schrunden im Gestein hatten sich mit Wasser gefüllt, das sich anschlieβend tosend in die Tiefe ergoss. [10]
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11 Lughofer

Kommt der Berg? Ruft er nicht mehr lange? Wird es flach, wenn alles weggerutscht ist? Ein neues Meer? Wir warten’s ab. Und freuen uns auf weitere alpine Kriminalromane. Wer an dieser Stelle eine kurze Pause vor der nächsten Bergkrimiwoge wünscht, sei die Lektüre von zwei detektivischen Kapiteln im Buch „Das Erschreiben der Berge. Die Alpen in der deutschsprachigen Literatur“ ans strapazierte Herz gelegt: „Der Alpenkrimi – Literaturgeografische und kulturwissenschaftliche Überlegungen zu einem hybriden Genre“ von Ursula Klingenböck und „Tatort Heimat. Der Alpenkrimi als moderne Variante der Heimatliteratur“ von Anna Katharina Knaup. Mit diesem gescheiten Rucksack-Lesestoff haben wir bestimmt die Mittel, den vor 150 Jahren erstmals gewagten Aufstieg vom Brenva-Gletscher zum Mont Blanc ohne Todesangst zu wiederholen. Zu unserer Sicherheit nehmen wir einfach noch ein Messer mit. Man weiss ja trotzdem nie…

[1] Daniel Badraun: Schwarzeis. Emons Verlag 2015, Fr. 14.90.
[2] Irmgard Braun: Mutig aber tot. Mord am Grödnerjoch. Rother Bergkrimi 2015, Fr. 16.90.
[3] Ines Eberl: Blunzengröstl. Kulinarischer Alpenkrimi. Emons Verlag 2015, Fr. 16.90.
[4] Andreas Föhr: Wolfsschlucht. Knaur Verlag 2015, Fr. 21.90.
[5] Nicola Förg: Donnerwetter. Goldmann Verlag 2015, Fr. 13.90.
[6] Silvia Götschi: Mattawald. Emons Verlag 2015, Fr. 16.90.
[7] Lutz Kreutzer: Der Grenzgänger. Eddy Zett und der Mörder vom Sternberg. Rother Bergkrimi 2015, Fr. 16.90.
[8] Jörg Maurer: Der Tod greift nicht daneben. Alpenkrimi. Scherz Verlag 2015, Fr. 21.90.
[9] Marc Ritter: Frauenmahd. Piper Verlag 2015, Fr. 14.90.
[10] Anke Syring: Schatten über dem See. Emons Verlag 2015, 14.90
Johann Georg Lughofer (Hg.): Das Erschreiben der Berge. Die Alpen in der deutschsprachigen Literatur. Institut für Germanistik, Universität Innsbruck 2014, Euro 43.

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