Eine Gedenktafel für einen abgestürzten Bergsteiger – und die Frage, was bleibt.
Berge sind auch Grabsteine. Am Einstieg zur kleinen Nordwand im Bockmattli finde ich halb versteckt im Gras eine alte Gedenktafel.
Zum treuen Gedenken an meinen lieben Bruder Nikolaus Bonifart, der am 18. Mai 1959 in der kleinen Bockmattli-Nordwand den Bergsteigertod fand.
Eine Seilschaft steigt ein in die grasdurchsetzte Wand, wir sind nur zu einer Art Fotoshooting hergekommen. Während ich also am Fels posiere, frage ich mich, ob sich wohl noch jemand an diesen Nikolaus Bonifart erinnert, der ein halbes Jahrhundert zuvor im Alleingang die Wand klettern wollte und dann irgendwo ausrutschte auf nassem Gras oder dem vielleicht auch ein Griff ausbrach. Seine Verlobte oder Freundin habe zugeschaut, erzählte man sich damals. Und vielleicht lebt irgendwo eine Dame in fortgeschrittenem Alter, die sich noch an ein Drama ihrer jungen Jahre erinnert, als ein Glück innert Sekunden zerriss – vor ihren Augen. Oder der Bruder, der diese Gedenktafel anfertigen liess, die nun etwas verloren im Gras unter der Wand steht, bald wohl überwuchert vom Grün. Recherchieren wäre einfach, es gibt nur wenige Bonifarts in der Schweiz, in Deutschland und Österreich. Ich lass das, man muss ja nicht alle Spuren verfolgen, die einem tagtäglich begegnen. An der Westkante des grossen Turms stürzte in jenen Jahren ein Ehepaar in die Tiefe, wohl auch längst vergessen – und wer erinnert sich noch an meinen lieben Freund Heini Ryffel, der im Herbst 1963 beim Versuch einer Erstbegehung in der glatten Nordwand des Ostturms abstürzte, zusammen mit Juli Hensler. An die beiden erinnern wenigstens noch Routen, die sie im Bockmattli erstbegangen haben. Heinis Föhrenturm-Nordwand habe ich vor ein paar Jahren mal in seinem Andenken geklettert. Früher gab es die so genannten «Gedächtniswege» – Routen im Andenken an einen abgestürzten Kletterer. Etwa den Seth-Abderhalden-Gedenkweg am Moor, die John Harlin Route am Eiger. Doch die Zeit ist vorbei. Als ich mal vorschlug, am Ostturm eine neue Route Heini-Ryffel-Gedächtnisweg zu nennen, lehnten die Erstbegeher ab. Man wolle nicht rückwärts blicken, sondern nach vorn.
Was bleibt denn von uns? Die unerwartete Entdeckung am Fuss der kleinen Bockmattliwand hat mich eigenartig berührt. Ein kleines Zeichen, dass nicht alles vergessen geht. Und ich erinnere mich: Sieben Tage nach dem Tod von Nikolaus Bonifart begab ich mich auf die erste Klettertour meines Lebens.
Sehr geehrter Herr
Ich habe soeben Ihren Artikel gelesen. Er geht unter die Haut.
Mein Mann ist daran, eine Gedenktafel für unseren Sohn zu
erstellen, der zusammen mit seinem Kollegen am 27. Juli 2013
am Rottalsattel, Jungfraugebiet, abgestürzt ist und seither als verschollen gilt.
Ich frage mich, ob bereits eine Homepage für abgestürzte Bergsteiger besteht. Damit diese verstorbenen Alpinisten nicht in Vergessenheit geraten, wäre dies wünschenswert.
Mit freundlichen Grüssen
Josi Weber, Rothenburg, Schweiz