An einem sehr warmen Sommertag früh nachmittags einen endlos erscheinenden Südhang aufzusteigen, zeugt nicht von alpinistischem Spürsinn für die Routenwahl. Lässt man sich ablenken, kann es einem doch passieren, und dass es auch dann den Betroffenen kein Schaden ist, davon soll hier berichtet werden.
Am heissesten Tag des Julis, früh morgens, fuhren vier Geologen, die auch schon alpinistisch tätig waren, mit dem ersten Postauto nach Vättis, tief drinnen im Bauch der Alpen. Von dort wollten sie hinaus und weit hinauf bis auf den Pizol.
Durch die Schatten der Wälder in der Taltiefe des Gebirges gelangten sie zum Gigerwald wo der Pfad nach Norden in die Schluchten abzweigt. Überall und rund herum waren nun Felswände und Steine, bunt, gefaltet und übereinander geschoben. Die Geologen vergassen darüber das Alpinistische und diskutierten. Oder philosophierten sie? Jedenfalls redeten sie in einem fort, kaum dass dazwischen, wie zufällig, ein Schritt in die Höhe fiel. Das ging so lange bis die Sonne und mit ihr die Hitze auf einmal um die Ecke kam und selbst in der tiefen Schlucht den letzten Schatten tilgte. Als die Vier kurz darauf an den Beginn des langen Hochtales Tersol kamen, war es bereits Mittag und sie hielten Rast. Ganz hinten, hinter ansteigenden Schuttwüsten zeigte sich das Gipfelziel, noch in weiter Ferne.
Nach der Mittagspause folgte kein Schläfchen im Schatten, sondern es folgten tausend Höhenmeter. Jeder stieg sie für sich allein, in seinem Tempo und in schweissgebadete Meditation versunken, kaum ein Wort fiel mehr. Keiner war mehr Geologe, denn die Steine unter jedem Schritt waren allen gleichgültig geworden, waren nichts als vor den Schuhspitzen auftauchende, endlos ansteigende Milliardenschaften. Höher oben ging es über Schnee, durch einen Hohlspiegel, dessen Brennpunkt man nicht entrinnt und in dem es vollständig still ist. Windstill, lautstill, schattenstill. Erst Stunden später erwachten sie wieder aus dieser Meditation. Im leichten Lüftchen, das am Gipfel wehte, trocknete der Schweiss und es kehrten die Worte nach und nach zurück. Vom Panorama aufgemuntert, erzählten sich die Vier nun von den durchstiegenen Routen und bestiegenen oder noch zu besteigenden Gipfeln im weiten Rund. Dann wurde den späten, aus dem Bauch des Gebirges herauf wiedergeborenen Alpinisten bewusst, wie weit sie noch hinab mussten.
Im Firn der den Gletscherrest auf der Nordseite bedeckte, waren zahllose Spuren zu sehen, die von jenen zeugten, welche bereits den ganzen Tag über Alpinisten gewesen, und die um diese Zeit aus der Höhe längst verschwunden waren. Unter ihnen muss es laut gewesen sein, ein Grüssen alle fünf Minuten, ein Jahrmarkt der Bergsteigerei, der sich vor kurzem erst verlaufen hatte. Auch die Nachzügler erreichten irgendwann noch, über Firn gleitend, über Blöcke springend, durch Pfadkurven rennend die Taltiefen wieder in denen der Tag selbst in der frühen Nacht noch glühte.