Am Villigerpfeiler

Es war eine der Traumrouten meiner Generation, gefürchtet, lange nicht wiederholt. Dann ein grosser Klassiker. Heute nur noch selten begangen. Bericht von einem Tag im Glück. (Fotos Robert Steiner)

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Die Nacht in der Hütte war die Hölle. Kein Schlaf, immer wieder auf die Uhr geschaut, hinaus ins Mondlicht gewankt, zur Toilette, in den Seidensack gekrochen, geschwitzt, auf die Uhr geschaut, viel zu früh aufgestanden, verschwitzt und erschöpft. Das Frühstück lustlos hinutergewürgt. Und immer wieder der Gedanke: Welcher Teufel hat dich geritten, in deinem Alter nochmals so eine Tour anzupacken? Ich kenne sie ja, 1967 kletterte ich mit Hansruedi Horisberger den Villigerpfeiler, mit Holzkeilen und schlechten Haken, viele auch selbst geschlagen, 1986 dann mit Ueli Dubach im neuen Stil mit Kletterfinken, Klemmkeilen und Friends. Ich sehe die Stelle vor mir, wo ich stürzte, kopfüber im Seil hing. Ich habe Angst. Doch Robert Steiner strahlt Ruhe und Zuversicht aus. Der Freund ist halb so alt wie ich, aber unendlich erfahrener am Berg, seine aussergewöhnlichen und dramatischen Erlebnisse füllen spannende Bücher: «Selig, wer in Träumen stirbt», «Stoneman», «Allein unter Russen» (alle Panico-Verlag).
Der Himmel ist bedeckt, wir marschieren los, mit Stirnlampen. Dann glimmt erstes Licht auf im Osten, Morgenrot. Regentropfen im Gesicht. Robert pickelt Stufen über den harten Schneekegel am Fuss des Pfeilers, ich komme am Seil nach, vergesse in der Aufregung den Fotoapparat bei den Rucksäcken auf der Moräne, beim zweiten Mal den kleinen Wandrucksack, klettere also die erste Länge dreimal. Dann gehts’s los in die erste grosse Verschneidung.
Hüttenwart Hans Berger hatte uns am Abend so richtig eingeheizt: Der Villiger werde nur noch selten geklettert. Saniert vor zwanzig Jahren, nicht immer sinnvoll, schlecht gesetzte Bohrhaken hätten sich gelöst. Der berüchtigten glatte Kamin sei auch kein Klettergenuss. Er liebe die Route eigentlich nicht. Dabei schreibt er in seinem kleinen Salbit-Führer: «Die Traumkletterei im Salbitgebiet schlechthin. Galt lange Zeit als Markstein für jeden Extremkletterer. Trotz der perfekten Absicherung bleibt diese Tour auch heute noch ein schwieriges und langes Unternehmen.»
Robert führt, anstrengende Piazrisse, Platten, ein Überhang. Ich staune wie schnell und sicher er Friends und Keile legt, wie effizient er am Stand das Material übernimmt, umhängt, gleich wieder weiterklettert. Ich komme mir dabei manchmal etwas unbeholfen vor, halte mich auch schamlos an den Expressschlingen. Heute ist rotpunkt kein Thema. Schnell müssen wir sein, es ist kalt, Nebel werden von scharfem Wind die Wand hochgetrieben, lagern sich um den Gipfel. Gelegentlich ein heller Fleck am Himmel, eine fahle Sonnenscheibe, dann wieder dickes feuchtes Gewölk. Gern lasse ich Robert weiter den Vortritt, auch an der Schüsselseillänge, wo ich meinen spektakulären Sturz tat. Plattenkletterei, dann die abdrängenden Risse und der Kamin. Da hat auch mein versierter Führer etwas zu beissen, ich folge im Stil A0, wie man sagt, kann den berüchtigten Kamin dann auf seinen Rat hin in Piaztechnik klettern.
«Wie seid ihr da früher nur hochgekommen», sagt Robert einmal. Eigentlich frage ich mich das auch, erinnere mich kaum mehr an Details. Viele Holzkeile wohl, Felshaken in verschieden Formen, kurze Strickleitern. 1962, drei Jahre nach der Erstbegehung trafen wir Fritz Villiger in der Sciorahütte. Die Route, die er mit Kurt Grüter eröffnet hatte, war noch nie wiederholt worden. Von einem Stand an Holzkeilen ging das Gerücht, ein Alptraum. «Ihr seid Jung, ihr schafft das», meinte Fritz. Drei Anläufe brauchte es, bis ich einen Meter unter dem Gipfel den letzten Haken in eine Ritze treiben konnte. Es begann gerade zu regnen. Und auch jetzt sieht es danach aus. Also weiter die Risse hoch in Piaztechnik, der Fels wird seltsam sandig, feucht, die Kletterfinken rutschen dauernd ab. Eigenartig eigentlich, dieser bröselige Fels. Ob es wegen dem nasse Sommer ist oder der Tatsache, dass hier nur noch selten jemand klettert? Das ständige Rutschen macht uns beide unsicher.
Trotzdem ermutigt mich Robert, eine Seillänge vorzusteigen, links am grossen Überhang vorbei. Die Stelle sieht von unten fast unmöglich aus, gelber Fels, aus der Nähe aber einigermassen griffig. Ich spreize hoch, turne um die Kante, dann folgen Schuppen, die gut zu klettern wären, wenn nicht alles so feucht und rutschig wäre. Die Hakenabstände sind unendlich weit, so scheint mir, ich lege schlechte Friends und erreiche endlich einen Muniring. Und nun beginnt es zu regnen. Die nassen rutschigen Platten sind uns zu riskant zum Klettern, so verzichten wir auf die letzten zwei Seillängen, seilen uns ab.
Unten auf der Moräne machen wir Rast, essen und trinken, die Sonne wärmt uns und mit der Zeit verschwinden die letzten Nebelschwaden vom Gipfel. Trotzdem: ein Augenblick des Glücks, des Abschieds. Fotos und ein Selfie zur Erinnerung und ein Handyanruf nach Hause.

4 Gedanken zu „Am Villigerpfeiler

  1. Dieser Tag im Glück, lieber Emil, wird dir immerwährend bleiben. Als du die Wand zum ersten Mal erklettert hast, damals, stand ich noch wacklig auf den Beinen. Du darfst stolz sein! Auf dein Zurückkehren, auf deinen Mut und deine innere Kraft! Ich schick dir ein grosses Müntschi!
    Herzlich
    Annette

  2. JA, ja das waren noch Zeiten als wir alle Kurt und Fritz als die grossen Klettervorbilder hoch anerkannten.Am Villigerpfeiler war ich vor 41 Jahren und ich habe den Pfeiler, Fritz und Kurt noch immer in allerbester Erinnerung.
    Lieber Emil ich wünsche dir weiterhin gute Gesundheit und noch viele Touren.
    Cordials salids
    Toni Lampert Bergführer, Flims

  3. Ja das waren noch Zeiten, als ich mit Hombi Töni und Toni diese Route gegangen bin. Die grösste Flucherei von Hombi, nie zu vergessen, weil ich einen neuen amerkanischen Bong falsch platziert hatte. Aber es war wunderschön, noch schöner sind die Erinnerungen.
    Vielen Dank Leo Caminada Bergführer Greppen

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