Berge, Hotels und Salons

Alte Bäder, alte Fotos, alte Bücher – Nostalgie hat Konjunktur. Es scheint, als habe die Digitalfotografie das Intersse am alten analogen Bild wieder geweckt (übrigens ist auch die Schallplatte wieder top-hip, das nur nebenbei). Beiträge zur Berner Oberländer Tourismusgeschichte von unserem Stadtberner Rezensenten und Bücherschmöcker.

. „Mir wird jetzt schon ganz bange bei dem Gedanken, dass ich nicht ewig hier oben bleiben und diesem dolce far niente leben kann, dass ich bald einmal wieder aus dem Olymp auf die Erde hinuntersteigen muss. Wer der verpönten Zunft der Zeitungsschreiber angehört, weiss besser als Andere den Genuss eines Bergaufenthaltes zu schätzen und für ihn gilt voll und ganz das Wort: ‚Auf den Bergen wohnt das Glück!‘
Wie schade! Statt auf Bergeshöhen zu schwärmen und in Bergesluft zu schwelgen, vom wiedergefundenen Paradiese, von Alpenrosen und Edelweiss, von Wasserkuren und Kuhreigen, von Mauleseln und Rindvieh, von einfachen Hirten und frischen, fröhlichen Hirtenmädchen, vom tosenden Wasserfall und eisigen Gletscher, vom Alpenglühen, vom Tannenwald und Buchenhain, von Alpenbeefsteak und Molken in Rheinwein-Flaschen zu schwärmen, müssen wir schon in acht Tagen wieder pflichtschuldigst Präsidialreden anhören, über Strafnachlass-Gesuche und Naturalisationen rapportieren, bei Sedelmeier mit den fleissigen Landesvätern Bier trinken und die Regierung verschimpfen helfen.“

Ja, die Ferien dauern nicht ewig an, und der Alltag holt uns wieder ein. Früher scheint es auch nicht besser gewesen zu sein, wie dem hübschen Büchlein von Albert Schüler aus dem Jahre 1883 zu entnehmen ist: „Briefe vom Gurnigel nebst praktischen Notizen in deutscher und französischer Sprache“. Aber auch wenn uns Leben B wieder gepackt hat, so bleiben doch die Erinnerungen an Leben A, in diesem Fall an den Aufenthalt im Hotel Gurnigelbad. Zur Zeit von Schüler eines der grössten Hotels der Schweiz, das nach dem Brand von 1902 wieder mächtig erbaut wurde: ein 5-stöckiger, 240 Meter langer Bau mit Flachdach, Zentralheizung und 450 Betten. Während der Blütezeit des Hotel- und Badebetriebes betrieb der Thuner Fotograf Jean Moeglé eine Filiale im Hotel. So konnten die Gäste noch eine analoge Erinnerung an die Ferien in der Gebirgsfrische mit nach Hause nehmen.

Im damaligen Thuner Fremdenquartier Hofstetten hatte der gebürtige Deutsche Johann Christian Moeglé – in Thun nannte er sich Jean – seinen Stammladen. Er fotografierte in den Salons der Herrenhäuser am Thunersee und begleitete Touristen in die Berge; er fotografierte die Stadt Thun, den See, Interlaken und das Oberland für Postkarten, und er war ein gefragter Gruppenporträtist bei Vereinsanlässen, Familienfeiern oder öffentlichen Aufmärschen. Rund 120 Fotos von Moeglé, darunter auch solche vom Gurnigelbad, sind noch bis am 5. August im Berner Kunsthausforum ausgestellt. Zur Ausstellung erschien in der Schriftenreihe „Passepartout“ der Burgerbibliothek Bern ein Buch über Jean Moeglé, worin Bernhard Giger den Fotografen und seinen Sammler vorstellt, Philipp Stämpfli die Landschaftsfotografie im Berner Oberland beleuchtet (die älteste heute bekannte Fotografie des Oberlandes schuf Charles Durheim 1850 – ein Chalet bei Sulwald) und Roland Flückiger-Seiler die oberländische Tourismusgeschichte aufrollt. Das Gurnigelbad mit einer seit 1501 bekannten Schwefelquelle war das bedeutendste Bäderhotel des Kantons Bern – tempi passati. Umso schöner, von alten und wieder entdeckten Büchern und Fotografien zu schwärmen.

Der Berner Fotopionier Jean Moeglé. Herausgegeben von der Burgerbibliothek Bern, Schriftenreihe „Passepartout“, Stämpfli Verlag 2012, Fr. 39.-
Albert Schüler: Briefe vom Gurnigel nebst praktischen Notizen in deutscher und französischer Sprache, einem Panorama und zwei Karten. Verlag der Dalp’schen Buchhandlung, Bern 1883.
www.kornhausforum.ch

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