Bergfahrt 2012, Fortsetzung der Erfolgsgeschichte mit 190 Gästen. Eine Rückschau von Jules Schröder, Fotos von Marco Volken.
© Jules Schröder, Wetzikon
Man erwartete Aehnliches wie an bisherigen Tagungen: spannende Berichte von Abenteuern, Glück und Tragik, Lesungen, Vorträge, Diskussionen und szenische Aufführungen in immer neuen und spannenden Aufmachungen trotz des gleichen Themas, jedesmal mit dem Gefühl, zum ersten Mal dabei und überwältigt zu sein. Und auch in diesem Jahr erlebten wir keine Wiederholung. Der Fächer von Berg, Klettern und Literatur hat sich um eine Spanne weiter geöffnet.
Kurt Diemberger, ein Wunder an geistiger Präsenz und Ausdruckskraft im hohen Alter, ist vorangegangen. Seine eindrücklichen Reportagen allein waren schon eine Steigerung. Ihnen war aber noch ein neuer, leiser Ton beigemischt, der Aufmerksamkeit auf sich zog. Der sechste Sinn, vielleicht am besten mit dem Unbewussten oder einem Warner vergleichbar, und ein siebter Sinn, der im Bedarfsfall zwischen Gefühl und klarem Urteil entscheidet, können sich ergänzen oder widersprechen und bei wacher Wahrnehmung am Berg lebenswichtig sein. Wenn man die lebendigen Erzählungen tief genug in sich hineinlässt, nimmt man diese zwei zusätzlichen Sinne wahr. Sein Blick auf Wetter, Wolken, Schnee, Farbe des Himmels, Windrichtung und –stärke sind mehr als Beobachtung und Analyse. Kurt Diemberger spricht mit dem Berg – er hält Zwiesprache mit ihm.
Damit liess Kurt Diemberger einen Schimmer Morgenröte aufleuchten, der im nachfolgenden Gespräch zwischen den kletternden Frauen zu einem neuen Tag in einem neuem Licht wurde. Sie suchten und fanden verschiedene Antworten auf die Frage nach dem Unterschied zwischen Frau und Mann beim Klettern. Jahrzehntelang kämpften sie gegen Feindschaft, Ablehnung, Vorurteil Widerstand und für Anerkennung. Dieser kann sich die Männerwelt heute nicht mehr verschliessen.
Aber nicht Argumente oder Emanzipation gaben den Ausschlag. Es sind schlicht die Leistungen der Frauen. In Planung, Technik Ausdauer, Leidensstärke und Willenskraft sind sie – waren sie schon immer – den Männern ebenbürtig. Aber der Berg verlangt mitunter auch Eigenschaften, mit denen die Natur die Frauen besser ausgerüstet hat. Beweglichkeit, Anpassungsfähigkeit, Geschmeidigkeit – oft auch eine ausgefeiltere Taktik – sind in manchen Situationen der Kraft und der Unbeugsamkeit überlegen.
Mit diesen Erkenntnissen bewegen wir uns immer noch bloss auf der Seite der Kletterer. Es gibt aber auch noch einen Berg. Unter Männern sind Strapazen und Gefahren das Hauptthema sowie die Frage, wie man das Verlangen danach verstehen soll. Frauen sprechen anders darüber. Das Verlangen ist für sie kein Geheimnis, keine Sucht und auch keine Flucht. Es gibt die Lust, die Bestätigung, die Freude, das Erlebnis. Und vom Berg sprachen sie liebevoll.
So schimmerte eine neue Ebene der Wahrnehmung durch, die nicht nach dem Verstehen für das eigene Tun fragt. Aber seit Frauen klettern, scheint der Berg endlich jemandem zu begegnen, der ihn versteht. Wenn für Männer die Höhe des Berges seine wichtigste Eigenschaft ist, haben wir an dieser Tagung erstmals und eindrücklich auch etwas über seine Tiefe erfahren. Sie lässt sich nicht messen, so wenig wie das Wesen eines Menschen. Wer den Berg aber so wahrnimmt, dem ist er ein Wesen – fast möchte man sagen, ein beseeltes Wesen. Denn nur mit einem solchen ist Zwiesprache möglich. Und ohne diese Zwiesprache findet sich auch keine Antwort auf die Warum- oder Sinnfrage. Vielleicht haben wir sie deswegen bis jetzt immer vergeblich gestellt. Frau sei Dank.
Die anschliessende Aufführung aus „Sez Ner“ von Anro Camenisch mit Gian Rupf und Hans Hassler behandelte ein ganz anderes Thema. Das eintönige Leben einer Alpgemeinschaft zwischen dem Senn und seinen Gehilfen in all seinen Absonderlichkeiten wurde mit Feingefühl und mit höchstem schauspielerischem Können auf die Bühne gebracht.
Ein realistisches Bühnenbild war kaum möglich. Die nötigen Utensilien waren treffende visuelle Metaphern. Das Spiel war eindrücklich. Es entliess einen mit der Frage, ob die Einsamkeit der Alpwirtschaft das menschliche Gemüt so verarmen, so verrohen muss. Vielleicht hängt es nicht zuletzt ebenfalls mit einem Unverständnis für das Wesen des Berges zusammen.
Guten Tag
darf ich das Foto von Gian Rupf im Bergtheater „Sez Ner“ für einen Programmhinweis nutzen?
Danke für eine schnellstmögliche Antwort
Mit freundlichen Grüssen
S. Rothmund