Bergführer Berlin

Bergwandern in der grössten Stadt der EU: aber unbedingt. Mehr Geschichte und Natur auf Schritt und Tritt geht fast nicht.

«Erst jüngst in die Liste der höchsten Berliner Erhebungen geschnellt – auf fast 77 Meter – ist der wohl halboffiziell so genannte Alpengipfel. Er steht oder liegt am Südrand der Stadt im Bezirk Tempelhof-Schöneberg, im Freizeitpark Marienfelde. Er verweist auf die Alpen, die noch weit, weit südlich über das Flachland des Kreises Teltow-Fläming hinweg geahnt werden können.»

So leitet Wilfried Griebel die Vorstellung des Alpengipfels im Buch „Bergführer Berlin“ ein. Griebel, gelernter Münchner und Mitglied des Deutschen Alpenvereins, Sektion Alexander von Humboldt, in Berlin, gehört zur Dreierseilschaft, die den „Stadtführer für urbane Gipfelstürmer“ herausgab. Insgesamt 13 Autoren stellen in 57 Kapiteln Berliner Berge vor, schön alphabetisch geordnet von Ahrensfelder Berge über Großer Müggelberg (114,7 m) – der höchste natürliche Gipfel Berlins! – bis Windmühlenberg. Immer mit Tipps zu Anreise, Einkehrmöglichkeiten und notwendiger Ausrüstung sowie mit viel Hintergrundinformationen zu Geschichte, Geographie und Landeskultur. Und immer mit der passenden Infotafel, um was für einen Berg es sich handelt: Vulkan, Schutt-, Müll-, Sand-, Trümmer- oder Moränenberg. So ist der Alpengipfel ein Müllberg: Er entstand „auf einer von 1950 bis 1981 genutzten Mülldeponie, in der ca. vier Millionen Kubikmeter Hausmüll abgeladen wurden. Er stellt also gewissermaßen eine Zivilisationsendmoräne dar, die zum Freizeitpark umgestaltet wurde.“ Und der jetzt schön grün ist, mit immer höher werdenden Bäumen. Wie auf vielen andern Berliner Bergen. Zum Beispiel auf dem Großen Bunkerberg (78 m), den Eva und ich am vergangenen Sonntag erklommen.

Die beiden Bunkerberge – der Kleine ist 68 Meter hoch – stehen im Volkspark Friedrichshain. Der war an diesem sonnigen Sonntag voll bevölkert, Familien, Spaziergängern, Joggerinnen, Radelnde, ein paar Sonnenbadende ebenfalls. Das Gasthaus beim Großen Teich gut besetzt. Eine friedliche Stimmung – heute. Das war vor 82 Jahren vielleicht auch noch so. Nur gab es damals noch keine Berge beim Teich, dafür den mächtigen, 1941 fertig gebauten Flakbunker. Die Rote Armee versuchte ihn 1946 zu sprengen, ohne Erfolg. In der Folge wurden Trümmer und Schutt aus der zerbombten Stadt ringsherum angehäuft, heran- und hinaufgekarrt mit einer kleinen Eisenbahn. Am Gipfel zeigen sich immer noch Teile des Daches des Gefechtsbunkers. Im Volksmund heisst der Große Bunkerberg, dieser „Kalvarienberg der deutschen Geschichte“, Mont Klamott.

Überhaupt die Namen. Der Havelberg ist der Panzerberg. Den Teufelsberg (120,4 m) nannte man wegen der Abhörstation Großes Ohr; er ist ein Trümmerberg und nur 60 Zentimeter tiefer als der Arkenberg, der höchste Berg Berlins. Und dann ist da noch der Runde Weinberg, der Sandberg und der Tempelhofer Berg – alles Übernamen für den Kreuzberg (66 m). Tja, Kreuzberg ist eben nicht nur ein berühmter Ortsteil von Berlin, sondern auch ein natürlicher Moränenberg, mit einem künstlichen Bergbach und zuoberst dem Nationaldenkmal für die Befreiungskriege. Mehr noch: Der Kreuzberg ist auch ein heiliger Berg der deutschen Justiz, weil mit den 1882 geschaffenen „Kreuzberg-Urteilen“ ein ganz wichtiger Schritt zur Gewaltenteilung geschaffen wurde, die heute im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankert ist. Mehr dazu im „Bergführer Berlin“ – und in der Infotafel am Fuss des Kreuzberges, dort, wo der Aufstieg entlang des Baches beginnt, der unten in einen Teich fällt, wo seit 125 Jahren die Bronzeskulptur „Der seltene Fang“ des Künstlers Ernst Gustav Herter steht: ein bärtiger Fischer, der eine schöne Nixe gefangen hat.

Auch in der viergrössten Stadt Europas (und der grössten der EU) ist Wandern mehr, als einen Fuss vor den andern setzen. Besser: erst recht. Dazu empfiehlt sich unbedingt der „Bergführer Berlin“, auch wenn ein Inhaltsverzeichnis und eine Liste der Berge nach Höhe fehlen. Letztere findet man hier, von Arkenberge bis Südplateau (49,6 m) im Fritz-Schloß-Park: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Erhebungen_in_Berlin. Kurz: Auf nach Berglin!

Markus Gerold, Wilfried Griebel, Heidje Beutel (Hg.): Bergführer Berlin. Ein Stadtführer für urbane Gipfelstürmer. BeBra Verlag, Berlin 2020. € 16,00.

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