Bergkrimis, 3. Seillänge

Der fünfte Fall für Léon Duval, der zehnte für Bruno Courrèges und Hubertus Jennerwein, der x-te für Rocco Schiavone: Sechs (Berg)krimis, die alle in diesem Jahr herauskamen.

„Wissen Sie, ob sie Alpinistin war?“
„Bruno meint, ob sie in Felswänden geklettert ist“, erklärte Amélie.
„Nicht dass ich wüsste. Jedenfalls ist sie gern gewandert. Wir waren nach der Friedenskonferenz für einen Tag in den Schweizer Bergen.“

Alpinistin, Klettererin oder Wandererin: Differenzierende Bezeichnungen für Bergsportler kümmern die junge Archäologin Leah Wolinksky nicht mehr. Sie stürzte beim Klettern ab – Seilriss. Aber nicht beim Sportklettern, sondern beim „Politklettern“. An einer Schlossmauer wollte sie, hängend an einem Seil, eine politische Glaubensbotschaft anbringen. Was einem Gegner nicht gefiel, weshalb er kurzerhand das Seil durchtrennte. Martin Walkers „Revanche“, der zehnte Fall für Chef de Police Bruno Courrèges, ist kein Bergkrimi im engeren Sinn, vielleicht auch nicht im weiteren. Aber ein Kletterunfall, der sich dann als Mord entpuppt, steht am Anfang des jüngsten Falles der Erfolgsserie, die an einem fiktiven Ort im Périgord verortet ist.

Wir bleiben noch in Frankreich. „Das Dorf Ste. Agathe werden Sie vergeblich auf der Landkarte suchen, es ist meiner Fantasie entsprungen“, verrät Christine Cazon im Nachwort zu „Wölfe an der Côte d’Azur. Der fünfte Fall für Kommissar Duval“. Nun, das ist insofern eine Irreführung der Leser, als es in Frankreich rund zehn Sainte-Agathe gibt, wie www.geoportail.gouv.fr zeigt, wenn auch keines an der Côte d’Azur. Diesmal ermittelt Léon Duval in den Bergen und an der Küste, es geht um einen umstrittenen Wanderweg im Nationalpark und um den Wolf. Liegen sich Naturschützer und Schäfer nur in den Haaren, oder wird auch mit anderen Mitteln gekämpft? Eine hochspannende und -aktuelle Diskussion, verpackt in einen Krimi vom Rande der Alpen. Und: Findet die Journalistin Annie zurück zu Kommissar Léon? Wir gönnten es den beiden, mais bien-sûr!

Ebenfalls am Rande der Alpen ist der dritte Fall für Matteo Bruno angesiedelt, Besitzer einer Metzgerei in Cannòbio und ehemaliger Polizeipsychologe, Fischer und Berggänger. Auf dem Gipfel der Cima della Laurasca im Parco Nazionale Val Grande findet er einen Toten; jedenfalls zeigt der Mann, der auf einem Felsabsatz unter ihm liegt, keinerlei Regung. Doch wie die wahrscheinliche Leiche geborgen werden soll, ist sie plötzlich nicht mehr da. Warum? Und warum überhaupt stürzt jemand vom Gipfel? Fragen, die im Laufe des Krimis allerdings nur noch Nebenrollen spielen. Insgesamt ist der dritte Matteo-Fall von Bruno Varese weniger überzeugend als der Erste. Und dass die Cima männlich und eine Alp Alpe geschrieben werden, hemmt immer wieder das Lesevergnügen.

Wir bleiben noch in Italien, im Valle d’Aosta auf der Südseite des Monte Rosa-Massivs. In einem Bücherstand an der Via XX Settembre in Genua entdeckte ich den Band „L’anello mancante. Cinque indagini de Rocco Schiavone“ von Antonio Manzini. Seinen ersten Krimi „Pista nera“ um den von Rom nach Aosta strafversetzten Schiavone hatte ich im Juli 2016 auf www.bergliteratur.ch vorgestellt. In Genua schaute ich den Band mit den fünf Kurzgeschichten an, insbesondere diejenige mit dem Titel „Castore e Polluce“. Volltreffer: ein echter Bergkrimi – ein Bergunfall, der sich als Mord am Berg herausstellt. Clever und überraschend von einem Kommissar herausgefunden, der mit den Bergen und dem Bergsteigen gar nichts an der Mütze hat. Aber wofür hat man schliesslich Seilpartner auf dem Posten?

Echte Bergkrimis schreibt bekanntlich Irmgard Braun. „Nie wieder tot“ war ist erster (2014), es folgten „Mutig aber tot“ sowie zwei Fälle mit der Kletteroma Monika Trautner. Der fünfte Braunsche Bergkrimi erweckt das Ende des Daseins im Titel zu neuem Leben: „Tod an der Alpspitze“. An diesem 2628 Meter hohen Wahrzeichen von Garmisch-Partenkirchen passieren schreckliche Sachen. Damit ist nicht unbedingt die Sprayaktion am unübersehbaren Gipfelkreuz gemeint, sondern der Sturz eines Mitgliedes der Gruppe von Jana während der Begehung der berühmten Alpspitz-Ferrata. Wie immer in solchen Fällen taucht da die Frage auf: Hat jemand noch nachgeholfen? Und weshalb? Und wie immer lautet in diesem Fall die Antwort: selber lesen!

Das gilt natürlich auch immer wieder für Jörg Maurer und seine in Garmisch-Partenkirchen handelnde Serie um Kommissar Hubertus Jennerwein. Im zehnten Band mit dem genialbösen Titel „Am Abgrund lässt man gern den Vortritt“ steht für einmal aber nicht er im Mittelpunkt, sondern Ursel Grasegger, Bestattungsunternehmerin a.D. Ihr Mann Ignaz ist nämlich spurlos verschwunden, vielleicht beim Wandern abgestürzt? Was durchaus möglich wäre, denn die Graseggers haben an fast unzugänglichen Orten rund um ihren Kurort geheime Depots angelegt – keine Sache für Schwindelanfällige. Jennerwein hilft der Ursel, wenn auch contre-coeur. Und trifft dabei den Allgäuer Kriminalkommissar Kluftinger aus Kempten, genauso eine fiktive Figur wie er selbst und, was für ein schöner Zufall, ebenfalls mit dem zehnten Band auf dem Markt. Ausschnitt aus dem neuen Maurer, dessen rasantes Finale am Lago di Lugano von statten geht:

„Haben Sie vielleicht eine Landkarte von der Schweiz oder vom Tessin im Haus?“, fragte Jennerwein. „Sonst kaufen wir unterwegs eine.“
„Aber, Kommissar, in welcher Zeit leben Sie denn? Kein Mensch benützt heutzutage mehr eine Landkarte! Das ist doch im Internet alles viel genauer zu sehen.“

Martin Walker: Revanche. Der zehnte Fall für Bruno, Chef de Police. Diogenes Verlag, Zürich 2018, Fr. 34.90.
Christine Cazon: Wölfe an der Côte d’Azur. Der fünfte Fall für Kommissar Duval. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018, Fr. 14.90.
Bruno Varese: Totenstille über dem Lago Maggiore. Ein Fall für Matteo Basso. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018, Fr. 14.90.
Antonio Manzini: L’anello mancante. Cinque indagini de Rocco Schiavone. Sellerio editore, Palermo 2018, € 14.-
Irmgard Braun: Tod an der Alpspitze. Rother Verlag, München 2018, Fr. 18.50.
Jürg Maurer: Am Abgrund lässt man gern den Vortritt. Fischer Verlag, Frankfurt 2018, Fr. 24.90.

PS: Wer sich für Bergkrimis interessiert, findet entsprechende Hinweise auch in „Blüemlisalp – Schneezauber und die sieben Berge“. Die zweite Buchvernissage dieser neuen Bergmonografie des AS Verlages findet am Donnerstag, 30. August 2018, um 19.30 Uhr im Bächli Bergsport unweit des Bahnhofs Thun statt.

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