Bergkrimis, erste Staffel

Neue Bergkrimis aus der Schweiz und dem angrenzenden Ausland. Spannende Lektüre, aber nur an einem sicheren Ort in der Stadt…

„Und dann, während sie das Panorama bewunderte, habe ich ihr einen harten Stoss versetzt. Es ging ganz leicht. Erschütternd leicht.“

Sagt Robert zu den Leuten, die ihn eben festgenommen haben. Sein Geständnis offenbart die Urszene im Bergkrimi: der Sturz in den Abgrund. Nicht durch eine Unachtsamkeit, ein Stolpern oder ein Ausrutschen, nicht durch einen ausbrechenden Griff, einen herunterfallenden Stein oder sonst etwas. Nein! Sondern durch eine nahe stehende Person: ein kleiner Schubser, ein harter Stoss, ja vielleicht gar nur ein Schreckruf oder ein falscher Tipp. Und schon stürzt das Opfer ab. Ob es dann einen Täter gibt, ist schwierig zu ermitteln. Der Plan von Robert wäre fast aufgegangen, wenn Monika beim Sturz nicht ihre Brille verloren hätte. Und die wird dann zufällig gefunden. „Weitsicht“ heisst der Niesenkrimi von Esther Pauchard, eine mit Werken des Kunstmuseums Thuns sinnig illustrierte Erzählung. Denkt also daran, wenn Ihr das Panorama bewundert, dass niemand in der Nähe steht…

„Doch bei diesem Wetter – ich weiβ nicht. Man muss durch den ‚Geltentritt‘. Das ist eine Felswand, die über eine Metallleiter und einen felsigen, glitschigen Pfad überwunden werden muss. Für ungeübte Berggänger ist das nicht zu empfehlen, erst recht nicht bei diesem Wetter. Wenn man abrutscht, ist der nächste Halt hundert Meter weiten unten, am Fuβ der Wand.“

Sagt Ludivine zu Cora auf Seite 79 in „Blutlauenen“ von Christof Gasser. 200 Seiten weiter hinten stehen sich die zwei Frauen genau im Geltentritt gegenüber, etwas weniger freundlich, denn plötzlich zückt – das verrate ich natürlich nicht. Nur so viel: Immerhin sind die beiden bis zu dieser schwierigen Wegpassage zwischen der Alp Chüetungel und der Geltenhütte hoch oben im Lauenental bei Gstaad noch am Leben. Für andere Mitglieder der Jugendclique nämlich, die sich im fiktiven Jagdhaus auf Chüetungel alias Blutlauenen zusammengefunden haben, um alte Erinnerungen aufzufrischen, wird der Ausflug in die Berge der letzte sein. Denkt also daran, wenn Ihr zu einem Wochenende in einer abgelegenen Hütte eingeladen seid, dass es erstens ungefährliche Fluchtwege und zweitens freundliches Wetter gibt…

„Ist ganz schön was los auf dem eisigen Berg, was? Und jetzt führ mich über den Gletscher. Ich will zum Cliff Walk. Traust du dir bei diesen Windböen zu, auf einer wackeligen Hängebrücke in die Tiefe zu blicken? Oder hast du Angst vor dem Berg?“

Sagt Staatsanwältin Eva Roos zum Luzerner Ermittler Cem Cengiz in Monika Mansours „Die Tote vom Titlis“. Die beiden machen ihre Hochzeitskurzreise auf den Titlis. Eine grosse Gruppe aber zelebriert die Heirat in der Gletschergrotte auf dem Titlis, doch kurz vor dem Jawort wird die Braut erschossen. Wegen eines aufkommenden Schneesturms muss die Luftseilbahn ihren Dienst einstellen. Und plötzlich gibt es noch mehr Tote. Nach dem Jagdhaus im Berner Oberland erneut ein tödliches Kammerspiel à la Agathe Christie, nun auf dem berühmten Eisberg in der Zentralschweiz. Denkt also daran: Nie bei Sturm auf den Titlis, und schon gar nicht dort oben heiraten…

„Gian, du kennst ja das Engadin auch sehr gut, bist als eingefleischter Bündner viel unterwegs. Der Munt la Schera ist dir ein Begriff?“

Sagt Giulia de Medici, Ermittlerin der Kapo Graubünden, zu ihrem Bekannten in Philipp Gurts „Bündner Treibjagd“. Genau an diesem Munt la Schera, einem der wenigen mit Wegen erschlossenen Gipfel im Schweizerischen Nationalpark, beginnt die Treibjagd. Allerdings nicht auf Tiere. Sondern auf Menschen wie Ladina Demarmels, einst eine erfolgreiche Biathlonistin, deren Karriere kaputt ging, als sie von einem Auto angefahren wurde. Und jetzt wird sie im Parc Naziunal Svizzer gejagt. Schicksal oder Zufall? Das versucht Giulia de Medici herauszufinden, gegen äussere und innere Widerstände. Und mit einem sehr überraschenden Schluss, zu dem sie in einer einsamen Alphütte gefunden hat. Denkt also daran, dass ein Aufenthalt in der Berghütte zu neuen Erkenntnissen führen kann, vielleicht auch zu schrecklichen…

„Hat sie denn etwas gesehen? Hat der Wolf das Mädchen in den Abgrund gestoβen? Könnte das so gewesen sein?“

Sagt Garmischer Kommissarin Kathi Reindl zu einer Zeugin. Mit dabei bei der Befragung ist ihre Kollegin Irmi Mangold, ganz entgegen ihrer Absicht. Denn im zehnten Alpenkrimi um Irmi Mangold, in „Wütende Wölfe“, lässt Autorin Nicola Förg die Hauptfigur eine Auszeit auf einer Alp nehmen. Aber drei bizarre Fälle – darunter ein toter Mann gefangen in den Schlageisen einer so genannten Wolfsgrube – erschüttern Irmi Mangold tief. Ihr Sabbatical als Alphirtin hin oder her: Sie muss nun doch Tatorte erfühlen, unbequeme Fragen stellen und zwischen tierischen und menschlichen Wölfen scharf unterscheiden. Denkt also daran: Es gibt Wölfe im Schafspelz, und umgekehrt…

„Ich hätte nicht gedacht, dass es hier so schön sein kann. Mal abgesehen von den Bergen, die ich immer noch ätzend finde, sind die Wiesen… Also solche grünen Wiesen hat Rom nicht so bieten.“

Sagt Rocco Schiavone, der von Rom nach Aosta strafversetzte, stellvertretende Polizeichef, im neuen Roman von Antonio Manzini. Es ist der vierte, der nun auf Deutsch vorliegt, und er passt perfekt in diesen Frühling: „Ein kalter Tag im Mai“. Sehr lesenswert, wie alle Romane und Erzählungen um Rocco Schiavone. Aber „Era di maggio“ ist kein Bergkrimi, obwohl er im Tal mit den höchsten Spitzen der Alpen spielt. Auf der Vorderseite ist zwar eine grüne Zinne zu sehen, und auf der Rückseite steht gross geschrieben „Mord mit Bergblick“. Denkt also daran: Nicht immer, wenn Gipfel auf dem Cover abgebildet sind, geht es um Verbrechen auf den Bergen…

Esther Pauchard: Weitsicht. Ein Niesenkrimi. In: Berge sammeln. Ein Projekt im Rahmen der Ausstellung Bergwärts im Thun-Panorama. Kunstmuseum Thun 2018, Fr. 14.-
Christof Gasser: Blutlauenen. Emons Verlag, Köln 2019, Fr. 19.-
Monika Mansour: Die Tote vom Titlis. Emons Verlag, Köln 2019, Fr. 19.-
Philipp Gurt: Bündner Treibjagd. Emons Verlag, Köln 2019, Fr. 19.-
Nicola Förg: Wütende Wölfe. Pendo Verlag, München 2019, Fr. 25.-
Antonio Manzini: Ein kalter Tag im Mai. Rowohlt Verlag, Reinbeck bei Hamburg, Mai 2019, Fr. 15.-

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