Bergkrimis, vierte und letzte Seillänge 2018

Draussen an der Sonne oder drinnen am Kaminfeuer des Chalet in den Bergen einen winterlichen Bergkrimi lesen. Wann, wenn nicht jetzt? Viel Spass und alles Gute!

„Drauβen empfing Annabelle ein kühler, bedeckter Morgen. Blassgrau hing der Himmel über den Berggipfeln. Die Helligkeit hatte etwas seltsam Milchiges, hinter den diesigen Wolkenschleiern konnte man die Sonne nur ahnen. Auch die Spitze des Drachensteins hüllte sich in dunstigen Nebel. Als sei nichts gewesen, ragte der Hausberg hoch über dem Dorf auf; als hätte er nicht wie flüssige Lava geglüht am vorherigen Abend und damit, laut Sepp, ein böses Vorzeichen nach Puxdorf geschickt.“

Böse Vorzeichen zuhauf in diesem (fiktiven) Dorf in den bayerischen Alpen. Nicht nur von den tief verschneiten Bergen, die in der Abendsonne hell aufleuchten. Und das ausgerechnet während der Festtage am Jahresende. Vom 19. bis zum 31. Dezember spielt der vierzehnte Roman von Ellen Berg mit dem wenig weihnächtlichen Titel „Ich küss dich tot“. Der Untertitel liest sich auch nicht feierlich: „(K)ein Familienroman“. Noch schlimmer: Auf der Rückseite des 400seitigen Taschenbuch steht „Endlich wird gemordet!“ Und wie! Wenn ich richtig gezählt habe, müssen vier allerdings nicht eben sympathische Männer und Frauen in den Schnee beissen. Annabelle zum Glück nicht, schliesslich ist sie die Hauptperson in diesem winterlich-bös-kitschigen Familien-, Dorf-, Liebes- und Hotelroman, der nebenbei auch noch als Bergkrimi daherkommt. Der fünfte Mord passiert fast auf einer Wanderung. Wäre es soweit gekommen, hätte es kein Happy-End gegeben zwischen Annabelle und – nein, verrat ich nicht, den Namen des Märchenprinzen. Nur so viel: Sepp ist es nicht.

„Es musste die ganze Nacht geschneit haben. Bei jedem Schritt versanken Eleanors Stiefel tief im Schnee, und obschon er noch frisch und locker lag, machte er das Gehen beschwerlich. Margrit war zielstrebig auf die Treppe zugegangen, stieg behutsam hinunter und zerstörte dabei die Stufen aus Schnee, die sich darübergelegt hatten. ‚Irgendwo hier muss der Weg sein‘, murmelte Eleanor, als sie unten ankam.“

Aber wo? Viel Zeit haben die Cousinen Eleanor und Margrit nämlich nicht, aus diesem verwunschenen, bis vor kurzem leer gestandenen Hotel „Bel Veder“ auf der (fiktiven) Finsteralp im Berner Oberland zu fliehen. Ihr Cousin Victor ist den beiden auf der Spur. Aber will er ihnen Böses oder Gutes? Die Fliehenden wissen es nicht, die Leser auch nicht. Ob sie davonkommen, erzähle ich freilich auch in diesem Fall nicht. Mit „Bel Veder“ hat Mirko Beetschen eine klassische Gothic Novel verfasst. Also ein Werk der Gattung, die Horace Walpole 1764 mit „The Castle of Otranto“ begründete. Die architektonische Hauptrolle in diesem neuen Schauerroman spielt das Hotel, in das sich die Verwandten begeben, um das Testament des Hotelgründers anzuhören. Wer erbt es, ja, wer will diesen geheimnisvollen riesigen Kasten überhaupt erben? Victor sicher, noch mehr seine Verlobte Claire. Vielleicht auch Allan, der Bewunderer der Hauptfigur Eleanor. Aber Allan fällt auf einer Wanderung im Hotelgelände in eine Schlucht, aus einem Moment der Unachtsamkeit oder weil… Genau das passiert ja immer wieder in einem Bergkrimi.

„In diesem Moment gab ihm der Startrichter das Zeichen, sich fertig zu machen. Und plötzlich fühlte Marc, wie der ganze Stress von ihm abfiel. Fast so unbekümmert wie als Teenager rutschte er zur Startlinie vor. Was hatte er schon zu verlieren? Er besaβ doch bereits alles, was er zum Leben braucht.“

Wirklich? Hatte der Schweizer Skirennfahrer Marc Gassmann alles? Aber was ist denn mit seiner Off/On-Freundin Andrea Brunner? Und mit dem Sieg auf der Oympia-Abfahrt in Pyeongchang im Februar 2018? Für die er gleich starten wird – drei, zwei eins, go. Kein ungefährliches Unterfangen, solche Abfahrtsrennen. Doch auf Marc und Andrea warten in der Schweiz und in Südkorea noch ganz andere Abenteuer, wirklich lebensgefährliche. In „Eiskalte Spiele“, dem dritten Skikrimi von Marc Girardelli & Michaela Grünig, geht es um Doping im Leistungssport, und da wird so geheim wie gemein gehandelt.

„Geschafft. Geschafft? Jennerwein fasste den Spitzstichel fester, den er immer noch in der Hand hielt. Dann bekam er einen Schlag auf den Kopf, der ihn zu Boden schleuderte. Die Wand! Die Rückwand der Hütte brach krachend auf und neigte sich nach auβen! Als er nach oben blickte, sah er, dass das Dach halb weggesprengt worden war. Werkzeuge, Bretter, altes Gerümpel aus dem Speicher stürzten auf ihn herunter. Ein Ski kam mit der Spitze voraus auf ihn zu.“

Nein! Doch nicht das Ende von Kommissar Hubertus Jennerwein? In seiner alten Hütte oben am Berg will er am ersten Weihnachtsfeiertag mit seinem Team endlich einmal gemütlich zusammensitzen, ohne Verbrechen und Verbrecher. Aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt, ganz anders. Bei Jörg Maurer sowieso. Auch in seinem elften Alpenkrimi mit Jennerwein & Co., passend zum Jahresende mit dem nicht ganz warmherzigen Titel „Im Schnee wird nur dem Tod nicht kalt“. Mehr möchte ich wirklich nicht preisgeben, nur die Empfehlung, wie immer bei Maurer: lesen! Diesmal aber vielleicht nicht in einer Hütte. Was da alles passieren kann – mein Gott! Nur ein kurzes Zitat soll noch angefügt werden. Der drittletzte Satz lautet: „Na dann: auf ein Neues.“ Ein neues Werk von Maurer. Ein neues Buch der Woche von Anker. Vor allem aber:

Es guets Nöis!

Ellen Berg: Ich küss dich tot. (K)ein Familienroman. Aufbau Verlag, Berlin 2018, Fr. 17.-
Mirko Beetschen: Bel Veder. Zytglogge Verlag, Basel 2018, Fr. 32.-
Marc Girardelli & Michaela Grünig: Eiskalte Spiele. Emons Verlag, Köln 2018, Fr. 17.-
Jörg Maurer: Im Schnee wird nur dem Tod nicht kalt. Fischer Verlag, Frankfurt aM 2018, Fr. 25.-

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