Nur Ski(lift) fahren ist schöner als lesen. Aber was, wenn der Schlepper plötzlich nicht mehr rattert. Dann lesen wir. Hier sind vier Vorschläge. Viel Spass beim Fahren über die weissen Seiten!
„Und was machen wir jetzt, fragt Paul und schaut den Georg an, das ist ja afängs eine triste Sache, das mit dem Schnee, und jetzt ist uns auch noch der schöne Schlepplift abgelegen, die gute Seele.“
Steht auf der zweitletzten Seite im jüngsten Buch von Arno Camenisch mit dem schönen und traurigen Titel „Der letzte Schnee“. Ja, was machen wir jetzt? Ganz einfach: Wir beginnen vorne, lesen auf der zweiten Seite das hier: „Sie stehen neben dem Skilift mit den Händen in den Hosentaschen und schauen den Skilift an, ein schönes Ding, gell, sagt der Paul, er schaut den Georg an, Baujahr 1971, der Klepper macht noch lange mit.“ Hoffentlich, wenigstens auf den nächsten knapp 100 Seiten, auf denen wir lesen, wie Georg und Paul beim ihrem Skilift in den Bündner Bergen stehen, zu ihm schauen wie zu einem Kind, ihn pflegen und hegen, hoffen, dass auch mal Leute kommen zum Skifahren. Und dazu reden, über Gott und die Welt und das Dorf, die zwei älteren Männer. Täglich tun sie das im Winter, eine gute Woche lang hören wir ihnen zu, ihren Gesprächen, ihren Anspielungen, ihrem Leben. Dazu rattert und surrt der Schlepplift, wenn er denn in Gang gebracht wurde von Georg und Paul. Der Sound der Rollen und Bügel begleitet uns wie der Sound der Sprache von Camenisch. Am Schluss fällt der Strom aus, doch die Sätze begleiten uns noch auf ein paar Seiten, bis ganz am Ende „das Tal allmählich im Nebel verschwindet.“
Und was machen wir jetzt? Wir ziehen das nächste Buch aus dem Rucksack, haben ja Zeit auf der sonnigen Bank vor dem alten Skilifthüsli, lehnen uns an die warme Holzwand, jetzt, wo der Lift still steht und die Bügel traurig am Seil hängen. Melancholisch angehaucht ist auch das Buch von Christian E. Besimo: „Die Kraft der Düra. Geschichten aus dem Tessin.“ Sie spielen im Val Verzasca, ohne dass der Autor das Tal genau verortbar beschrieben würde, fast verlassene Alpen, karges Gras und viel Stein, schlaue Ziegen und schwierige Verhältnisse. Im Zentrum steht Matteo, der immer wieder seine Hütte aufsucht, trotz Schnee und Nacht und Sturm und manchmal auch zu viel Vino, wenn er beim Freund Sergio auf der Alp weiter unten weilt. Matteo also, auf der Suche nach sich selbst, nach seinen Vorfahren, dort hinten im wilden Tessiner Tal. Und am Ende steht er da „und wusste, dass Angelina für ihn unerreichbarer geworden war als je zuvor.“
Und was jetzt? Ein anderes Buch natürlich, wir haben ja Zeit, die Sonne steht noch über dem Berg. Einen richtigen Roman nehmen wir hervor, „Anderberg“ von Andreas Schwab. Eine etwas verschachtelte Geschichte um „einen grössenwahnsinnigen Hotelbau in den Alpen“, wie wir auf dem Umschlag lesen. Panta Rhei heisst dieses Hotel, das im Zentrum des Romans und über dem Dorf angesiedelt ist, wo es trotz Bedenken und Ränke gebaut wurde. Und dann eine Veränderung erfährt, fast so, wie wenn der Schnee ausbliebe und der Lift stillstünde. Auf der Landkarte existiert „Anderberg“ nicht, aber wenn wir beim Lesen manchmal an den geplanten Hotelturm in Vals gedacht haben, liegen wir sicher nicht falsch.
Und zum Schluss zücken wir noch den Bergroman von Ellen Berg hervor: „Manche mögen’s steil.“ Im Zentrum agiert diesmal Viktoria Elsässer, eine IT-Fachfrau, die in der digitalen Welt definitiv besser zurechtkommt als in der analogen. Doch auf der Hütten und im Steilfels, die Vicky auf einer Team-Trainings-Tour kennenlernen muss, hilft ein Smartphone nur bedingt weiter. Besser sind da schon die starken Arme des Bergführers, und die Friends, die man allerdings nicht in den Fels hämmert, wie zu lesen ist. Über solche bergsportlich flachen Stellen lesen wir grosszügig hinweg, freuen uns dafür an echt komischen Passagen drunten im Tal. Und ziehen schon mal die Daunenjacke an, wo die Sonne sich anschickt, hinter den Liftberg zu versinken. Am Ende sehen wir Vicky und ihren Seilgefährten (der Name sei nicht verraten) beim Klettern, und die letzten Wort von ihr und des Romans lauten so: „Wo wir sind, ist oben. Für immer.“
Arno Camenisch: Der letzte Schnee. Engeler-Verlag, Schupfart 2018, Fr. 25.- www.engeler-verlag.com
Christian E. Besimo: Die Kraft der Düra. Geschichten aus dem Tessin. Mit schwarz-weissen Fotos des Autors. edition bücherlese, Hitzkirch 2017, Fr. 31.90. www.buecherlese.ch
Andreas Schwab: Anderberg. Offizin Verlag, Zürich 2017, Fr. 28.90. www.offizin.ch
Ellen Berg: Manche mögen’s steil. (K)ein Liebes-Roman. Aufbau Verlag, Berlin 2017, € 11.- www.aufbau-verlag.de