Bergromane

Frankreich ist Ehrengast an der diesjährigen Frankfurter Buchmesse vom 11. bis 15. Oktober. Auf der Fahrt in die Geburtsstadt von Goethe (ihm ist u.a. der 44 Meter hohe Goetheturm am Stadtrand geweiht) und von Ernst Justus Häberlin (Mitglied der SAC-Sektion Basel und Erstbesteiger von Breitlauihorn, Lötschentaler Breithorn und Schinhorn vom 26. bis 30. August 1869) könnten wir doch einen Bergroman lesen, einen französischen natürlich. Oder auch einen deutschen, mais oui!

Je frémis: c’est Matthieu Charraz, le champion, en personne.

– Matth, je te présente Emma Lindley, ma nouvelle colocataire; une brillante sociologue qui nous vient des États-Unis pour sa thèse. Emma, voici Matthieu, un ami.

Il plante ses yeux dans les miens. Malgré son sourire, je ressens une certaine distance; Matthieu Charraz en impose.

– Et sur quoi travaillez-vous, mademoiselle!

– La prise de risques en montagne, dis-je, mal à l’aise.

– Ah oui?

Oh ja! Die erste Begegnung zwischen den beiden Hauptfiguren im ersten Roman der französischen Autorin Mélanie Valier „Et si tout s‘arrêtait là?“. Und es hört nicht auf damit, natürlich nicht. Sonst wäre es ja kein Roman… Emma Lindley und Matthieu Charraz werden sich wieder begegnen in Chamonix, der Hauptstadt des Alpinismus. Gerade er, der Champion des Freeridens und des Trail Runnings, wird ein bevorzugtes Objekt ihrer soziologischen Untersuchung über das Risiko des Bergsports im Zeitalter des Internets, der Social Media, der Helmkamera. Mehr noch: Die beiden verlieben sich ineinander – was wäre ein (Berg-)Roman ohne Liebesgeschichte? Und diejenige von Emma und Matth ist heiss. Es wird nicht nur geklettert und gerannt, gesurft und geflogen. Mais non!

Das Regionalradio „France Bleu“ sprach zu Recht von einem „thriller érotico-montagnard“, und die Bergzeitschrift „Vertical“ meinte, es gebe nicht häufig einen solchen Roman zu lesen: „C’est courageux, novateur, féminin.“ Wer also nun, wenn Frankreich in Frankfurt an der Buchmesse zu Gast ist, einen zeitgenössischen französischen Bergroman lesen möchte, sollte sich mit Mélanie Valier zum Mont Blanc und zur Aiguille Verte aufmachen.

Ebenfalls in den französischen Alpen, vor allem im Écrins-Massiv, spielt der dritte Roman des bekannten französischen Bergpublizisten François Labande. Wie bei Mélanie Valier wird das Geschehen in „La ligne d’horizon“ aus weiblicher Ich-Perspektive erzählt. Bic Calmet, 50 Jahre alt, alleinerziehende Mutter, Bergführerin, engagiert sich in ökologischen Bewegungen gegen die fortschreitende Erschliessung der Berge und hat sich um zwei nicht ganz pflegeleichte Söhne zu kümmern: Der eine arbeitet als Arzt in humanitärem Dienst in Syrien, der andere taucht in der rechtsextremen, terrorverdächtigen Szene von Marseille unter. Das volle Programm also. Verständlich, wenn Bic ihrem Seilpartner während einer Winterbesteigung gesteht: „C’est là que je suis bien. Là-haut. Tu comprends?“

Verstehen wir bestens, mais bien-sûr! Gipfelglück, kurz gesagt. So heisst auch der Roman von Uschi Grudzinski und Evelyn Holst. Er ist im real existierenden Gradonna Mountain Resort oberhalb des Bergdorfes Kals am Grossglockner im Osttirol angesiedelt, handelt von verschiedenen Paaren (Touristen und Einheimischen), die sich finden, wieder finden und verlieren, die dort oben den Sinn des Lebens suchen, zu finden glauben – oder ganz einfach auch arbeiten müssen. Ein rasanter, kitschiger, unterhaltsamer Berghotelroman. Bergsport wird auch getrieben.

„Prima“, lobte Lucas und fühlte sich wie Reinhold Messner. Wie gut, dass er sich gestern Abend noch in den Hotel-Bibliothek den Berg- und Klettersteigführer ausgeliehen und sich über diese Tour informiert hatte. Als hätte er’s geahnt. „Jetzt geht’s hier die Felsrinne hoch. Ihr könnt euch an diesem Fixseil festhalten.“

Machen wir. Allons-y! Lisons!

Mélanie Valier: Et si tout s‘arrêtait là? Éditions Glénat, Grenoble 2017, € 20.- http://montagne.glenatlivres.com

François Labande: La ligne d’horizon. Éditions du Fournel, L’Argentière-La Bessée 2016, € 19.- www.editions-fournel.fr

Uschi Grudzinski, Evelyn Holst: Gipfelglück. Atlantik Bücher, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2017, € 15.- www.atlantik-verlag.de

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