Ein grosses Buch zur Geschichte der Bergbegeisterung und des Alpinismus in verkleinerter Neuauflage.
«Vom Pioniergeist des Bergsteigens bis zum alpinen Extremsport von heute: über 100 weltbekannte Bergmenschen in einem Buch.»
Fett und gross gedruckter Rückseitentext des Bildbandes „Bergsteiger. Auf den Spuren grosser Alpinisten“ von Ed Douglas. Ein (fast) unveränderter Nachdruck der Erstausgabe von 2012. In der NZZ vom 18. Januar 2013 stellte ich das Buch unter dem Titel „Hoch hinaus. Eine Geschichte des Alpinismus“ so vor:
«Kennen Sie den ersten Bergsteiger? Ist’s der Südtiroler Reinhold Messner? Nein, da sind schon andere vor ihm auf die Berge gestiegen – und haben darüber Bücher veröffentlicht. Zum Beispiel der vor kurzem verstorbene Franzose Maurice Herzog, Erstbesteiger der Annapurna im Jahre 1950; eigentlich schrieb er nur ein Buch über diese Expedition, dafür verkaufte es sich millionenfach. Der Engländer Edward Whymper, 1865 Sieger des Matterhorns, war ebenfalls bestsellertüchtig – und keineswegs der erste Alpinist. So wenig wie sein Landsmann Albert Smith, der seine Besteigung des Mont Blanc von 1851 gnadenlos vermarktete.
Doch war es vielleicht der Solothurner Naturforscher Franz Josef Hugi? Ja, in gewisser Weise schon. Er war nämlich der erste Bergsteiger, der sich im Winter freiwillig in die vergletscherten Hochalpen hinauf wagte. Am 12. Januar 1832 erreichten er und seine Führer den Stahleggpass (3332 m) oberhalb Grindelwald, an Hugi erinnern heute Hugisattel und Hugihorn. Aber der Erste, der in der Höhe herumstiefelte, war auch er nicht. Am 26. Juni 1492 kletterten Antoine de Ville und seine Gehilfen auf den 2087 Meter hohen, noch immer unzugänglich scheinenden Mont Aiguille unweit Grenoble. Die Geburtsstunde des Alpinismus? Wahrscheinlich die erste schwere Bergtour.
Auf die Berge wurde freilich noch viel früher gestiegen: Der Mönch En-no-gyoja bestieg anno 663 den Fuji (3776 m) in Japan – die erste bekannt gewordene Besteigung eines Gipfels. Und doch: „Der erste bekannte Bergsteiger der Welt“, so schreibt der englische Journalist und Alpinist Ed Douglas in seinem gewichtigen Bildband „Bergsteiger. Auf den Spuren großer Alpinisten“, war der Ötzi. Also Messners 5000 Jahre alter Vorfahre, dessen Leiche am 19. September 1991 an der Grenze von Südtirol gefunden wurde.
Spannend, die Geschichte des Bergsteigens, die uns Douglas, früher Herausgeber des renommierten „Alpine Journal“, da auf 360 grossformatigen Seiten mit 800 Fotografien, Illustrationen, Karten und Tabellen ausbreitet. Die Führer durch 5000 Jahre Alpininstikgeschichte sind 100 Alpinisten und Alpenkenner (17 aus der Schweiz) sowie nur 10 Alpinistinnen, die näher vorgestellt sind. Reine Kletterer wie der ebenfalls kürzlich verstorbene Patrick Edlinger kommen leider gar nicht vor; ein Clarence King, Vater des amerikanischen Bergsteigens, ebenfalls nicht.
Aber halten wir uns an das, was vorliegt. Und das ist viel, insbesondere bildmässig: ein Schwelgen in bekannten und noch kaum gesehenen Helgen. In den Texten selbst sind Doppelspurigkeiten nicht zu übersehen, was freilich weniger stört als die Übersetzung, die zwischen Erstbesteigung (eines Gipfels), Erstdurchsteigung (einer Wand) und Erstbegehung (einer Route) nicht zu unterscheiden weiss. Im Englischen heisst es halt einfach „first ascent“. Patzer gibt es auch beim Porträt von Oscar Eckenstein; so wird er mit Jules Jacot Guillarmod verwechselt. Fehltritte wird es immer geben, gerade beim Bergsteigen. Die Geschichte des Alpinismus ist nachvollziehbar aufbereitet, mit vielen Einschüben zum Leben in den Bergen, zu sechs legendären Gipfeln (aus der Schweiz ist es nicht der Eiger!), zur Entwicklung wichtiger Ausrüstung wie Seil und Pickel sowie zu den Bergen in Malerei, Fotografie, Film und Literatur. Vor allem aus englischer Sicht – of course!
Übrigens: Das Vorwort stammt von Gerlinde Kaltenbrunner, die als erste Frau alle 14 Achttausender ohne künstlichen Sauerstoff bestieg. Früher war es immer Messner gewesen, der die Vorworte zu Bergbüchern schrieb. Offenbar hat er eine Nachfolgerin gefunden.»
Wie gesagt, ein unveränderter Nachdruck. Die Fehltritte – es gibt mehr als die erwähnten – sind nicht korrigiert. Einzig auf der letzten Doppelseite werden David Lama und Ueli Steck als verstorben gemeldet. Und Alex Honold wurde neu aufgenommen; ins Personenregister hat er es aber nicht geschafft. Ja, und noch etwas ist anders: das Format. Statt 31 x 26 cm neu 26 x 22 cm. So haben die „Bergsteiger“ besser Platz im Büchergestell.
Ed Douglas: Bergsteiger. Auf den Spuren großer Alpinisten. In Zusammenarbeit mit The Alpine Club und Royal Geographical Society. Dorling Kindersley Verlag, München 2020, € 30.-.