Eine biografische Dokumentation über den besten und bekanntesten ostdeutschen Kletterer, über seine Heimat und über den Fast-Todessturz am Fuss der Trango Towers im Karakorum. Ein schön gemachtes Buch mit einem mehrdeutigen Titel.
„Kurz vor Weihnachten fahre ich noch einmal nach Hohnstein, um Bernd zu interviewen, Material zu sichten und Informationen zu sammeln. Da ich keinen Stress will, sitze im Zug, die Strecke von Berlin nach Dresden kommt mir wie eine Reise durch eine eisgraue Taiga vor, es gibt offenbar keinen Ort, für den sich der Halt eines Eurocity-Zuges lohnte. Ab Pirna drücke ich wie ein Kind die Nase an die Scheibe und zähle, beginnend mit dem Postakegel, leise all die Gipfel auf, an denen ich vorbeifahre. Es sind viele.“
Der Besucher kennt sie. Obwohl er nicht dort wohnt, sondern im westdeutschen Hildesheim. Der Besuchte kennt sie alle, bestens sogar. Er wurde 1947 im ostdeutschen Hohnstein geboren, wohnt immer noch dort und ist seit gar 2006 gar Ehrenbürger der Stadt in der Sächsischen Schweiz, auch bekannt als Elbensandsteingebirge. Und in diesem Gebirge hat es schier unzählige Gipfel; Nadel, Türme, Wände aus Sandstein. Ein Klettereldorado, vielleicht gar das Eldorado. Die Sächsische Schweiz gilt als eine der Wiegen des Felskletterns. Und Bernd Arnold hat schier unzählige neue Routen erschlossen, schwierigste und allerschwierigste Wege. Einfach der beste ostdeutsche Kletterer seiner Generation. Über ihn hat Peter Brunnert eine sehr schöne und sehr lesenswerte biografische Dokumentation geschaffen, mit dem vielsagenden Titel „Ein Grenzgang“.
Ein Grenzgang, klar, beim Klettern. Wenn man das Limit am Fels so pusht wie Bernd Arnold, dann ist das logischerweise ein vertikaler Gang an der Grenze. Dann war da die politische Grenze, die sich nicht überklettern liess. Obwohl er häufig Einladungen zu Kletterreisen in den Westen bekam, liess man ihn nie ausreisen. 41 Jahre alt war Arnold im Sommer 1988 und auf dem Zenit seines Klettervermögens. Durch die Fürsprache seiner Freunde Kurt Albert und Wolfgang Güllich ergab sich eine neuerliche Einladung zu einer Expedition des Deutschen Alpenvereins an die Trangotürme im Karakorum. Mit einem konstruierten Verwandtschaftsverhältnis nutze er die Einladung zu einer Silberhochzeit in München zu einer „Beurlaubung“ in den Westen, die ein halbes Jahr dauern sollte. Ein Grenzgang nur für ihn – und auch für Ehefrau Christine zu Hause, die unter behördlichen Schikanen zu leiden hatte, während der Mann zahlreiche schwierige Alpentouren unternahm. Dann eben die Expedition zu den gut 6000 Meter hohen Trango Towers, eine gewaltige Sache, Kletterei auf höchstem Niveau, in jeder Hinsicht. Nur das gute Wetter ist nicht mit von Partie. So scheitern die Deutschen am „Norwegerpfeiler“ am Grossen Trangoturm; dafür gelingt die erste Rotpunkt-Begehung der „Jugoslawenroute“ am Nameless Tower. Niederlage und Sieg. Zuletzt noch fast ein Todesopfer: Beim Materialrücktransport fällt Arnold in eine Spalte – Rettung und Rehabilitation werden nicht nur für ihn zum schmerzlichen Grenzgang, eindringlich beschrieben von Peter Brunnert. Ein Wunder, dass Bernd noch lebt – und wieder klettern kann.
Und so endet das Buch – und einer der Besuche von Brunnert in der Sächsischen Schweiz, natürlich mit Erkletterung von ein paar Gipfeln und mit hochspannenden Dialogen zu Gegenwart und Zukunft in diesem weltberühmten Klettergebiet:
„Inzwischen haben wir Hohnstein erreicht. Am Hoftor in der Max-Jacob-Straβe frage ich Bernd:
‚Und was hast du heute noch vor?‘
‚Ich werde mich jetzt erst mal in die Badewanne begeben, meine Knochen ins warme Wasser legen und froh sein, dass ich über nichts mehr nachdenken muss.‘“
Peter Brunnert: Bernd Arnold – Ein Grenzgang. Eine biografische Dokumentation. Panico Alpinverlag, Köngen 2017, Fr. 39.60, www.panico.de, www.peter-brunnert.de, www.sandsteinblogger.de