Berner Oberland – Schlösser, Seen & Seelen

Die Wiege der Alpentourismus wird immer wieder neu ausstaffiert. Drei überraschende Publikationen schaukeln mit.

«Wer kennt den rund zehn Meter hohen, senkrechten Felsabsturz im Rustwald. Er war ein idealer Schutz gegen Norden für die am leicht geneigten Südhang gelegene prähistorische Siedlung. Wenn wir davon ausgehen, dass in der Gegend von Lattigen bei Spiez in früherer Zeit etliche kleinere und grössere Seen existierten, kann es nicht verwundern, wenn frühzeitliche Menschen an diesem Ort ihre Wohnhütten bauten.»

Durch den Rustwald bin ich schon gewandert, über seine Anhöhen hinweg. Aber den Felsabsturz nahm ich nicht wahr, und von einer prähistorischen Siedlung wusste ich gar nichts. Sieht man nicht nur, was man weiss? Dank zwei neuen Büchern weiss ich nun mehr, und wenn ich in Zukunft von Spiez mit der Bahn an den beiden Spiezer Stauweihern linkerhand und an den waldigen Hügeln ob Lattigen rechterhand Richtung Wimmis und Simmental fahre, werde ich an beides denken.

Die „befestigte Höhensiedlung verschiedener Zeitstellungen in Lattigen“ schildert der Wimmiser Architekt Erich Liechti in „Burgen, Schlösser und Ruinen im Simmental“. Der Bildband weist gleich drei Untertitel auf: „Von den befestigten Siedlungsplätzen der Bronzezeit zu den mittelalterlichen Ritterburgen. Wie diese vielleicht einmal aussahen und was man heute noch sieht. Eine nicht wissenschaftliche Zeitreise ins Simmental, auf den Spuren unserer Vorfahren.“ Liechti stellt 35 Objekte im Simmental von Wimmis bis Lenk vor sowie 12 im Vorland zum Thunersee mit Lattigen und Einigen, Spiez und Faulensee. Das mit kurzen Texten und oft mit Grundrissen, vor allem aber mit Zeichnungen, wie die Steinbauten ausgesehen haben mögen. Und wer wie ich noch immer gerne Burgen aufsucht, sollte mit dem Buch ins Simmental reisen. Die Festiburg ob der Bahnhaltestelle Enge im Simmental sieht atemberaubend aus, der Zugang auch. Noch schlimmer ist derjenige zum Turm Gaffertschinggen in der Latterbachfluh – nur für klettertüchtige Knappen und Burgfräuleins zu empfehlen. Ein Tipp noch: Bei den im Buch je fünfstellig angegebenen Koordinaten muss man jeweils noch eine Null anhängen, also 597530, 166420, damit man die Burgen auf https://map.geo.admin.ch gäbig findet.

Im gewichtigen Wanderführer „An stillen Wassern im Berner Oberland. Natur erleben an mehr als 100 Seen und Seelein“ sind die Koordinaten korrekt angegeben. Robert Schneiter, der 35 Jahre lang als Pfarrer im Berner Oberland tätig war, stellt mit Wort und Bild, mit Kurzstichworten zu den stillen Gewässern und oft mit Kartenausschnitten inkl. Wanderroute, die ganze Oberländerseenwelt vor: vom Ägelsee über das Burgseeli und den Tümpel an der Sunnig Aar bis zum Wyssensee im Freilichtmuseum Ballenberg. Dass es dort einen See gibt, wusste ich gar nicht. Ein Buch, das mir aus der Seele spricht: Von 1986 bis 1989 beschrieb ich in der Freizeitbeilage der „Berner Zeitung“ zehn Wanderungen zu Bergseen im Berner Oberland. Noch nicht aufsuchen können hätte ich damals den Triftsee in einem Seitental des Gadmertales, weil es ihn noch gar nicht gab, da der Triftgletscher noch in den 1990er Jahren bis in die Triftschlucht hinunterreichte. Heute ist der See 2,83 ha gross – und er soll, mit einer 177 Meter hohen Bogenstaumauer gestaut, noch viel grösser werden. Auf zum Gletschersee und zu seiner Hängebrücke, bevor die Bohrmaschinen und Kräne loslegen.

Die Trifttour ist ebenfalls enthalten im rucksacktauglichen, hübsch illustrierten Führer „Berner Oberland. Wandern für die Seele. 20 Wohlfühlwege“ von Sabine Reber, Schriftstellerin und Pflanzenexpertin, und Pascal Stern, Geograf, Wanderleiter und Hüttenwart. Die Wanderungen sind aufgeteilt in Auszeit- (5, mit Trift), Panorama- (4), Verwöhn- (3), Entschleunigungs- (3) und Erfrischungstouren (5, mit dem Lauenensee als letzte Wanderung). Dazu passt perfekt ein Lied, ja das Bergseelied schlechthin:

I weiss no guet wo’n i ar Sunne bi gsässe
Wit awäg vom Lärm vo der Stadt
I weiss no guet wie’n i ha chönne vergässe
Dert hinger bim Louenesee.

S’het mi packt i ha gspührt dass i gah mues
Eifach furt i d’Rueh vor Natur
Ganz allei mit em Chopf vou Gedanke
Dert hinger bim Louenesee.

Immer wenn i wieder dra dänke
A das Gfüeuh dert am Ufer vom See
De merk i wie guet dass’s mer ta het
I gloube i gange no meh
A Louenesee.

Gründungsmitglied, Gitarrist und Sänger Georges «Schöre» Müller erinnert sich auf seiner Website www.schoere.ch: „Das Lied ist 1981 entstanden, der Text und die Musik stammen von mir, umgesetzt und aufgenommen haben wir es mit der Berner Mundartrockband der ersten Stunde Span.“ Der grösste Hit von Span, ein Evergreen, der an jedem Konzert gespielt wird, gespielt werden muss.

Wort und Musik für einen Bergsee: Am kommenden Mittwoch, 5. April 2023 um 19 Uhr, wird im Alpinen Museum in Bern die Trift-Suite uraufgeführt: „Die Ermutigung der Wasseramsel – eine Suite zur Trift im Berner Oberland“. Mit der Kapelle „Alpenglühn“ und Texten von Köbi Gantenbein. Anschliessend findet ein Gespräch pro und kontra den Bau eines neuen Stausees in der Trift statt. www.alpinesmuseum.ch/de/veranstaltungen/tipps?article=musik-und-gespraechsabend-trift-stausee-oder-trift-wildnis.

Erich Liechti: Burgen, Schlösser und Ruinen im Simmental. Weber Verlag, Thun/Gwatt 2021. Fr. 39.-

Robert Schneiter: An stillen Wassern im Berner Oberland. Natur erleben an mehr als 100 Seen und Seelein. Verlag Müller Medien, Gstaad 2022. Fr. 46.50

Sabine Reber, Pascal Stern: Berner Oberland. Wandern für die Seele. 20 Wohlfühlwege. Droste Verlag, Düsseldorf 2023. € 18,00.

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