Blanc et bleu

Sonniger Winter: Schnee in drei Büchern und in einer Ausstellung, in der Feierabendführungen stattfinden.

– D’où viens-tu? dit du Lac
– Nice.
– Parti quand?
– La semaine dernière. Je traverse les Alpes, seul. J’ai appelé mon voyage «Sur les chemins blancs» en hommage à un type qui a traversé la France à pied et écrit un récit: Sur les chemins noirs.
– C’est moi, dis-je.
– C’est drôle, dit du Lac.
– C’est fou, dit Rémoville.

Wirklich verrückt, diese Begegnung im Rifugio Dahu de Sabarnui (1702 m) im Weiler San Bernolfo in den Seealpen! Der Bergführer Daniel du Lac und der Schriftsteller, (Ski)alpinist und Weitwanderer Sylvain Tesson kommen am siebten Tag ihrer Skidurchquerung des ganzen Alpenbogens von Menton nach Trieste in dieser Hütte hinten im Valle Stura di Demonte zufällig am gleichen Terrassentisch zusammen mit Philippe Rémoville, der alleine auf Ski die Alpen durchqueren will. „Désormais nous serions trois dans le Blanc“: So schliesst Tesson den Tageseintrag.

„Blanc“ heisst der Bericht von Tesson über diese Skidurchquerung, die in vier Abschnitten in den Jahren 2018 bis 2021 stattgefunden hat. Ganz einfach „Blanc“. Weiss wie Schnee, weiss wie der Himmel manchmal, weiss wie die unbekannten Wegabschnitte, die das Trio immer wieder entdeckten, begingen und befuhren. Ein Alpenabenteuer meist abseits begangener Routen, mit Schuss und schwungvoll festgehalten von Sylvain Tesson. Ski- und Schneeliteratur vom feinsten. „La traversée blanche serait pour moi le voyage absolu, une flottaison dans une idée de paysage“ steht unten auf Seite 31. Knapp 200 Seiten und 76 Tage weiter im Alpenbogen notiert der Star der französischen Reiseautoren: „On avait vu la mer!“

Weiss und blau: Davon handelt auch „Une histoire de l’exploration neiges et glaces. Des pôles à l’Himalaya“. Ich las das neue Buch von Stéphane Dugast am Mittwoch auf der Fahrt nach Ste-Croix im Waadtländer Jura und zurück, hoffend auf knallblauen Himmel über weissen Feldern. Nun, weiss war es auf dem Hügelzug des Mont des Cerfs tatsächlich, aber den 250 Meter hohen Gipfelhang der Aiguille de Baulmes (1560 m) sah ich erst, als ich an seinem Fuss stand. Immerhin, oben lachte die Sonne über dem halben Alpenbogen; vom Jura hingegen schauten nur die höheren Gipfel aus dem Nebelmeer, ganz schön passend zu den unendlich weissen Flächen, welche die Entdecker und Erwanderer der Arktis und Antarktis vorfanden. Die bestens illustrierte Publikation stellt wichtige Schritte der Erkundigung und Erforschung der beiden Pole und des dritten Pols (Everest) vor, mit leichter Schlagseite zu französischen Erfolgen. So fehlen ein paar Zeilen zu Günter Oskar Dyhrenfurth und seinem Erfolgsbuch „Zum dritten Pol. Die Achttausender der Erde“ von 1952. Und wenn ich schon am rotstifteln bin: Nicht Vittorio Sella machte 1909 die ersten Fotos vom K2, sondern Jules Jacot Guillarmod. Der erste Schweizer im Himalaya und Karakorum fotografierte am 19. Juni 1902 um 6.15 Uhr den zweithöchsten Berg der Welt.

Details, gewiss, aber Zahlen, Fakten, Daten sind nicht ganz unwichtig bei der Geschichtsschreibung. Das weiss natürlich François Walter, von 1986 bis 2012 ordentlicher Professor für Schweizer Geschichte an der Universität Genf. Sein Buch „Hiver. Histoire d’une saison“ erschien 2014. Entdeckt habe ich es aber erst jetzt – und gelesen, aber auf mehr als zwei Zugfahrten zu verschneiten Bergen. Der Winter ist ja eine ungemein spannende Jahreszeit, die sowohl negative als auch positive stereotype Bilder hervorruft. Diese gefürchtete und ungeliebte Jahreszeit wurde im 19. Jahrhundert sowohl mit der Entdeckung der Côte d’Azur als Winterfrische wie mit der Erfindung des Wintersports für viele Touristen und Locals zur Zaubersaison. Der Skisport setzte sich in der Schweiz nach 1920 rasant durch und wurde Teil einer Propaganda, welche die Schweiz zur „Skination“ machte. Ski-Helvetia erlebt an den Skiweltmeisterschaften in Courchevel/Méribel nach vier Rennen und nur einer Silbermedaille zwar grad eine Baisse, insbesondere im Vergleich mit dem Dauerrivalen Österreich. Aber die WM ist noch nicht vorbei, der Winter auch nicht. Ein paar Skitouren sind geplant, hoffentlich mit unten weiss und oben blau . Und einem Après-Skitour-Bier auf sonniger Terrasse.

Apropos Après: Am Dienstag, 28. Februar 2023 von 18 bis 19 Uhr, findet im Alpinen Museum der Schweiz in Bern die Führung „Avant- und Après-Lift“ statt, mit dem Fotografen Olivier Rüegsegger, der für die Ausstellung „Après-Lift. Skiberge im Wandel“ stillgelegte Skilifte ablichtete, und mit Daniel Anker, Autor des Skitourenführers „Après-Lift“. Am Donnerstag, 16. März 2023 von 18 bis 19 Uhr, heisst die Führung „Lost Ski Area Projects“: Bergführer ist diesmal Christoph Schuck, Professor für Politikwissenschaften an der Universität Dortmund und Autor von „Letzte Bergfahrt. Aufgegebene Skigebiete in der Schweiz und ihre touristische Neuausrichtung“. Bei beiden Anlässen fehlt es nicht an Feierabendbier. Anmeldung je unter www.booking@alpinesmuseum.ch oder 031 350 04 42.

Sylvain Tesson: Blanc. Gallimard, Paris 2022. € 20,00.

Stéphane Dugast: Une histoire de l’exploration neiges et glaces. Des pôles à l’Himalaya. Glénat, Grenoble 2022. € 26,00.

François Walter: Hiver. Histoire d’une saison. Payot & Rivages, Paris 2014, € 25,00.

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