Gedanken auf einer kleinen Skitour am Fuss der Bockmattlitürme, Spielplatz unserer Kletterjugend. Im Sommer und im Winter.
Während wir mit Ski durch den verschneiten Winterwald hochsteigen und vor uns über den Baumwipfeln die kalten Felsen des Bockmattli auftauchen, fällt mir ein, dass es genau fünfzig Jahre her sein muss, dass wir da kletterten, an einem kalten Februartag wie dem heutigen. Die Sonne scheint über den Bockmattlipass und ein feiner Lichtstreifen zeichnet die Namenlose Kante ins Metallgrau der Felsen mit den tief verschneiten Bändern. Namenlose Südwand, erste Winterbegehung damals. Ich war so stolz drauf und schrieb eine Notiz an die «Alpen» und dann standen da unsere Namen gedruckt: Hansruedi Horisberger, Heini Ryffel, Toni Reichmuth und ich. Nur wer schreibt, wird wahrgenommen, das lernte ich damals.
Es scheint, also ob mich der Zufall immer wieder an Orte führt, die für mich vor fünfzig Jahren wichtig waren. So viele schöne und traurige Erinnerungen verbinden mich mit dem Bockmattli, mit dem Wägital. Wir treten aus dem Wald, die Spur zieht sonnenbeschienene Hänge hoch, vorbei an den Alphütten des Gwürz, der Schwarzenegg. Gedanken kommen, gehen: Sepp Marfurt, der Älpler, Heini Ryffel, Christian Hauser, Juli Hensler, Ernst Glaus, Dieter Kienast, mit dem ich in einem ebenso kalten Winter die kleine Nordwand kletterte, sie sind alle längst verstorben, Heini am Ostturm abgestürzt, im Jahr nach unserer Winterbegehung.
Damals führte ich ein Tourenbuch, da lese ich nach, dass wir am Tag zuvor fixe Seile installierten über den vereisten und verschneiten Wandsockel, dass wir um halb vier den Gipfel erreichten, nach siebeneinhalb Stunden, dass es die zehnte Begehung war und meine dritte. Und dass wir ohne auf unsere Gefährten zu warten durch die vereiste kleine Kehle abstiegen.
Heini hat sich nie beklagt, ein paar Wochen später radelten wir zusammen ins Wägital, kletterten durch die frisch verschneite kleine Kehle hoch, bis eine Staublawine über uns hinwegfegte. Er hat mir das Leben gerettet damals, stand vor mir, krallte sich an seinen Pickelhammer und widerstand dem gewaltigen Druck. Was weiss ich sonst noch von Heini? Nicht viel. Er konnte keine Lehre machen, arbeitete als Drechsler, die Familie war arm. Einmal lieh er mir seinen Schlafsack aus, ein armseliges Produkt, das kaum wärmte. Als ich ihn abholte bei ihm zuhause, stürzte ein Hund auf mich los, zerriss mir die Hosen. Seine Mutter nähte sie mir zusammen, sie hatte ein gutes Herz wie er auch, und sein Tod muss es gebrochen haben, denke ich. Ich war im Militärdienst, konnte nicht Abschied nehmen und war auch nie an seinem Grab, das nicht in der Gegend war. Die Familie war reformiert, nicht katholisch.
Die Erinnerung ist eigenartig, so vieles vergessen, aber dass wir im Restaurant Stausee sassen, nach unserer Wintererstbegehung und aus der Musikbox ein Schlager mit dem Titel «Mexico» dröhnte, ist mir all die Jahre im Gedächtnis geblieben. Warum wohl? Ich weiss es nicht. Da sitzen wir heute wieder, wärmen uns auf nach der Skiabfahrt, ohne Musik nur den Gedanken an einst hingegeben.