Fünf Krimis aus drei Gebirgen, wo Berge und Bergsport oft eine (verhängnisvolle) Rolle spielen. Aber nicht unbedingt vor Ort lesen…
«Camille hatte sich die ‹Échelles de la Mort› vor ein paar Tagen mit Léonie angesehen. Damals war es nur ein Fluchtweg für den Notfall gewesen. Keine von ihnen hatte daran geglaubt, dass er eintreten würde. Camille hatte sich den Weg eingeprägt. Die Todesleitern waren früher Teil eines Pfades gewesen, der meist von Schmugglern benutzt wurde, die ihre Ware in die Schweiz schaffen wollten. Heute waren es im Felsen verankerte Gitterrosttreppen, nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Via Ferrata etwas weiter östlich.»
Die Todesleitern im Doubs-Canyon sind wie geschaffen für einen Krimi. Christof Gasser taucht mit «Spiegelberg» tief in die Topografie und die Geschichte des Jura ein. Die Spiegelberg-Ruine liegt oben auf dem gezackten Kamm der Sommêtres, einem der klassischen Klettergebiete im Jurabogen. Das Refuge des Sommêtres wiederum ist eine immer offene Selbstversorgungshütte der Groupe des Alpinistes de Franche-Montagne mit Kochmöglichkeit, etwa 12 Schlafplätzen und ein paar Decken – aber den Krimi dort oben lesen, ich weiss nicht… Dann schon lieber im Berggasthaus Aescher-Wildkirchli im Alpstein. Dumm ist nur, dass man in diesem mittlerweile weltberühmten Gasthaus kaum noch Platz findet, weder am Tisch noch im Lager. Aber den Touristenhorden ausweichen kann lebensgefährlich werden:
«Anstatt den Pfad Richtung Äscher zu nehmen, entschied Max, Schutz bei dem Fels zu suchen. Abstruse Gedanken verhinderten eine Beurteilung der Lage. Panik machte sich breit. Er, der Selbstsichere, hatte plötzlich Angst. Er malte sich die schrecklichsten Szenarien aus. Vor Erschöpfung würde er abstürzen.»
Zur Beruhigung: Das tut Max von Wirth nicht. Natürlich nicht, als Hauptfigur zusammen mit Federica Hardegger in einer der Krimireihen von Silvia Götschi. Aber der Einheimische Heini Manser stürzt in «Alpstein» ab, beim Abstieg vom Aescher zum Seealpsee, ausgerechnet am Tag seiner Hochzeit, ausgerechnet er, ein erfahrener Bergsteiger. Tja, wenn nachgeholfen wird, kann es auch jemanden treffen, der mit Seil und Karabiner umgehen kann. Insbesondere dann, wenn es noch einen Bergunfall von früher zu rächen gibt. Also wachsam sein beim Wandern und Bergsteigen im Säntis-Gebirge. Im Bündner Oberland selbstverständlich ebenfalls. Auch wenn das Gipfelziel gut ist:
«Es war ein stundenlanger Aufstieg gewesen, der sie alle gefordert hatte. Selbst für den Hund waren ein, zwei Stellen eine Herausforderung gewesen. Doch die Belohnung hatte sie alle Mühen vergessen lassen. Der Blick über die Surselva, über all diese Gipfel, auf denen das Licht hinunterzufließen schien, und darüber der endlose Himmel. Matti hatte Emilia erklärt, dass es einen ‹guten› und einen ‹bösen› Fess gibt. Den ‹guten› hatten sie erklommen, und auf den ‹bösen› könnten sie blicken. Diese mächtige, abweisende Felsnadel, die ein paar Meter über den guten hinausragt. Und doch war er bezwungen worden.»
Nun, bezwingen lassen sich die Gipfel nicht, ob gut oder böse. Besteigen aber schon, auch erstbesteigen. Auf dem Cover von «Eiskalte Surselva» von Regine Imholz steht im Vordergrund ein frisch verschneiter Felsturm hoch oberhalb der Vorderrheinschlucht – ob da mal schon jemand oben stand? Oben auf dem Baumwipfelpfad «Senda dil Dragun» bei Laax müssen zwei junge Frauen gestanden haben, mitten im Schneesturm. Dann fand man ihre Leichen am Fuss dieses Pfades. War es ein Unfall, war es Mord? Genau diese Frage stellen sich auch Gabriel Santonini und Sophie Mortagne. Die beiden sollen für eine beträchtliche Summe zwei japanische Kletterer beseitigen, die an der Aiguille du Dru eine neue Route eröffnen wollen.
«Vingt-quatre heures avant le départ annoncé et programmé des Indiens, Sophie et moi descendons du premier train matinal dans la gare du Montenvers déjà bien remplie des touristes. Vacaniers, alpinistes et randonneurs veulent profiter du dernier sursaut de beau temps inattendue d’une arrière-saison exceptionnelle.
Pour nous, le moment est grave. Nous somme préparés, équipés et fixés sur notre objectif comme un commando des chasseurs alpins en mission.»
Ob Gabriel und Sophie – in ihrem Nachnamen verbirgt sich der Tod – die böse Mission umsetzen können, sei hier nicht verraten. Ein Krimi lebt ja hoffentlich von der Spannung, Seite für Seite. Diese Hoffnung erfüllt Peter D. Mason mit «Destins mortels à Chamonix» aufs Beste, Seite für Seite; es sind 173, das Buch hat also noch Platz in einem vollen Rucksack, wenn man von Montanvers zum Refuge de la Charpoua oder von Le Noirmont zum Refuge de Sommêtres geht. Mehr Seiten, weniger Spannung, aber ein Gasthaus als wichtigen Ausgangspunkt bietet der Thriller «Der Pfad» von Megan Miranda. Er spielt im fiktiven Ort Cutter’s Pass in North Carolina – der Name erinnert an «Cutter’s Way – Keine Gnade», ein US-amerikanisches Filmdrama aus dem Jahr 1981. Im Buch verschwinden insgesamt sieben Personen auf dem Appalachian Trail, die Ich-Erzählerin Abby, Angestellte im Gasthaus, geht den Geheimnissen auf den Grund:
«Wir boten Wanderstöcke an der Rezeption an, sorgten dafür, dass jeder von dem mangelnden Handyempfang wusste. Wir wiesen die Leute an, mit mindestens einer weiteren Person zusammen zu gehen, genug Essen und Wasser mitzunehmen und auf dem Weg zu bleiben. Wir boten sogar kostenlos geführte Wanderungen an.
Das alles, um unsere Gäste zu schützen.
Wir erinnerten sie daran, dass die Todesursache Nummer eins Unfälle bei Extremwetter waren, was allerdings nur passieren konnte, wenn man einen Fehler machte oder sich verirrte.
Wir erwähnten weder die zweit- noch die dritthäufigste Ursache.»
Christof Gasser: Spiegelberg. Emons Verlag, Köln 2024. € 18,00.
Silvia Götschi: Alpstein. Emons Verlag, Köln 2024. € 20,00.
Regine Imholz: Eiskalte Surselva. Emons Verlag, Köln 2024. € 16,00.
Peter D. Mason: Destins mortels à Chamonix. Éditions Guérin, Chamonix 2023. € 15,00.
Megan Miranda: Der Pfad. Penguin Verlag, München 2024. € 16,00.