Bündner Mordslandschaften

Eine verdammt kluges und spannendes Buch über die Bündner Krimis – und darüber hinaus zu den boomenden Regional- und Destinationskrimis von Algarve bis Zürich.

«Sie fuhren zur Schatzalp hinauf, setzten sich in die Sonne und genossen zu einem würzigen Kaffee die noch viel würzigere Alpenluft und die Sonne, die mild und warm erstrahlte, als ob es dem Frühling und nicht dem Weihnachtsfest entgegen ginge.
Ein paar Schritte führten sie zur Strelaalp hinauf – und unterwegs begegneten sie dem Skisport in fröhlicher Betätigung. Der Skilift zog die Skifahrer einzeln und in Paaren den steilen Hang empor, bis sie auf der Höhe den Blicken entschwanden. Von der Alp herunter aber kamen sie in elegantem Schuß, sodaß der Schnee in zischenden Wolken zerstob. So sausten sie der Anfangsstation des Skiliftes entgegen…»

Zum Auftakt der Skisportsaison (in Sölden) und zum Wechsel auf die Winterzeit ein sonnig passendes Zitat aus einem Roman, von dessen Existenz ich bis vor ein paar Wochen leider nichts wusste. Nun ergänzt das im Antiquariat Buchfink gefundene Exemplar meine Sammlungen von Skiromanen und Bergkrimis aufs Schönste. «Diamanten auf Parsenn» von Paul Altheer (1887-1959) erschien 1942 im Aehren Verlag in Zürich. Altheer war zuerst Journalist, von 1924 bis 1926 Programmleiter und Sprecher bei Radio Zürich. Dann freier Schriftsteller in Davos, später in Zürich. Seine Komödien und Schwänke in Hochdeutsch und Mundart, seine Gedichtsammlungen, Romane und Krimis behandeln, so das «Historische Lexikon der Schweiz», meist humoristisch oder satirisch das politische und gesellschaftliche Leben der Zeit. In «Diamanten auf Parsenn» suchen Privatdetektiv Bob Scholl und sein jugendlicher Helfer Erich nach sieben dieser kostbaren Edelsteinen, wovon mindestens einer in einer Jacke zwischen dem Weissfluhjoch und dem Strelapass verloren ging – und zufällig entdeckt wurde. Allerdings wollen noch andere Leute die Diamanten mit allen Mitteln finden bzw. wieder haben. Und so geht es hin und her zwischen Davos, Zürich und London. Natürlich spielen auch Frauen mit, was wäre schliesslich ein Skiroman ohne Liebesgeschichte? Zumal sich ja gerade die Skiliftbügel zum Anbandeln bestens eignen. Dumm ist nur, dass Bob zuerst überhaupt lernen muss, auf den Ski zu stehen und nicht gleich umzufallen. Doch die Aussicht auf einen gemeinsamen Cocktail in einer Bar an der Sonne entschädigt für alle Mühen, dito die Aussicht auf die weisse Wunderlandschaft von Davos. Und wir Leserinnen und Leser wären gerne mit dabei. Der Krimi als «heimlicher Fremdenführer».

Diese Charakterisierung fand ich in einem druckfrischen Buch, dessen Lektüre um Seiten spannender ist als so mancher Titel in der heutigen Krimiflut: «Mordslandschaften. Der Krimi in Graubünden» von Thomas Barfuss, Senior Researcher am Institut für Kulturforschung Graubünden. Den Anfang macht ein illustrierter Führer durch acht Bündner Krimiregionen, wobei insbesondere auch romanische Krimis vorgestellt werden; diese kennen wir leider nicht – und können sie ja auch nur lesen, wenn sie übersetzt werden. Bei diesem Gang durch die bündnerische Krimilandschaft begegnete ich den «Diamanten auf Parsenn». Teil zwei von «Mordslandschaften» beschreibt hundert Jahre Krimigeschichte, vom frühen Detektivroman in den mondänen Kurorten bis zu den heute boomenden Regionalkrimis. Dazu diese Zahl: Von 2010 bis 2023 wurden rund 90 Krimis mit Bündner Hintergrund publiziert. Man denke nur an all die Titel von Philipp Gurt; mit der ob Pontresina lebenden Bäuerin und Polizistin Corina Costa hat er eine Ermittlerin geschaffen, die halbelegant zwischen Idylle und Hölle pendelt, zum ersten Mal 2023 in «Mord im Bernina Express», in diesem Jahr mit «Die Tote im St. Moritzersee». Wir dürfen gespannt sein, in welcher berühmten touristischen Bündner Destination Corina im dritten Fall landet. Im dritten Teil seines Buches schaut Barfuss hinter die Kulissen des Regionalkrimis, wo sich Detektiv und Tourist als überraschend nahe Verwandte entpuppen. Kurz: «Mordslandschaften» ist eine Fundgrube und ein findiger Forschungsbeitrag zu einem der beliebtesten literarischen Genres. Man muss Graubünden ja nur mit Provence oder Bretagne austauschen…

Wer neben Krimis auch gerne Publikationen über Krimis liest, sollte zudem zum Herbstheft von «L’Alpe» greifen. Die beste alpine Kulturzeitschrift befasst sich mit «crimes et châtiments», also mit Verbrechen und Strafen. Kapitel widmen sich Ötzi, dem «premier cold case alpin», der Hexenjagd gerade in den Alpen, dem Schmuggel natürlich sowie Bergfilmen mit kriminalistischer Handlung. Eine verdammt spannende Ausgabe.

Spannung versprechen auch die Burgdorfer Krimitage vom 1. bis 10. November 2024: www.krimitage.ch/programm-2024/.

Thomas Barfuss: Mordslandschaften. Der Krimi in Graubünden. Chronos Verlag, Zürich 2024. Fr. 29.-

Am Montag, 28.10.2024, 18 bis 19 Uhr, findet in der Kantonsbibliothek Graubünden in Chur folgende Veranstaltung statt: «Diamanten auf Parsenn». Die frühen Jahre des Bündner Krimis. https://www.myswitzerland.com/de-de/erlebnisse/veranstaltungen/diamanten-auf-parsenn-die-fruehen-jahre-des-buendner-krimis/ Eintritt frei. Anmeldung erforderlich: info@kbg.gr.ch.

Crimes et châtiments. L’Alpe, N° 106, automne 2024. Éditions Glénat Grenoble. Fr. 26.-

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