Der Krallgriff

Alles hat seine Geschichte, selbst ein winziger Griff im Fels. Ein Wieder-Ertasten im steinernen Mikrokosmos.

Ein Griff ist ein Griff ist ein Griff. Gertrude Stein lässt grüssen (eine Rose ist eine Rose…). Dieser Wand ist aus Stein, doch hier wachsen keine Rosen. Allenfalls Hauswurz oder Habichtskraut. Den Griff hat einst meine Tochter entdeckt, mehr als ein Vierteljahrhundert ist’s her. Wir rangen um die Route und diese Stelle war die Crux. Hoch oben in der Wand der Halbmondgriff, den zu erreichen das Problem darstellte. Höher noch als der Mond am Himmel, so erschien er uns, so unerreichbar. Links ein abschüssiger glitschiger winziger Tritt, auf dem selbst eine Fliege den Halt verlieren würde. Wir versuchten es trotzdem, versuchten es, versuchten es und suchten, suchten. Bis meine Tochter diese winzige scharfe Braue aus Stein entdeckte, das heisst, ertastete, die wir in der Folge Krallgriff nannten. Ihre etwas zierlichen Finger passten in die Vertiefung hinter der steinernen Braue. Ich konnte meine Fingerkuppen auf die feine Kante pressen, so dass es schnitt und schmerzte aber für ein paar Sekunden Halt gab. Gerade so lange, bis ich mit etwas Dynamik hochschnellen, den Halbmond packen und einen kräftigen Seitenzug anschliessen konnte.

Damals entwickelte ich eine ganz neue Beziehung zum Fels, zum Stein. Statt den grossen Linien, den Graten und Pfeilern und Wänden begann mich der Mikrokosmos zu interessieren, die Feinstruktur, die beim Klettern zur Partitur wird. Melodie, Musik, Rhythmus, Tanz. Den Griffen und Tritten einer Crux Namen geben, hat einmal ein Kletterdidaktiker empfohlen. So kann man sich die Abläufe einprägen, die Partituren. Die Wand wird zum Text, zur Notenschrift aus Stein.

Wie oft habe ich diesen Krallgriff schon ertastet, mich an ihn gekrallt, jedes Mal wohl an meine Tochter gedacht, die jetzt gerade mit ihrem Partner und ihrem kleinen Mädchen nach Sardinien fliegt. Nein, nicht zum Klettern. So, wie das Leben halt spielt.

Ich nun spiele das Spiel an der Wand. Die Partitur, Krallgriff, abschüssiger Tritt, Dynamo, Halbmond, Seitenzug, Untergriff und dann an die Schuppe. Man hat mich gefilmt, fotografiert auf dieser Route. Doch vor einigen Wochen, da war es so weit, dass ich den Krallgriff nicht mehr krallen mochte. Es ging nicht, ich brach einen Fingernagel. Es half nichts. Der Anfang vom Ende, dachte ich. Ich schaffte die Route nicht mehr. Hatte wochenlang Alpträume, stellte mir in schlaflosen Nächten vor, wie ich da stehen würde, nochmals den Griff ertasten, nochmals versuchen den Halbmond zu erreichen, nochmals scheitern. Einmal ist es so weit, unweigerlich, es ist unvermeidlich. Der Himmel ist zu hoch für dich geworden.

Jetzt taste ich nach der Kante und sie will mir noch kleiner, noch feiner vorkommen als je. Unmöglich, denke ich, vielleicht ist da etwas abgebrochen oder gebröckelt. Ich taste nach der besten Stelle, drücke die Finger hinein, dass ich fast schreie vor Schmerz, aber ich gebe nicht auf, strecke mich, halte den Halbmond, den Untergriff, die Schuppe. Noch geht es, es geht noch. Bis zum nächsten Mal.

Falesia del Gorilla

Wieder mal Frühling in Finale. Diesmal unter anderem in tierischen Gebieten: Falesia dei Tre Porcellini, Falesia del Gorilla. Letztere für uns Neuland.

Warum diese Wand nach einem Gorilla benannt ist, bleibt schleierhaft. Na ja, irgend einen Namen muss sie ja haben. Der sie eingerichtet hat, heisst übrigens Delfino. Noch so ein Tier. Ein bisschen ängstlich, scheint es. Jedenfalls kann auch der zittrige Grossvater fast jeden zweiten Haken auslassen, so dicht hat sie der Delfin gesetzt. Vielleicht auch aus reiner Menschenliebe, man weiss ja, Delfine sind freundlich mit ihren nahen Verwandten.
Heiss ist es schon hier nachmittags. Wir schon etwas müde in den Armen von einem harten Versuch an der Bastionata di Boragni. Drei junge Italos empfangen uns gleich mit freundlichem «buongiorno» und «scusate», da sie ihr Equipment den ganzen Wandfuss entlang verstreut haben. Woher wir kommen? Sie aus «tutta Italia», Genova, Albenga, Sicilia.
Junges Publikum, da werden die Alten wieder lebendig. Und als Christa einen überhängenden Einstieg mit perfekter Schrägzugtechnik meistert, zollen sie Applaus.
«La signora è settanta», erkläre ich stolz. Die drei Jungs wollen es nicht glauben. Als Christa wieder am Boden ist, kommen sie herbei, wollen das Kletterwunder aus der Nähe betrachten.
Die Wand, ja, sehr nett und griffig. Ein moderates Gebiet, familientauglich. Erst vor zwei Jahren entdeckt, zuvor in dichtem Gehölz versteckt. Für uns habe ich es zufällig in einer Nummer von «Klettern» entdeckt die irgendwo herumlag, in einem Artikel unseres Freundes Marco Tomassini. «Einer der schönsten Klettergärten, die der unermüdliche Giorgio Delfino eingerichtet hat», schreibt er. Und: man sollte 20 Exen dabei haben. Nun, ich hab’s auch mit meinen 14 geschafft.
Der Wandfuss ist tüchtig ausgeholzt, der Zustieg perfekt durchs Gebüsch gebahnt, markiert und wo es ein bisschen steiler wird, hat der unermüdliche Delfino Fixseile gespannt. Beim Abstieg sind wir Alten doch dankbar für die Gehhilfe.
Unten beim Steinbruch erinnern wir uns wie immer, wenn wir hier vorbeikommen, an unseren ersten Besuch in Finale vor 43 Jahren. Mit unserem halbjährigen Claudio, der von der Frau des Bildhauers, der damals im Steinbruch arbeitete, einen Stapel Windeln bekam. Keine Idee davon, dass wir hier dereinst klettern würden, als siebzigjährige Grosseltern. Der Steinbruch ist inzwischen verlassen, schade eigentlich.
Das Auto, an der Strasse parkiert, ist unversehrt. Obwohl Marco im Artikel vor Dieben warnt, die hier schon zugeschlagen hätte. Brösel von Autoscheiben zeugen davon.

Gulmen solo

Die Sonne leckt schon kräftig am Schnee. Ob der Gulmen noch geht? Ein einsamer Versuch.

Mit Partnerin wäre ich jetzt auf der Galerie. Zwei Autos stehen da, irgendwo hängt ein Freak im Fels. Vielleicht ist es ja doch zu kalt, etwas Dunst liegt über dem Nebel. Beim Fellen Richtung Gulmen beginne ich doch schön zu schwitzen. Die Spur ist schon verkrustet, es tropft von den Scheunendächern. (Diese alten Scheunen oder Ställe von Amden, silbrig verwittert, architektonische Bijous eigentlich, nur weiss es niemand.)
Gelegentlich rauscht mir eine Skifahrerin entgegen. Heute ist offenbar Frauentag. Wie die schwingen im weichen Schnee, so leicht und elegant! Und wie die gut aussehen in ihren bunten Skianzügen und weissen Stirnbändern, welche ihre langen Haare bändigen. Freund X kommt mir in den Sinn, der sich so sehnt nach einer sportlichen Partnerin. Vielleicht sollte er es mal mit dem Gulmen versuchen, statt mit Internet.
Vor dem Schlusshang dope ich mich mit Traubenzucker und Banane und gezuckerten Tee aus der Thermos. Mittendrin im Steilen kämpfen sich vier Menschen etwas umständlich in die Höhe. Frauen, klar doch. Die werde ich noch überholen, nehme ich mir vor. Also los, aber dann stockt mein Elan doch wieder. Endlos einfach, dieser blöde Hang. Mit zwei oder drei Halts zum Atemschöpfen und Traubenzucker einwerfen schaffe ich es dann doch bis zum Kreuz, und weil dort schon ein paar Leute sitzen, auch noch auf den Gipfel. Kurz nach den vier Damen, die Schneeschuhe tragen. Wie kann man nur! Bei diesem Schnee! Ein Mann kommt herauf, in gewöhnlichem Schuhwerk, ohne Probleme. (Wieder mal der lebende Beweis, dass Schneeschuhe die überflüssigste Erfindung der Outdoor-Industrie sind, gleich nach den Wanderstöcken. Sein Begleiter mit Schneeschuhen erzählt, sie hätten sich per Zufall getroffen, nach dreissig Jahren. Wiedersehen auf dem Gulmen. Wir sind ergriffen, gratulieren.
Dann geht das grosse Fotografieren los. Die Männer die Frauen, die Frauen die Männer, schön malerisch neben dem Wegweiser, der den Gipfel ziert. Ich mache ein Selfie, aber das wird dann doch ziemlich schief. Aber ohne Gipfelbeweis geht nichts mehr, seit Ueli Steck ohne Foto von der Annapurna zurückgekommen ist. Seither ist sein Ruf etwas angekratzt. Selbst Messner zweifelt. Also gut, schief oder nicht, ich habe den Beweis.
Kann beruhigt abfahren. Der Hang ist eklig verspurt und verkrustet. Weiter unten dann wunderbar weicher Schnee, fast sulzig. Ich fahre ohne Halt bis zur Bushaltestelle. Sitze da glücklich an der Sonne auf einer Mauer, verspeise mein Brot und trinke meinen Tee. Vielleicht war’s die letzte Skitour dieses Winters.

Hüenerchopf im Schnee

Da ist noch eine Rechnung offen. Tausend Meter Aufstieg auf Fellen. Schaffe ich das noch?

Hüeneri, so nennen ihn die Einheimischen. Ein zahmer Skigipfel, fast lawinensicher. Aufstieg zeitweise durch lichten Wald, etwas steilere Hänge, flachere Alpgelände. Die Churfirsten, Alvier und Gonzen im Rücken. «Lieber die Schneegebirge im Rücken, als die bösen Menschen.» Sowas sagt Wilhelm Tell nach Schiller. Wäre ja ziemlich aktuell heute, aber ich schaue ohnehin nicht zurück (schon wieder ein literarisches Zitat, Ingeborg Bachmann), ich schaue vor mir auf die Spur. Vergesse Trump und Assad und Co. Meine Familie, bzw. ein Teil meiner engeren Familie, zieht in schönem Schritt voran. Steighilfen ausklappen. Andere überholen uns, sind wohl jünger. Macht nichts, kein Leistungsstress (den hatte ich letzte Nacht im Traum). Und doch: ich will diesen Hüeneri diesmal schaffen! Vor zwei Jahren, in gleicher Formation, musste mir Christa den Rucksack abnehmen, für die letzten hundert oder zweihundert Meter, die ich dann nur mit grosser Mühe überhaupt schaffte. Welche Blamage für den grossen Alpinisten! Warum, das fand auch mein Hausarzt nicht heraus. Mal auf mal ab halt. Heut will ich jedenfalls auf den Gipfel. Da oben tummeln sich schon winzige Gestalten unter dem riesigen Kreuz. Oh, das ist noch weit! Lohnt sich das überhaupt?
Nein, lohnt sich nicht. Nebel fällt ein, Schneetreiben, nach dem strahlenden Morgen. Scharfer Wind über den Grat. Ein Steinmann, eine Art Vorgipfel. Die Felle weg, dann in die bodenlose Nebeltiefe getaucht, undeutlichen Spuren nach. Hoffentlich sind wir richtig. Der Schnee ist brettig. Da oben im Steilhang hätte ein Brett abgehen können, ein bisschen Angst hatte ich in der Querung. Aber da war ja eine Spur. Doch letztes Jahr, am Vilan, da war auch eine Spur und dann ging die Lawine trotzdem ab. Fünf Tote.
So Gedanken kommen einem halt einfach. Vielleicht nicht allen, aber mir halt. Nun ja, jetzt sind wir doch schon wieder unten bei der Alp. Sandwich, heisser Tee. Dann weiter. Die Hänge weiter unten ziemlich hoprig, zerfahren, also nicht Pulver pur. Aber immerhin, es geht ganz schön. Und das Gefühl, ich hätte es diesmal ganz sicher geschafft bis auf den Gipfel, bis zum grossen Kreuz, ohne Probleme. Die offene Rechnung von vorletztem Jahr ist beglichen. Das ist auch schön. Und in Sargans gibt’s ein nettes Café mit Konditorei. Noch schöner.

Skitour auf den Züriberg

Mikroabenteuer ist ein ultimativ-urbaner Trend. Warum also in die Ferne schweifen? – Das Abenteuer beginnt gleich hinter dem Haus. Nicht der Montblanc ist mein Ziel, sondern der Züriberg.

Also los, weg aus dem Schaukelstuhl, mit dem Lift in den Keller, die Felle auf die Ski gezogen, gleich hinterm Haus in die Bindung getreten, den Hang hinauf und durch den Friedhof. Zwei Friedhofsarbeiter winken mir zu, lachen. Ich begehe also keinen Frevel, wenn ich meine Spur den Grabfeldern entlang ziehe. Dann das Rupperweglein hoch, wo Christa als Kind schon schlittelte. Man nannte es so, weil es so ruppig rüttelte mit dem Schlitten über die den gefrorenen Höcker hinweg. Auch heute vergnügen sich ein paar Mütter mit Kindern. Schön ist es doch, dass wieder einmal Schnee liegt bis in die Stadt. Die Ziegelhütte rechts liegen gelassen, die Hüttenkopfstrasse hinauf bis zum Gedenkstein für den Sturmwind Lothar, der hier gewütet hat, 1999. 200 Jahre zuvor wüteten in diesem Wald russische, österreichische, französische Truppen.
Doch jetzt ist alles friedlich, eine Frau mit Hund, ein Jogger in buntem Outfit, zwei rüstige Damen in strammem Schritt. Schwarzweiss die Welt, durch die ich hinaufsteige auf Waldstrassen, die mit Buchennüssen übersät sind. «Reiner weisser Schnee o schneie …» Das Gedicht von Gottfried Keller fällt mir ein. Vielleicht ist es ihm auf einem Spaziergang am Züriberg eingefallen. «Decke beide Gräber zu…», heisst es da. Hier sind es mehr als zwei, es sind tausende, Tausende Namenloser haben hier ihr Leben gelassen haben in den Schlachten bei Zürich. Wozu? Für nichts als die Machtspiele von Mächtigen. Die Welt hat nichts gelernt.
«Letziweg», «Batteriestrasse», «Massénastrasse». Namen erinnern an das Schlachten, an den französischen General, der die Koalition der Russen und Österreicher mit Kriegslist besiegte. Ich kehre ein Stück vor dem grossen Schlachtendenkmal um, bei einem Gedenkstein, der auch einem General gilt, einem schweizerischen, der nie eine Schlacht geschlagen hat. Adolf Hanslin, mein General, abgestürzt mit dem Helikopter, als ich in seiner Truppe diente, vor allem mit Jassen in irgend einer Landbeiz.
Ich ziehe die Felle ab, fotografiere den Gedenkstein. Ein in Gedanken versunkener Wanderer ganz in Schwarz lächelt mir zu. «Skitour auf den Züriberg», sage ich.
«Ja, man muss es benutzen, wenn’s schon mal Schnee hat.»
Früher war’s noch anders. Auch Max Frisch vergnügte sich auf Brettern am Züriberg, einfach auf der andern Seite, auf der «besseren». Die Ski, die ich von meinem Vater übernommen hatte, sahen genau gleich aus, richtige Bretter noch aus Eschenholz, keine Kanten, die Gleitfläche rot lackiert. Ich war mit ihnen immerhin auf dem Gemsfairen, meiner zweite Skitour. Bin also bescheidener geworden, altersbedingt. Aber den Gemsfairen würde ich wohl noch immer schaffen. Wer weiss?
Jetzt sause ich einfach mal die Waldstrassen hinab, schwinge im schönsten Tangotakt, manchmal sogar im Pulverschnee neben der festgefahrenen Piste. Die Mütter mit Kindern sind verschwunden, es ist schon etwas dämmrig geworden als ich durch den Friedhof kurve und den letzten Hang hinab bis vors Haus.
«A microadventure is an adventure that is short, simple, local, cheap – yet still fun, exciting, challenging, refreshing and rewarding», erklärt mir das Netz. Alastair Humphreys, ein britischer Autor und Abenteurer soll den Begriff geprägt haben, sein Buch «Microadventures» soll ein Bestseller sein. Ich brauche es nicht zu lesen, ich weiss ja, wie es geht.
Nach einer Stunde sitze ich wieder in der warmen Stube im Schaukelstuhl bei Tee und Birnbrot.

Mattstock

Letzte Wanderung dieses Winters und erste des neuen Jahres. Auf den Ammler Hausberg – ein Kunstspaziergang der besonderen Art.

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Ein hässlicher Berg, dieser Mattstock. Warum also hinaufsteigen, steile tausend Meter? Wegen dem Training? Wegen der Sonne überm Nebel? Weil man all die schönen Tage zuvor mit geschwollenem Fuss durch die Wohnung humpelte und dann auch noch auf dem Sofa herumlag mit Magengrippe, geplagt vom Virus Nummer 7? Zum Sylvester gab’s nur Züriwasser, keinen Champagner, zum Neujahr Haferschleimsuppe. Aber nun ist kein Halten mehr. Hinauf, hinauf. Der Mattstock ruft. Drunten bei der Galerie sind frierende Gestalten in Daunenjaken im Nebel herumgestanden, Klettern ist also heute keine Alternative. Auch der Fuss ist noch zu schonen, die Schmerzen die Altlast eines Sturzes eben dort unten und vor ziemlich genau 24 Jahren. Sprunggelenk gebrochen. Sowas prägt sich ein.
Und schon sind wir hoch oben am Berg, leichtfüssig trotz allem. Nur das mit der Sonne will nicht so recht, Schleierwolken filtern die Wärmestrahlung und ein scharfer Biswind tut das Seine. Wenigstens habe ich ausnahmsweise Handschuhe und Stirnband dabei. Jetzt kommen wir in den Bereich der Lawinenverbauungen, riesige Gatter aus rostigen Stahlträgern, zwischen denen sich der Weg durchschlängelt. «In Stahlgewittern» kommt einem in den Sinn, der Roman von Ernst Jünger aus dem Ersten Weltkrieg, und man fühlt sich fast wie vor Verdun oder am Hartmannsweilerkopf zwischen stählernen Verhauen, statt am friedlichen Mattstock.
Und eigentlich, so wandert der Gedanke beim Steigen. Ist der Berg mit diesem stählernen Schmuck eigentlich nicht wirklich hässlich. Sie schmiegen sich an den Hang, folgen seinen Strukturen und dienen schliesslich einem Zweck: Schutz des Sonnendorfes und seinem architektonischen Wildwuchs vor Lawinen. «Form follows function» lautete ja auch ein Grundsatz von gutem Design. Und wenn da unten eine Tafel verkünden würde, diese Stahlgebilde seien das Werk eines renommierten Künstlers, etwa Cristo oder Tinguely, dann würde die internationale Kunstwelt hierherpilgern. Im Heli wahrscheinlich. Schönheit ist eben relativ. Einen eigenartigen Kunstspaziergang mit bekannten Künstlerinnen und Künstlern gibt’s übriges in Amden weiter unten auch noch und bequemer erreichbar: www.atelier-amden.ch.
Mit diesen Gedanken finden wir den Mattstock schliesslich ganz schön, spektakulär jedenfalls, ganz besonders, und das findet auch der Herr, der uns mit Stirnband, Stöcken und gewichtigem Rucksack überholt. Wir kennen uns und wünschen uns «ä guäts Nüüs», er hat uns drüben überm See, wo wir einst ein stolzes Haus besassen, Sanitäres installiert und geflickt. Bei der Werkhütte macht er Halt, wir steigen weiter, bald beschwingt durch die Klänge des zusammenlegbaren Alphorns aus Carbon, das der sanitäre Klangkünstler aus dem Rucksack geholt hat. High-Tech und Heimatstil. Auch auf dem Gipfel, den wir nach ein paar Drahtseilzügen erreichen. Das obligate Kreuz, überragt vom Mast einer Wetterstation, ein Geländer gegen den Abgrund und ein Ruhebänklein. Aber ruhen mögen wir nicht, der Wind bläst uns eisig ins Gesicht. Also hinab, vorsichtig über eisige Stellen und später auf dem vor Trockenheit stiebenden Wanderweg. Wolken ziehen auf. An diesem Abend fällt der erste Schnee.

Hüttenzauber

Le Gardien – das war die Zeitschrift der Schweizer Hüttenwarte. Erscheint ab heute nur noch online. Inklusive den Text, den ich noch fürs Gedruckte geliefert hatte. Zum Nulltarif. Hier desgleichen für die Leserinnen und Leser von bergliteratur.ch.

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Es war ein wolkenloser erster August vor vielen Jahren. Wir vier jungen Bergsteiger kehrten aus einer kleinen Nordwand zurück zur Hütte, erschöpft und mächtig stolz. Die Terrasse war überfüllt mit Wandervolk. Wir waren hungrig und brachten ein Paket Spaghetti in die Küche. Als Mitglieder der SAC-Jugend dachten wir, Suppe oder Teigwaren zum Kochen abzugeben gehöre zum Grundrecht der alpinen Hüttenkultur. Die Spagetti kamen auf den Tisch, verkocht und verklebt. Peter – heute ein erfolgreicher Architekt und Politiker – beklagte sich lautstark über die Kochkünste des überforderten Küchenteams. Da trat Hüttenwart G., ein Bündner Rauhbein, an unsern Tisch: «Verschwindet aus meiner Hütte! Und zwar sofort und auf Nimmerwiedersehen!» Wir fanden schliesslich im Tal Unterkunft bei italienischen Bauarbeitern in einer Baracke – und das an unserem Nationalfeiertag.
G. gehörte zu den gefürchteten Hüttenkönigen, die damals in den alpinen Unterkünften regierten. Seine Grobheit war legendär, übertroffen nur noch von seinem Kollegen und Spinnefeind M. auf der anderen Seite des Bergs, der für seine verbalen Ausfälle vor allem gegenüber Ausländern bekannt war. Es gab auch Hüttenwartinnen mit Haaren auf den Zähnen, etwa W., Witwe eines abgestürzten Bergführers, die streng und sauertöpfig in ihrem Reich waltete. Eine eigentliche Legend war M., denn um seine Hütte konnte ein Schneesturm noch so heftig toben, bevor er das Frühstück zubereitete, mussten die Wolldecken im Freien und unter seiner Aufsicht ausgeschüttelt und präzis gefaltet werden. Schweizerkreuz oben und Etikett «Füsse» unten.
Dass ich über zwanzig Jahre keinen Fuss mehr in eine SAC-Hütte setzte, hatte sicher auch andere Gründe, als die paar unerfreulichen Erfahrungen.
Es gab ja auch damals schon die freundlichen Hütten, die man gern besuchte – zum Beispiel jene der hübschen Hüttenwartin L., die auch eine gute Kletterin war. Nach einer Gewaltstour und vielen Stunden in einem Gewittertsturm empfing sie uns mit einem Kuss, einer tüchtigen Portion Spaghetti und lieh uns sogar trockene Hosen und Hemden aus ihrer eigenen Garderobe.
Als ich nach langer Absenz wieder einmal den Versuch wagte, in einer SAC-Hütte zu nächtigen, hatte sich die Welt verändert. Wir wurden von einer fröhlichen Studentin mit einem Cüpli mit eigenem Holundersirup begrüsst. Dann gab’s auf der Terrasse Cafè corretto und frisch gebackenen Zitronencake. Zum Viergangmenü wurde die Weinkarte gereicht. Der Hüttenwart – promovierter Germanist und passionierter Alpinist – setzte sich nach dem Dessert an den Tisch, begeisterte uns für den Klettergarten, den er in der Nähe eingerichtet hatte, und schwärmte vom Kulturprogramm der Hütte mit Bergtheater, Lesungen, Hüttenkonzerten und einer Kunstaktion. Nachts schlummerten wir unter Daunenduvets in einem nach frischem Nadelholz duftenden Viererzimmer. Zum Frühstück gabs Müsli, Butterzopf, Honig, Käse, Eier, Schinken. Alles Bio und aus der Region, appetitlich angerichtet, und auf jedem Tisch stand ein Sträusslein Alpenrosen. Als wir von der Tour zurückkamen, duftete es schon von weitem nach Aprikosenwähe und dem Kaffe Hüttenzauber mit Kirsch und Sahnehaube.
Gelegentlich werde ich in eine SAC-Hütte eingeladen für eine Lesung, die in der Regel zwischen Hauptgang und Dessert stattfindet. Ein interessiertes Publikum meist, auch wenn viele überrascht sind von dem unerwarteten Kulturevent. Sie sind ja zum Wandern oder Klettern zur Hütte aufgestiegen, doch kommt es sogar vor, dass der eine oder die andere eines der Bücher erwirbt, die ich im Rucksack heraufgeschleppt habe. Gemäss dem Sprichwort: «Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, muss der Prophet zum Berg.»
Unvergesslich ist mir eine Lesung in der Glecksteinhütte geblieben – nicht unbedingt wegen meinem Auftritt in dem mit Gästen überfüllten Aufenthaltsraum. Sondern wegen dem Honorar. Ich bat das Hüttenwartpaar, mir einen Begleiter fürs Wetterhorn zu organisieren. Tatsächlich engagierten sie einen Bergführer. Er gestand mir zwar, er sei während meinem Vortrag eingeschlafen, es sei so heiss gewesen in der Hütte er ziemlich müde. Er war ein ehemaliger Extrembergsteiger meiner Generation, und so konnten wir während des Aufstiegs in Erinnerungen schwelgen. Wir kletterten dabei so mühelos und schnell, dass wir als erste auf dem Gipfel waren, noch vor zwei jungen Seilschaften. Das Wetterhorn war gewiss mein schönstes Lesehonorar, es war auch meine letzte Hochtour und dazu die erste und einzige mit einem Bergführer. Bei der Hütte nahmen wir ein kaltes Fussbad, es gab Kaffee und Kuchen und ich war so glücklich wie selten im Leben.
Ich weiss, es gibt Leute, die der alten Hüttenromantik nachweinen, den kratzenden Wolldecken, den durchwachten Nächten in dumpfen Massenschlägen, der Erbs-mit-Sago-Suppe vor den verkochten Hörnli, dem sauren Veltliner und dem Pfeifenqualm. Für Nostalgiker gibt es sicher irgendwo noch die eine oder andere Hütte im Retroschick mit einem bärbeissigen Hüttenwart, der von alten Heldentaten erzählt. Zum Beispiel, wie sein Vater einst drei junge Grossmäuler aus dem Unterland an einem ersten August aus der Hütte jagte.

Kluckers Welt

Während einer Herbstwoche mit Tango und Wandern im Fextal erinnern wir uns an den legendären Christian Klucker, einen der bedeutendsten Bergführer aus der Pionierzeit des Alpinismus in der Schweiz.

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«Am 29. September sah ich die blauen Seen meines Engadin wieder und öffnete am Abend die Tür in meinen Bau. Das Fextal trug die gelbroten Farben des Herbstes, und in den Höhen rüstete der Winter sein weißes Kleid.» Ähnlich wie Klucker bei seiner Rückkehr aus Kanada von einer Expedition mit Edward Whymper im Herbst 1901, so erleben wir das Fextal in diesen Tagen. Die melancholische Klarheit der Herbstfarben – die Lärchen noch fast grün – Neuschnee auf den Gipfeln von Piz Fora und Piz Tremoggia im Talabschluss. Auf einem Höhenweg wandernd sehen wir tief unter uns in der Ebene von Fex Platta Kluckers «Bau». Ich kenne das kleine Steinhaus mit Anbau, mit Scraffitti verziert, an dessen einer Tür noch die geschmiedeten Initialen CK zu lesen sind. Drinnen noch Kluckers Werkstatt, Hobelbank und Werkzeug, die Stube getäfert mit alten Stabellen, einem Korbstuhl, in den Kammern alte Bettgestelle aus Holz, so als hätte er erst gestern und nicht vor 88 Jahren sein Haus verlassen, ohne Mantel im tiefsten Winter, um in Sils Maria eine Weihnachtsfeier von Schülern zu besuchen. Schwer sein Atem an jenem Tag, im Waldhaus ruhte er kurz, dann schritt er weiter hinab ins Dorf, doch nach einer Tasse Tee in einem Restaurant holte ihn der Tod ein, der ihn auf 3000 Bergtouren verschont hatte. Herzversagen. Eine durchaus tragische Figur dieser Klucker. Erschliesser der Bergellerberge, genialer Kletterer und virtuoser Eisgeher – nur mit Pickel Stufen schlagend, Hunderte oft durch die brutal steilen Culoirs der Sciora oder die Nordostwand des Lyskamm. Dreiviertel der Badilekante meisterte er solo in Socken – dreissig Jahre vor der Erstbegehung mit viel Hakeneinsatz, ein Hilfsmittel, das er verachtete. Trotzig behauptete er sich gegen seine Herren, etwa den ehrgeizigen Baron Anton von Rydzewsky, ein «Mehlsack» im Fels. Oder gegen den Alkoholiker und Matterhornpionier Whymper.

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Das «Kluckerhaus» da in der Tiefe bewahrt sein Andenken, dank einer verständnisvollen Besitzerfamilie, die es aus seinem Nachlass erworben und fast im Originalzustand belassen hat – sorgfältig renoviert und gepflegt. (Man kann das Kluckerhaus als Ferienwohnung mieten.) Selbst den kleinen Postschalter halten die Besitzer in Ehren, denn Klucker betreute auch die Postagentur im Tal. In seiner Abwesenheit vertrat ihn eine Frau aus der Nachbarschaft und – es ist ein offenes Geheimnis – gebar dem Junggesellen, der lebenslang einem «Thuner Anneli» aus dem Militärdienst nachtrauerte, – einen Sohn. Tüchtig wie der Vater soll er gewesen sein, sogar Gemeindepräsident von Sils. So schwingen in dieser Landschaft Geschichten, Erinnerungen an Schicksale, an glückliche und melancholische Tage in den Bergen. Wer kann sie lesen in den Häusern, den Wiesen und Wäldern? Wen interessieren sie noch? Wohl kaum unsere Tangofreunde, mit denen wir tanzen im ehrwürdigen Hotel Fex, das zu Kluckers Zeiten in St. Moritz Bad abgebaut und Balken für Balken ins Tal geschafft und an schönster Stelle wieder errichtet worden ist. In seiner Autobiografie verliert er kein Wort darüber – vielleicht gefiel ihm das grosse Hotel nicht, mitten in seinem Tal. Obwohl er vielleicht auch gerne getanzt hätte, der stattliche Mann, der stets gut gekleidet war, selbst auf Klettertouren in Jacke und Schlips. Wir tanzen, und manchmal meinen wir, die Welt stehe still und die Gipfel rund um uns bewegten sich im Takt der Musik.

Christian Klucker: Erinnerungen eines Bergführers. Neuausgabe mit Vorwort von Emil Zopfi. AS Verlag, Zürich 2010

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Geheimtipp Schwertfisch & Co.

Eigentlich wollte ich einen neuen Klettergarten vorstellen. Die Erschliesser fanden das aber nicht so toll, das Gebiet sei schon fast überlaufen, teilen sie mit.

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Die Route ist steil und hart, Piaz an Schuppen, die Tritte klein und glatt. Schwertfisch. Da muss ich recht zupacken, bin schon sozusagen am Limit und das soll 6a+ sein? Mein starker Freund hat dem Alten schon gar nicht zugetraut, dass er es schafft, auch er fand’s nicht gerade leicht. So sei es nun also.
Jahrzehntelang sind wir auf diesem Strässchen in die Höhe gefahren, und nie ist uns aufgefallen, dass gerade ein paar Minuten im Wald etwas versteckt eine beeindruckende Wand aufragt, schöner Fels, Risse und ziemlich glatte Platten. Auch den Locals, die sonst alles in der Gegend abgrasten, ist sie offensichtlich nicht aufgefallen. Aber irgendwann ist ja auch Dornröschen befreit worden, und so auch diese Wand. Falls man da von Befreiung reden kann und nicht vom Gegenteil.
Etwa fünfzig Routen gibt’s schon und die fleissigen Erschliesser und Erschliesserinnen sind noch immer tätig. Nicht nur bohrend, sondern auch mit Erdarbeiten. Liebevoll angelegte Wege mit Stufen und einem Grillplatz. Pickel, Schaufeln und anderes Werkzeug lehnt in einer Nische. Eine schöne Website bietet Topos, aktuelle Infos, Bildgalerie. Da sieht man die Leute selbst bei Schnee noch an ihrem Werk arbeiten.
Ich bewundere die Kletterfreundinnen und -freunde, die so viel Zeit und Energie opfern, damit wir kommen, sehen und uns kletternd vergnügen können. Gern hätte ich ihnen in einer breiteren Öffentlichkeit auf dem Tagi-Outdoorblog ein Kränzchen gewunden, aber sie baten um Verzicht. Mund zu Mund Verbreitung genüge, es kämen eh schon fast zu viele, besetzten Routen und Parkplätze. Kann ich doch verstehen. Obwohl es ihnen wohl wie den Tessinern gehen wird, die am liebsten den ganzen Kanton geheim gehalten hätten und deren Klettergebiete nun dank diversen Kletterführern ziemlich belagert sind von Klettervolk aus dem Norden. Es ist wohl noch nie gelungen, ein schönes Klettergebiet auf Dauer geheim zu halten. Die Szene ist vernetzt, Handy zu Handy. Ob ich selber wieder herkomme, weiss ich nicht. Sehr hart bewertet fand ich alles und das deprimiert doch ein bisschen. Vielleicht ist die strenge Bewertung auch ein Trick, um den Fels vor allzuviel Ansturm zu beschützen.

Biografisches Wandern

Auf den Spuren meiner selbst. So wandere ich durchs Rätikon. Jeder Schritt eine Geschichte. Meine Begleiterin kennt sie alle schon – eine davon ganz hautnah.

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Bald wird es Brillen geben, die jeden Ort, an dem man einmal vorbeikam, mit einem roten Punkt zeigen. Schaut man durch diese besonderen Gläser, so ziehen sich rote Linien den Wegen entlang und über Alpweiden, durch Wälder und selbst die steilen Schutthalden hinauf und noch weiter: durch die weissen Felswände hinauf bis zum himmelhohen Horizont. So stelle ich mir das vor in einer Zukunft, in der jeder sein Leben nahtlos in den uferlosen Datenwolken speichert. Heute aber sehe ich diese Linien erst vor meinem geistigen Auge, während wir unter der endlosen Kalkfelskette des Rätikons wandern, die Daten rufe ich ab aus dem Speicher meines Gehirns, so weit sie nicht verschwunden sind. Schesaplana, Kirchlispitzen, Schweizertor, die dreigipflige Drusenfluh, die Drusentürme, Sulzfluh und Schienflue. Ein Lebensfilm rollt ab nach einem Drehbuch, das tausend Seiten füllen würde, untermalt mit dem Klangteppich der Kuhglocken von den Alpweiden und vom Klingen und Klickern der kantigen Kalksteinkiesel im Geröll. Ja, so klingt das Geröll nur im Rätikon, wird mir bewusst, und so klingen Kuhherden nur im Widerhall dieses Felsentheaters.
Ich nerve meine Begleiterin mit alten Abenteuergeschichten, sie kennt sie doch schon alle. Die wahnsinnigste Tour des Lebens, damals, keine Haken mehr und keine Holzkeile und noch drei schwere Seillängen in brüchigstem Fels vor uns und der Tag neigt sich. Am andern Morgen vor der Hütte treffen zwei Bekannte ein, steigen ein und am Abend, wir sind schon über alle Berge, schlägt der Blitz in die Wand über ihrem Biwak und eine Felsplatte löst sich, zerschmettert dem einen das Bein. Handys gab es noch nicht, nur Hilferufe, die zwei Tage später ein Hirt von der Alp hörte. Und so weiter und so weiter. Und deine Traumtour, meine Liebe, oder Alptraumtour, erinnerst du dich? Du siehst den Ausstiegsriss dort oben gegen den Grat. Als es blitzte und hagelte und du glaubtest, keinen Meter mehr höher zu kommen. Doch nun sind wir da und schauen hinauf und es sind Jahrzehnte vergangen wie der Blitz.
Wir wandern von der Schesaplana- zur Carschinahütte, unter den Kirchlispitzen kühlen wir die Füsse im kalten Wasser einer Quelle und beobachten am Schweizertor die einzige Seilschaft, die wir klettern sehen. Ich kenne die Route und du die Geschichte dazu. Einsam scheinen mir diese schroffen Kalkwände geworden, die Dolomiten der Ostschweiz. Kein so exklusives Klettereldorado mehr wie einst, dafür Wanderland. In Gruppen kommen sie uns entgegen, mit Stöcken bewehrt und funktionsbekleidet und meist von ennet der Grenze. Die Hütten sind gut besetzt und beliebt und umtriebig, fast kleine Hotels, Halbpension «aber es gibt nur einen Teller!». Ich habe mir vorgenommen, keine Heldengeschichten zu erzählen am Tisch und muss dann doch zum Besten geben, wie es damals auf der Carschina erst die kleine Bretterbude gab nebenan, die jetzt Freund Peter gehört, ein einziger Raum mit Pritschen und an Pfingsten 1962 so tief unter dem Schnee begraben, das man nur das Kamin sah.
Am andern Tag wandern wir noch auf die Sulzfluh, trotz dicken Wolken und Nebelballen und gelegentlichen Regentropfen – und nur dank dem Mut der Begleiterin, denn der Held wäre feige abgezogen aus seinem Heldentheater. So vergeht halt die Zeit und alles ist relativ, der Mut, das Alter und auch der Wetterbericht. Drunten im Land strahlt die Sonne.