Charlotte Perriand. La Montagne inspirée

Eine reichhaltig illustrierte Biographie über eine französische Architektin und Möbeldesignerin, die Kraft und Kreation in den Bergen holte.

«J’aime la montagne profondément, je l’aime parce qu’elle m’est nécessaire. Elle a été de tout temps le baromètre de mon équilibre physique et morale.»

Sagt eine Frau, die lachend in die Kamera blickt. Braungebräuntes Gesicht (ist auch auf der schwarzweissen Foto sichtbar), die kurzen Haare mit einem Stirnband zusammengehalten, ein schwarzer, kurzgeschnittener Blouson, beige Knickerbockerhosen, darin die Hände stecken, wollene Socken, genagelte Schuhe. Sie steht auf einem Stein mitten in ein paar letzten Schneeflecken, von der Sonne beschienen. Ein glücklicher Moment in den Alpen, wahrscheinlich in den französischen. Denn da war diese junge Frau immer wieder, im Winter und im Sommer. Dort fand sie die Ruhe, dort fand sie aber auch die Inspiration für ihre Ideen, ihre Werke. Auf einem von ihnen haben wir wahrscheinlich schon mal geruht, und wenn nicht, wissen wir, wie es aussieht: die Chaise longue à position variable. Diese unten runde, oben geknickte Liege, die auf einem fixen Gestell ruht und hin und her geschoben werden kann. Charlotte Perriand entwarf sie 1928 zusammen mit Le Corbusier und Pierre Jeanneret, in deren Atelier sie arbeitete. «Ich stellte mir einen einfachen, müden Soldaten vor, der sich auf den Rücken legt, die Füsse hoch an einen Baum lehnt und den Rucksack unter den Kopf legt», sagte Charlotte Perriand rückblickend 1987 zur Entstehungsgeschichte der Liege. Vielleicht dachte sie auch an eine müde Alpinistin oder Skibergsteigerin.

Charlotte Perriand (1903–1999) also. Die Französin erfand eine neue Art des Wohnens: Formen, Möbel und Räume, die in der ganzen Welt gefeiert wurden und die sie im Atelier von Le Corbusier und Pierre Jeanneret und später allein, gegen alle Widerstände und bis nach Japan, entwarf. Ihre Inspiration fand die hochbegabte Designerin jedoch in der Natur und in den Bergen. Als Kind war sie fasziniert von den Gletschern am Horizont, als leidenschaftliche Skifahrerin und wagemutige Bergsteigerin suchte sie das Abenteuer und war gleichzeitig neugierig darauf, die Leute und deren Arbeit kennenzulernen, die in den Bergdörfern und auf den Alpen oben lebten. In den späten 1930er Jahren entwarf sie zwei geniale, ultraleichte Biwakschachteln aus Aluminium, das Refuge Bivouac und das Refuge Tonneau.

Die Journalistin und Buchautorin Pascale Nivelle hat aus der aussergewöhnlichen Fotosammlung der Architektin und Möbeldesignerin geschöpft, um in «Charlotte Perriand. La Montagne inspirée» das Leben einer engagierten Frau zu erzählen, für die die Berge eine ständige Neuschöpfung waren. Ein Bildband so schön und rund wie der  legendäre Hocker «Tabouret de berger».

Pascale Nivelle: Charlotte Perriand. La Montagne inspirée. Guérin éditions Paulsen, Chamonix 2024. € 42,00.

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