Christan Kluckers Schlüsselberg

Eine kleine Skitour und die Erinnerung an einen Grossen der Alpingeschichte.

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Der kleine Skigipfel oberhalb von Pontresina heisst «Paradis», die Aussicht soll spektakulär sein, doch das Panorama der Berninagruppe verhüllt sich, so dass ich nur durch den Nebelvorhang alte Heldentaten aufzählen kann. Drei Bartgeier oder Adler, die im fahlen Himmel kreisen, erheischen mehr Aufmerksamkeit. Es ist auch ziemlich kalt, und die Abfahrt durch Bruchharsch drängt zum Aufbruch. Ein Strahl Sonne dann gegenüber auf den spitzen Piz Languard ruft eine alpinhistorische Begebenheit in Erinnerung: Ein Sommer vor gut 140 Jahren, ein Wagnerlehrling aus Samaden steigt allein hinauf. In seiner Autobiografie schreibt der spätere Bergführer Christian Klucker: «Die prächtige und aussichtsreiche Pyramide des Piz Ot wurde jeden Sommer besucht und desgleichen der Piz Languard. Auf letzterem war ich an einem Sonntag zweimal. Das zweite Mal sogar als bezahlter Führer mit einem deutschen Herrn, welchem wir im Abstieg bei der Alp Languard begegneten und welcher mich ersuchte, ihn auf die Languardspitze zu begleiten. – Als Entgelt erhielt ich von ihm am Abend in Pontresina ein Goldstück von zehn Franken. Eine fürstliche Belohnung für meine damaligen Begriffe. ‹Sapristi!›, dachte ich, ‹unter solchen Bedingungen wäre das Bergsteigen doch lukrativer als das Arbeiten in der Werkstätte als bezahlender Lehrjunge!›»
Das Leben ist Zufall. Vielleicht hat sich Klucker später oftmals gefragt, wie wir uns oft fragen: Was wäre wenn … Wenn er jenem Deutschen nicht begegnet wäre … Gerade am Berg ist der Zufall oft unser Glück und für manchen auch das Unglück. Steinschlag, Lawinen, oder hier auf der Abfahrt im ruppigen Bruchharsch ein gebrochenes Bein.
Unten in Pontresina erweisen wir dem grossen Klucker unsere Reverenz durch einen Besuch im Museum Alpin, wir sind die einzigen Gäste. Man verehrt ihn hier und er hat es verdient. Das Museum bewahrt auch das Werk seines ungeliebten Gastes, ein Manuskript und Fotos des Barons Anton von Rydzewski, mit dem er während zehn Sommern die Bergeller Berge erschloss. Dass er ganz in der Nähe sein Schlüsselerlebnis hatte, ist nirgends festgehalten.

Christian Klucker: Erinnerungen eines Bergführers. Erschienen 1930. Neuauflage im AS Verlag, Zürich 2010

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