Nur wandern ist schöner als lesen oder fahren. Zum Beispiel an der blauen Küste westlich von Marseille. Vier unvergessliche Tage an einer der schönsten Eisenbahnstrecken von Frankreich.
«Je découvris, à la nuit tombante, au bas d’un mauvais chemin en à-pic et très cassegueule avec ses pierres roulantes, la Calanque de La Redonne, encombrée de barques tirées sur les galets et sa placette rocailleuse.»
Diesen schlechten, steilen und mit seinen rollenden Steinen halsbrecherischen Weg findet sich in der Calanque de La Redonne nicht mehr. Die Zufahrtsträsschen sind geteert, und der Sentier des Douaniers, der so nah als möglich dem Mittelmeer entlang verläuft, ist dort breit ausgebaut. Aber andernorts an der felsigen Küste westlich von Marseille, zum Beispiel beim Aufstieg vom Plage de Figuerolles, ist der Weg genau so, wie Blaise Cendras den Abstieg nach La Redonne beschrieben hat. Mehr noch: Kurz nach dem erwähnten Aufstieg vom Figuerolles-Strand kommt man zu einer Passage, wo ein Fixseil über einen mitten auf dem Küstenpfad liegenden Felsblock hinweghilft. Und dann sind es nur noch zwanzig Minuten bis zum ersten Etappenort Niolon. Bienvenue sur la Côte Bleue!
Die Blaue Küste ist ein kleiner Abschnitt der französischen Mittelmeerküste. Sie erstreckt sich westlich von Marseille über 25 Kilometer bis zur Mündung des Canal de Caronte ins Meer, wobei an den Eckpunkten Hafen- und Industrieanlagen liegen. Wunder- und wanderbar gibt sie sich von Resquiadou bei L’Estaque bis zur Anse de Laurons (eine gute Wanderstunde südlich des Bahnhofs Martiques). Ein Sentier du Littoral erschliesst die Küste; im östlichen, wilden Abschnitt heisst er Zöllnerpfad; dort verläuft er teilweise direkt ober- oder unterhalb der Eisenbahnstrecke. Es sind dies die beiden einzigen Routen an dieser felsigen, mit Pinien bestückten Steilküste.
Die Ligne de la Côte Bleue zählt zu den schönsten Bahnstrecken Frankreichs, mit zahlreichen Viadukten, die die Küsteneinschnitte elegant überbrücken, während die Wanderer ab- und gleich wieder aufsteigen dürfen – bzw. müssen, wenn Beine und Rucksack schwer geworden sind. Christophe Pons stellt in den im Februar 2025 erschienenen «Balades curieuses sur la Côte Bleue» Abschnitte des Küstenweges vor, wenn dieser in die Rundtouren (von Bahnstationen aus) einbezogen wird. Insgesamt sind es elf Wanderungen und fünf Schwimmstrecken; dazu 26 Hintergrundgeschichten, wie eben zu Blaise Cendrars, der in «L’homme foudroyé» (Die Signatur des Feuers) seinen Aufenthalt in La Redonne festgehalten hat. Es ist dies einer der ganz seltenen (Wander-)Führer zur Côte Bleue. Zu den berühmten Calanques (östlich) von Marseille hingegen: zig Publikationen. Deshalb, meine Leute: Allons-y sur la Côte Bleue!

Hier nun ein Vorschlag für vier Wandertage an der blauen Küste.
1. Tag: L’Estaque – Niolon. Per Bahn nach Marseille St-Charles und weiter in wenigen Minuten nach L’Estaque. Runter zum Meer, nach rechts. Nun stundenlang links la Mer Méditerranée, rechts die Chaîne de l’Estaque. Kurz nach Resquiadou beginnt der malerische, schmale, oft ausgesetzte und meistens markierte Sentier du Littoral bzw. Sentier des Douaniers. Zeit: 2 h 20; Schwierigkeit: T3 mit Stellen T4. Nur wenige Unterkünfte in Niolon; empfehlenswert, auch nur zum Petit Déjeuner, das Bahnhöfli https://train-inc-cafe.com. Abendessen: Restaurant La Pergola.
2. Tag: Niolon – Carry-le-Rouet. Bis in die Calanque de Grand Méjean nochmals in jeder Hinsicht atemberaubend, bis La Redonne etwas ruhiger vom Untergrund, und dann eine Mischung aus Wegen, Strässchen und Treppen. Zeit: 4 h 10; Schwierigkeit: T3 (bis Grand Méjean), dann T2 und T1. Unterkunft in Carry-le-Rouet: sehr gediegen im Bleu Hôtel & Spa am Hafen. Abendessen: viele Restaurants am Hafenquai. Morgenessen: In der Boulangerie am Beginn der Avenue de Calanque.
3. Tag: Carry-le-Rouet – La Couronne-Carro. Auf gepflegten Wegen, auch auf Strassen, immer der nun eher flachen Küste entlang. Zeit: 3 h 45; Schwierigkeit: T2 und T1. Unterkunft: in La Couronne die Bastide des Joncas (Typ Maison de vacances). Abendessen: rund um den Hafen von Carro. Morgenessen: in einer der Strandkneipen an der Anse du Verdon.
4. Tag: La Couronne-Carro – Martigues-Lavéra: Bis zur Anse de Laurons auf Strassen und Wegen entlang der nun wirklich flachen Côte Bleue. Schwierigkeit: T1. Zeit: 1 h 30 bis in diese letzte Badebucht, dann eine gute Stunde meist auf Strassen, nach Unterquerung des Viaduc du Verdon immer östlich der Eisenbahn, zum Bahnhof von Martigues (im Ortsteil Lavéra). Es fährt auch ein Bus. Dann mit der blauen Bahn in einer knappen Stunde entlang der blauen Küste zurück nach Marseilles, und in gut sechs Stunden zurück nach Bern. Empfehlenswerte Lektüre: «Gefährliche Côte Bleue. Ein Provence-Krimi mit Capitaine Roger Blanc» von Cay Rademacher. Zitat aus dem Start: «Als Calanques wurde die zerklüftete Felsenküste östlich und westlich von Marseille bezeichnet. Blanc hatte schon vom karibischen Wasser und von harzigen Pinien gehört, von halsbrecherischen Pfaden zwischen mürbem Gestein.» Bonne balade!
Christophe Pons: Balades curieuses sur la Côte Bleue. L’éco-guide. Éditions Glénat, Grenoble 2025. € 13,90.
François Meienberg: Zu Fuß durch die Provence. Weitwandern zwischen Mont Ventoux, Verdonschlucht und Saint-Tropez. Rotpunktverlag 2019. Die Côte Bleue als Dreitagestour beschrieben, mit einer zu langen ersten Etappe (von L’Estaque bis Carry-le-Rouet) und zuletzt mit dem Marsch ins Zentrum von Martigues und nicht zum Bahnhof (so verpasst man die Rückfahrt mit der Ligne de la Côte Bleue).
Blaise Cendras: L’homme foudroyé, 1945. Die Signatur des Feuers. Lenos Verlag 2000.
Cay Rademacher: Gefährliche Côte Bleue. Ein Provence-Krimi mit Capitaine Roger Blanc. Band 4. Dumont Verlag 2017.