Nachdem die Bündner Stimmbürgerinnen und Stimmbürger eine Koordination der kantonalen Kurtaxen und Tourismusbeiträge abgelehnt haben und noch keine Mehrheit für eine Winterolympiade in Sicht ist, gibt unser Rezensent Gegensteuer. Es lohnt sich doch, ein Hotel in den Alpen, bzw. Graubünden zu buchen. Auch wenn man heutzutage nicht mehr tanzt als Training für eine verrückte Tour. Ein kleines Abenteuer liegt noch allemal drin.
„Selbst wenn Sie schon da drinnen auf dem Stroh lägen und schnarchten, ich würde mich ruhig auch hinlegen… ruhig. Das ist doch gerade das Schöne an diesen Bergpartien, dieses harmlose, natürliche Zusammensein: ohne Komfort, ohne Luxus wird der Menschen eben wieder zum richtigen Menschen.“
So spricht Gerda zu Fipsy in Arthur Neustadts „Mr. Fips in St. Moritz. Eine Satire des Engadiner Gesellschaftslebens“ (Orell Füssli Verlag, Zürich 1918). Während rund um die Schweiz der erste Weltkrieg tobt, vergnügt sich der Jetset von einst in den Grandhotels und im Schnee – wunderbar zu lesen während einer winterlichen Bahnfahrt ins Engadin. Auf dieser Strecke lernt der Held des Buches die hübsche Gerda kennen, und nach vielen Irrungen und Wirrungen treffen sich beide wie zufällig in einer Hütte. Damit beginnen erst recht die Probleme: So ausschweifend das Treiben der Mehrbesseren in den Hotels ist, das ist dann doch kompromittierend, Mann und Frau alleine auf der Hütten. Trotz allem ein hübscher Zwischenfall. Man hätte sich auch bloss den Fuss verstauchen können, wie Willemintje in Paul Oskar Höckers Roman „Die Sonne von St. Moritz“ (Ullstein Verlag, Berlin 1910):
„Willemintje selbst war wieder ziemlich auf dem Posten. Beim Treppensteigen empfand sie noch eine gewisse Schwäche im Fuss, aber auf ebener Fläche konnte sie schon längere Strecken ohne Ermüdung zurücklegen. Sie freute sich auf den ersten Spaziergang: am andern Tage wollte Lore mit ihr zum Tee ins Kulmhotel.“
Andere Hotelgäste hatten das Teetrinken mehr als satt. Beispielsweise die österreichische Alpinistin Hermine Tauscher-Geduly; sie verlor am 26. August 1880 mit ihrer Seilschaft die angepeilte erste Durchsteigung der Westwand des Piz Bernina gegen eine früher eingestiegene mit Benjamin Wainewright nur ganz knapp. „Ein Wettlauf über den Wolken“ heisst denn auch ihr packender Bericht in der „Österreichischen Alpen Zeitung“ vom August 1881:
„Wir kamen nach Grindelwald bei Regen. Wir erstiegen das Wetterhorn im Nebel. Wir klommen auf dem eisüberkrusteten Eiger bergan, bergab, im Regen und Nebel. Dann riss der Faden unserer Geduld; wir änderten abermals die Richtung, entmuthigt, verdrossen ostwärts wandernd. (…)
Aber der Tag verging, auch ein zweiter und dritter, ohne dass sich etwas Aussergewöhnliches ereignet hätte. Zur Frühstückszeit gab es regelmässig trüben Himmel und der Malojawurm – ein Greuel für den Touristen – kroch aus dem Bergell herauf, alle Wasserfluthen des Comersees in seinem Gefolge; blauschwarz hingen die Dunstmassen über dem Thal und an den Bergen.
Die Mehrzahl der Gäste in Pontresina liess das gleichmüthig geschehen. Nach aufgehobener Table d‘hôte rückte man im Hotel Roseg, wie in der „Krone“ allabendlich die Tische zur Wand und bei den elektrisirenden Klängen Strauss‘scher Walzer drehte sich Jung-England bewundernswerth würdevoll im Kreise; Mr. Wainewright als der Ausdauerndste von Allen. Nur unsere Gesellschaft wurde vor Betrübniss still und stiller.“
Offenbar holte sich der englische Alpinist seine Kondition beim Tanzen. Ja, Musik gehört in die Grandhotels wie die glanzvolle Architektur. Wir machen es uns bequem in der grandiosen Halle von Badrutt’s Palace Hotel in St. Moritz und lesen in einem zweitletzten Buch: „Des St. Moritzer Peterli wunderbares Skiabenteuer“ (Fachschriften Verlag, Zürich 1938) von Lü De Giacomi-Didio (Text) und Alois Carigiet (Illustrationen) aus dem Jahre 1938:
„Peter kam es vor, es fliege das Dorf unter ihm weg, sein Dorf, putzlebendig wie ein grosser Ameisenhaufen; die grossen Dachzacken des langgestreckten Kulmhotels reckten sich ihnen wie gierige Zähne entgegen, und der schiefe Turm, den sie umflogen, schien bedenklich zu wanken. Aus dem Palace stieg leise und sacht das goldene Saxophon und babbelte und blubberte göttlich vergnügt vom Dach aus den beiden Fliegern nach.“
Und welches Buch macht den Schluss? Natürlich das über all die Hotels im Oberengadin. Vor über 20 Jahren erschien „Das Hotel in den Alpen. Die Geschichte der Oberengadiner Architektur von 1860 bis 1914“ der Kunstgeschichtlerin Isabelle Rucki (1955-2012). Lange Zeit war das wegweisende Werk vergriffen, doch nun erstrahlt es in neuem Glanz. Die Autorin nahm den Stoff von damals wieder auf und schrieb die Engadiner Hotelgeschichte bis in die heutige Zeit fort. Der Architekturfotograf Heinrich Helfenstein fotografiert die Hotels, wie sie sich jetzt präsentieren. Der Katalog ausgewählter Hotelbauten macht das Buch zum Nachschlagwerk. Wer also wissen möchte, wann der Salon gebaut wurde, in dem Willemintje mit Lore den Tee trank: In diesem gediegenen Bildband wird man fündig.
Isabelle Rucki: Das Hotel in den Alpen. Die Geschichte der Oberengadiner Architektur ab 1860. hier+jetzt Verlag, Baden 2012, Fr. 89.-