Der neue Bätzing, der neue Schneider. Bei beiden geht es, ganz verschieden natürlich, um die Wechselwirkung von Land und Stadt.
«Warum war selbstgebackenes Brot zehn Jahre zuvor nichts Besonderes, und warum kam damals niemand auf die Idee, ein Backofenfest zu machen?»
Diese Frage stellt Werner Bätzing, emerierter Professor für Kulturgeographie an der Universität Erlangen-Nürnberg und weitbekannt als DER Alpenforscher, in seinem jüngsten Buch „Das Landleben. Geschichte und Zukunft einer gefährdeten Lebensform“. Das „damals“ im obigen Zitat bezieht sich auf die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, als das Landleben sozusagen am Boden lag. Doch spätestens seit der Lancierung der Zeitschrift „Landlust“, die in kurzer Zeit sehr erfolgreich wurde, gilt das Leben auf dem Lande nicht mehr als beschränkt, borniert und rückständig, sondern „wird auf einmal schick und modern und steht für eine neue und naturnahe Zukunft.“ Aber ist dem wirklich so? In der Einführung zu seinem 300seitigen Werk fasst Bätzing die Grundsatzfrage so: „Kann das Landleben unter den heutigen Rahmenbedingungen wirtschaftlich tragfähig, kulturell bereichernd, sozial vielfältig sein, und kann es eine qualitativ gute Versorgung und eine vielfältige und gesunde Umwelt bieten?“
Auf diese grundsätzliche Frage, und auf diejenige nach dem Backofenfest, gibt Werner Bätzing umfassende Antworten. Das nach einer tiefgreifenden Analyse zur Entstehung und zur Geschichte des Landlebens, immer auch in Bezug zu seinem mächtigen Gegenüber, nämlich der Stadt. Höchst interessant, wie sich die Industrielle Revolution auf das Landleben ausgewirkt und wie die forcierte Modernisierung dieses zwischen 1960 und 1980 nochmals gründlich umgepflügt hat. Während Bätzing die Geschichte des Landlebens anhand von Europa, ja teils der ganzen Welt aufarbeitet, untersucht er das Landleben der letzten und jetzigen Zeit vor allem in Bezug auf Deutschland. Aber die Speckgürtel um die Metropolen, die Zwischenstädte, die isolierten Einkaufszentren, die ausufernden Gewerbebauten, die Einfamilienhaussiedlungen mitten im Grünen und abseits von Dörfern, die vom Verkehr geprägten gesichtslosen Siedlungsstrukturen auf dem Lande: All das erleben wir zum Beispiel auch in der Schweiz. Und nicht in geringem Ausmasse, oh nein.
Im achten und letzten Kapitel entwirft Bätzing sechs mögliche zukünftige Entwicklungen des Landlebens. Im dritten Szenario mit einer globalen Wirtschaftskrise, entstanden durch Spekulationen im Finanzsektor, heftige Handelskriege, internationale Kriege oder durch die Coronakrise (aber die gab’s noch nicht beim Schreiben des Buches!), werden die Auswirkungen auf dem Lande etwas milder ausfallen als in der Stadt. Lokale und regionale Produzenten und Dienstleister im ländlichen Raum würden wieder bessere Möglichkeiten erhalten; sie könnten zum Beispiel Brot backen, nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Städter.
Illustriert ist Bätzings „Landleben“ mit 26 klug ausgewählten und genau beschriebenen Abbildungen. Auf dem Cover findet sich – schön, aber nicht ganz zum Inhalt passend – ein einsamer Hof in der Toskana. Da kommt mir der neue Hunkeler-Krimi von Hansjörg Schneider in den Sinn, den ich zur gleichen Zeit wie den neuen Bätzing gelesen habe. Auf dem Titelbild von „Hunkeler in der Wildnis“ ein Fuchs; aber der Polizist a.D. hat ein Erlebnis mit einem Dachs. Nicht auf dem Lande, wo er die meiste Zeit lebt, sondern in der Stadt. In einer andern Szene fragt er den verdächtigen, aus dem Maderanertal stammenden Zgraggen: „Warum bist du in die Stadt gekommen?“
Werner Bätzing: Das Landleben. Geschichte und Zukunft einer gefährdeten Lebensform. Verlag C. H. Beck, München 2020, € 26.-
Hansjörg Schneider: Hunkeler in der Wildnis. Der zehnte Fall. Diogenes Verlag, Zürich 2020, Fr. 24.-