Sie war eine Traumwand, eine der schwierigsten der Schweiz. Erinnerungen an einen heissen Augusttag vor 47 Jahren – und an verstorbene Seilgefährten.
Wir hinterlassen Spuren in der Welt. Eine wurde mir letzthin zugeschickt: Eine Seite aus dem Wandbuch der Scheienfluh-Westwand. Oder Schijenfluh, wie man heute schreibt. Oswald Oelz ist in Besitz dieses Dokuments gekommen und hat sie mir kopiert. Da erfahre ich nun, dass ich mit Dieter Kienast am 5. August 1965 die 31ste Begehung dieser überhängenden gelben, etwa 300 Meter hohen Wand durchführte. Toni Holdener und Toni Lampert, die uns auf den Fersen folgten, die 32ste. «Meine Traumwand gelingt uns in 10½ Std., die Kletterei ist ungeheuer eindrucksvoll», steht in dem Tourenbuch, das ich damals führte. Viele Worte machte ich also nicht über die Route, die als eine der schwierigsten der Schweiz galt. Es war ein heisser Tag, vielleicht der heisseste des Jahres. Dieter hatte sich in den Kopf gesetzt, mit dem «Eiger spezial» zu klettern, einem Dreifachschuh, der für die erste Winterbegehung der Eigerwand entwickelt worden war. Ein Monster von Schuh, der kaum in die Trittleitern passte, dafür als eine Art Vorläufer der Friends in breite Risse. Friends gab es ja noch nicht, dafür Holzkeile, und der letzte der Route ist mir unvergesslich. Nach den drei überhängenden Seillängen des direkten Ausstiegs steckte er, gleich über der Kante, sah ziemlich vertrocknet aus und quietschte verdächtig, als ich ihn belastete. Aber auch ich war ziemlich vertrocknet, stand ins Leiterchen, schöpfte tief Luft und kletterte die letzten leichten Meter zum Gipfel, der eigentlich kein Gipfel ist, sondern ein Wiesenfleck.
Dieter war damals ein echter Freak, Gärtner von Beruf, ein bedächtiger, begnadeter Kletterer, der wenig Worte machte und oft still vergnügt seine Pfeife rauchte. Niemand hätte ihm zugetraut, dass er später nicht nur grosse Alpenwände meisterte, sondern als Landschaftsarchitekt steile Karriere machte. Er wurde der erste Professor für Landschaftsarchitektur an der ETH – ein Jahr nach seiner Berufung starb er an Krebs.
http://de.wikipedia.org/wiki/Dieter_Kienast
Zu seinem zehnten Todestag fuhr ich mit einem Filmteam nach Partnun unter die Schjenfluh, erzählte von unserer Tour, von unserer Freundschaft, und dabei kamen mir vor der Kamera die Tränen. Auch dieser Film, den ich eben auf dem Internet entdecke, gehört zu den Spuren, die wir hinterlassen – und die irgendwann verwehen werden.
http://www.schwarzpictures.com/landscape/
Wer erinnert sich etwa noch an Toni Holdener, der damals hinter uns kletterte, zusammen mit Toni Lampert. «Die beiden Töni» waren gerade vom Kilimanjaro gekommen. Die Route hatten sie glaube ich sogar schon mal geklettert. Wir waren zuerst am Einstieg und sie liessen uns vor. Jedenfalls gehörten die beiden damals zu den Bündner Spitzenkletterern. Toni Holdener, neben seinem Namen steht ein Kreuz, stürzte wenige Jahre später in den Calanques bei Marseille zu Tode – Bodensturz aus grosser Höhe. Toni Lampert wurde Bergführer, Skilehrer, Pisten- oder Rettungschef bei den Sportbahnen Flims. Beide habe ich seit unserer gemeinsamem Tour nie mehr gesehen.
Die Route sei heute saniert, lese ich auf einem Blog, zum Teil sogar übermässig. Trotzdem werde sie nur selten geklettert. Die Träume der jungen Generation gelten anderen Zielen.
Hei Emil, mach Dich nicht älter als Du bist. Oder geht es Dir alterswegen wie mir ab und zu, da bring ich doch immer wiedermal die Zahlenreihe durcheinander. Obwohl doch grad Zahlen unverrückbar seien. 1965 scheint dem vergilbten Dokument gemäss zutreffender. Und doch sind die gut erzählten Geschichten, die schönen Erinnerungen, das was wirklich zählt. Und nicht die Zahlen, welche uns im erinnern nur immer wieder bewusst machen, wie lang wir schon überlebt haben. Gruss und Dank…. Richi
Danke, Richi. Ich korrigiere gleich. 1965 ist richtig.
Das ist eine schöne Geschichte und ich bedaure, dass ich diese Tour (noch) nie geklettert bin. Nachdem sie saniert ist, könnte das aber noch werden, mir gefallen solche Klassiker halt immer noch wahnsinnig gut.
Hast du Leo Caminada auch auf deinen Beitrag aufmerksam gemacht? Er findet sich am 29. Oktober desselben Jahres ebenfalls vermerkt im Routenbuch und würde sich sicher freuen.
Herzlich, Xaver
Wer erinnert sich etwa noch an Toni Holdener ???
In der 70-er war Holdener eine Legende bei den Welschen … 25 grosse Touren pro Jahr … und das trotz einem echten Job!
Verdient wie KKC eine Seite auf Wikipedia … ein Pensum fuer Hombi …?
Lieber Emil,
Meine Tochter Andrea hat mich auf „bergliteratur.ch“ aufmerksam gemacht. Toll was ich da alles finde. Vor allem Klettertouren die ich vor bald 50 Jahren gemacht habe. So auch die Scheienfluh-West. Ich kann mich noch genau an euch beide erinnern, der Emil sportlich ohne grosses palaver und der Dieter mit übergrossen Schuhen und am Standplatz unter dem Dach die Pfeife im Mund! Eine tolle Tour für dich wäre noch die „Direkte Westwand der Scheinenfluh“ von Andres und Ernst Scherrer!!
Es ist schön wenn man auf der ganzen Welt in den Wänden und Bergen unterwegs ist, aber die Würze liegt an den kleinen und interessanten Episoden. Danke Emil für deine Bericht.
Cordials salids da Töni
Liebe Bezwinger der Diener/Niedermann-Route an der Schijenfluh-Westwand. Grossen Respekt allen, die den Klassiker an der Schijenfluh begangen haben! Das Wandbuch aus dem Jahr 1957 ist seit der Sanierung 2007 im Berghaus Sulzfluh. Sehr spannend und eine Ehre, dieses aufbewahren zu dürfen.
Herzlichst aus Partnun
Ernst Flütsch, Berghaus Sulzfluh
Unfortunately we received word today that Tony Lampert has passed away. What a fantastic person he was, so full of life and energy, always ready to help. A man who set his own goals and aspired to them. No path was too difficult. . you will be missed but not forgotten Tony. Stephen Hunter, New Zealand.