Eine Begegnung im Fels, die Vogelschützern keine Freude gemacht hätte. Die Strafe folgt im Flug.
Es gibt Routen, die sind einfach Pflicht. Zum Beispiel «Oggi in stereo» am Monte Cucco, Finale. Kein Gedränge heute, doch am Einstieg hängt ein Zettel in einer Plastikmappe: «birds eggs! uova di rapace!» Brütende Vögel! Vielleicht der Grund, dass in diesem Sektor niemand klettert. Aber wo brüten denn die Vögel? In irgend einem der Löcher, die in dieser Route so schönen Griff bieten? Schwalben kreisen um die Wand, aber das sind wohl keine Felsenbrüter.
Wir packen das Seil aus, schauen links, schauen rechts, ob da nicht aus einem Gebüsch ein militanter Vogelschützer auftaucht und uns von der Wand prügelt. Aber wir sind ja nicht im Donautal … Und die italienischen Ornithologen wohl etwas toleranter als jene nördlich der Alpen … Schliesslich haben wir hier bei Freunden auch schon kleine Vögel am Spiess als Delikatessen serviert bekommen. Geschmackssache allerdings.
Also packen wir mal eine Route einige Meter rechts von «Oggi in stereo» an. Immer mit Blick hinüber zu den Löchern, aber da tut sich nichts. Beim Ablassen pendle ich vorsichtig zum grössten Loch, das ich bestens kenne. Kurz vor dem Ausstieg aus «Oggi in stereo», ein Untergriff und dann die Kante gepackt und ein scharfer Klimmzug und hinein in die kleine Höhle. Rasten, Arme schütteln. Dutzende Male gemacht. Und dann der Wunsch, einen Haken zu hängen, aber der winkt rechts in der Höhe, nach ein paar luftigen Tritten … Ein ideales Vogelnest, gewiss, und da liegt auch ein Federchen an der Kante. Also ablassen. Noch immer kein Vogelschützer in Sicht. Nun wage ich die Route gleich neben der gesperrten, «Domani in mono». Der Herrscher aller Wesen der Lüfte soll mir verzeihen. Ständig blinzle ich hinüber und hätte wohl besser auf meine Füsse geblinzelt, wo die denn stehen oder eben nicht, denn schon sind sie abgeschmiert und nun bin ich selber ein Vogel, der fliegt und fliegt … Der Grosse Vogel straft sofort!
Gut, hat’s niemand gesehen. Also am Seil hochgezogen zum Haken und weiter, etwas vorsichtiger und ohne Blick zum Vogelnest. Und wieder pendle ich beim Ablassen vorsichtig hinüber, noch ein bisschen näher, und dann schauen wir uns verwundert an, der brütende Wanderfalke oder die Wanderfalkin. Ein grosses schönes Tier, braungrau gesprenkelt, weisse Brust, Krummschnabel. Und ich hoffe inständig, liebe Falkin, dass ich dich nicht allzu sehr erschreckt habe.
Es waren jedenfalls weise Kletterer, die den Zettel an den Einstieg gehängt haben. Ich hoffe, er wird auch noch respektiert, wenn um Ostern der grosse Run auf die Felsen der Gegend einsetzt. Und auch richtig verstanden, nicht dass einer noch meint, es handle sich um ein spektakuläres Versteck für Ostereier.
Die Brut der Wanderfalken dauert über einen Monat, lese ich, die Jungen fliegen nach über vierzig Tagen aus und bleiben dann noch einige Wochen im Revier. Um «Oggi in stereo» dieses Jahr nochmals zu klettern, müssen wir wohl im Herbst wiederkommen.
Am Abend sind wir übrigens von Freunden eingeladen in ein feines Restaurant am Villenhügel von Finale namens «Cucco». Hat aber nichts mit dem Kletterberg zu tun, sondern mit einem Partisanenführer, der so genannt wurde, und dessen Söhne heute das Lokal führen. Auf der Karte gibt’s vor allem Fisch – keine Vögel.
(Bilder aus dem Internet)
Hoi Emil, nur zu gerne verweile ich auf der Bergliteraturseite. Was wurde wie gelesen, was wurde wie verstanden. Und dann verstehe ich auch mal nix. Der weise Kletterer der voraus schauend den Zettel anbrachte. Und dann der wunderfitzige Emil.. Es gibt Routen die sind einfach Pflicht… und wär’s doch die Kür weise zu verzichten, wenn jemand sich schon die Mühe macht zu informieren… Grüsse Richi PS: Der Berg (die Route) ist kein Frosch, der (die) hüpft dir nicht davon (ein weiser Bergführer zu seinem Gast)