Der König der Kaki: Kulinarische Geschichten aus dem Süden

Es gibt Leute, die essen, um zu Berg gehen zu können – und es gibt Leute, die zu Berg gehen, um zu essen. Zwei Bücher für die zweiten. Ausgewählt von unserem Rezensenten, von dem wir nicht genau wissen, zu welchen er gehört. Der Genuss feinstens Lardos hat ihn jedenfalls nicht fett gemacht.

„Il re dei cachi?“, fragen die Kinder fasziniert. Ja, es gibt ihn wirklich, den König der Kaki, und er ist keine Märchengestalt. Er heisst Giorgi. Giorgi ist gross und mager, er hat einen zerzausten Bart und widerspenstiges Haar. Er lebt im Wald, im kleinen Reich der Stiftung Meraggia, einem kleinen Nest mit malerischen Rustici am Hang des Monte Bigorio.

Wenn es Zeit ist die Früchte reif sind, streift der König der Kaki durch den halben Kanton Tessin auf der Suche nach Früchten, die nicht geerntet werden. So kommen tonnenweise Kakis zusammen, die er dann vermarktet: frisch, getrocknet oder als Bestandteil seiner erfinderischen Rezepte.

Der König der Kaki hat mit der Kaki Geld gemacht – und dies nicht nur im übertragenen Sinn des Wortes. Er hat auch ein eigenes Finanzsystem erfunden, das auf einer sehr aussergewöhnlichen Währung basiert: der Dörrkaki. Der Garten von Giorgi ist quasi die Münzstätte und sein Rustico der Hauptsitz der „Bank of Kaki“. Weil die Kaki eine verderbliche Frucht ist, ist auch der Zerfall der Währung inflationär. Giorgi glaubt, dass der rasche Zerfall des Geldes die Menschen dazu anregt, es schneller auszugeben, um dann mit ehrlicher Arbeit wieder neues Geld zu verdienen. So wird aus dem Geld der grösste Nutzen gezogen, die Anhäufung von Kapital und Finanzspekulation vermieden. Die Kaki-Dollars können nicht auf die Bank gebracht und nach zwanzig Jahren mit Zins und Zinseszins wieder abgehoben werden. Alles, was von ihnen zurückbliebe, wäre eine wertlose und undefinierbare verrottete und verschimmelte Masse.

„Certo“, meint Giorgi Winter abgeklärt, „vielleicht es nur eine Utopie. Aber ist der Glaube an unendliches Wachstum, wie er heute von uns gelebt wird, nicht auch völlig utopisch.“

Was für eine schöne Geschichte! Was für ein schönes Buch, in der diese erzählt wird! Und zwar in jeder Hinsicht: als Tessinbuch, als Kochbuch, als Lesebuch, als Fotobuch. Und als Buch überhaupt: zum in die Hand nehmen, zum Blättern, zum Riechen, zum Anschauen, zum Nachkochen, zum Gluschtig machen und Hunger kriegen, Durst übrigens auch. „Ticino ti cucino. Originalrezepte und kulinarische Geschichten aus dem Tessin“ von Pepe Regazzi (Initiant und Herausgeber), Juliette Chrétien (Fotos) und Fabio Corfù (Text).

Davvero: Selber kochen werde ich selbst wahrscheinlich nicht allzu viele Rezepte aus dem Buch. Meine Kochkünste bewegen sich leider etwa auf dem gleichen Niveau wie eine Pizza Proschutto aus dem Schnellimbissstand von der Piazza Grande in Locarno zu einem Cinghiale al forno, zu einem Wildschweinbraten aus dem Ofen, wofür man das Fleisch 3-4 Tage in Milch marinieren muss. Schon nur beim Gedanken daran läuft einem das Wasser im Mund zusammen.

Nicht nur das Tessin hinter der Piazza Grande wird mit diesem aussergewöhnlichen Buch auf rundum Appetit anregende Art und Weise vorgestellt, auch das benachbarte bündnerische Calancatal kommt zu Ehren, mit einem Besuch bei Nonna Lina. Und was kocht sie? La boia, la mazzafam, torta di pane, Castagne glassate. Hunger gekriegt?

Bene, molto bene. Dann möchte ich nämlich noch gleich auf ein zweites Kochbuch hinweisen. Und auch wieder mit einer kleinen Geschichte beginnen. März 2006, Skitouren im Talkessel des Dorfes Carcoforo, das zuhinterst in einem engen Seitental des Valsesia auf der Südseite des Monte Rosa liegt. Wir kamen zurück vom ersten Gipfel in unsere Unterkunft, ins Albergo Ristorante „Alpenrose“. Am frühen Nachmittag verspürte ich einen leichten Hunger und fragte den Gastwirt, ob er mir nicht un po di salame und so servieren könne. Ma certo, sagte Enrico. Das bestellte „Plätteli“ erwies sich als grosser Teller, und darauf hatte es nicht nur Salame und Prosciutto, sondern auch Speck. Ganz weissen, weichen Speck, mit einer Kräuterkuste. Lardo, wie ich mir sagen liess. Ich wickelte die fein geschnittenen Scheiben um den Finger und genoss den gepökelten Rückenspeck vom Schwein Bissen um Bissen. Mamma mia, che buono!

Und jetzt kam ein Kochbuch heraus, worin der Lardo seinen verdienten Auftritt hat. Das Buch stammt von Jennifer McLagan und heisst: „Fett. Loblied auf eine verrufene Ingredienz.“ Ich sag nur das: Buon appetito!

Pepe Regazzi, Juliette Chrétien, Fabio Corfù: Ticino ti cucino. Originalrezepte und kulinarische Geschichten aus dem Tessin. AT Verlag, Aarau 2012, Fr. 52.90.

Jennifer McLagan und heisst: Fett. Loblied auf eine verrufene Ingredienz. Mit zahlreichen Rezepten. Rotpunktverlag, Zürich 2012, Fr. 52.90.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert