Der neue Hausberg

Um diesen Berg wurde einst gekämpft – nicht mit Seil und Haken, sondern mit Säbel, Vorderlader und Kanonen. Hundertmal mehr Tote als der Mount Everest forderte der Moränenhügel. Der Gipfel, 675 Meter über Meer, trägt den Namen eines dichtenden Fräuleins der feinen Zürcher Gesellschaft.

Lauschig die Wege durch diese Wälder, steil gehts hoch, einem Bächlein entlang, dann über sanfte Hügel, durch Gräben. Der Hanslinweg erinnert an einen Schweizer General, der 1971 mit einem Helikopter abstürzte. Seine Truppen, zu denen auch ich gehörte, musste er nie in eine Schlacht führen. Hier aber, in diesem beschaulichen Winkel der Stadt, tobten im Jahr 1799 die brutalsten Kämpfe, die die Schweiz je sah. Die Schlachten bei Zürich im Juni und September zwischen Franzosen und den Koalitionstruppen der Österreicher und Russen. Auch der siegreiche General André Masséna ist hier im Namen eines Wegs verewigt.
Zürich, für einen Sommer im Fokus der Weltgeschichte oder zumindest der Geschichte Europas, um nicht in den Verdacht des Eurozentrismus zu geraten. Wen interessiert das noch? Ein paar lokalgeschichtlich interessierte Sonntagswanderer wie wir. Grabe wo du stehst! Schliesslich ist der Züriberg unser neuer Hausberg geworden, eine 200 Meter Trainingsstrecke den Wald hoch zum Schlachtendenkmal und dann zum Gipfel: Escherhöhe, 675 Meter über Meer. Kleines Rätsel: Die Bronzetafel am Findling verrät nicht, nach welchem der verschiedenen berühmten Eschers die Höhe benannt sein soll: Naturforscher Hans Conrad Escher von der Linth (der übrigens während der Helvetik Kriegsminister war, also ganz gut in dieses militärhistorisch bedeutsame Gelände gehören würde), der Bankenkönig Alfred Escher (der wohnte auf der andern Seite der Stadt) oder der Geologe Arnold Escher?
Das martialische Gedicht am Schlachtendenkmal hilft auf die Spur: N.v.E ist es unterzeichnet und fordert: «Der Vater sagt’s dem Sohn, und dieser dann / Ermahnt den Enkel; Knabe: werde Mann!» Der Züriberg ist offenbar Dichterin Nanny von Escher (1855–1932) gewidmet, einem feinsinnigen Fräulein, Tochter eines Generals, das unter der Fuchtel ihrer Mutter in einem Chalet auf dem Albis lebte, schwärmerische Briefe und Gedichte verfasste und einen literarischen Salon führte. Längst vergessen, wie die tausenden von namenlosen Toten, deren Gebeine wohl noch unter den Wurzeln der Buchen und Birken modern.
Ob das vom Verschönerungsverein errichtete Schlachtendenkmal mit dem Gedicht des Fräulein Nanny den Ort tatsächlich verschönert, ist umstritten. Aber hässlicher als damals kann er nicht sein, denn die fremden Heere hatten alles kurz und klein geholzt und zerschossen, und was sie mit den Schwamendingern und Dübendorfern anstellten, daran man mag man nicht denken. «Der Feinde Heer verschlang der Kinder Brot» – schlimm, aber vielleicht noch lange nicht das Schlimmste.
Abstieg zur «Ziegelhütte» – wir wohnen jetzt standesgemäss auf der proletarischen Seite des Züribergs. Auch hier ist historischer Boden: 29. August 1841 demonstrieren 20 000 Mann aus dem ganzen Kanton bei der Ziegelhütte gegen die konservative Regierung, die sich zwei Jahre zuvor an die Macht geputscht hat. Die Cremeschnitten sind dick, aber leider nicht mehr ganz frisch. Wir verschlingen sie trotzdem.

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