Am 1. September 1824 wurde der Piz Russein, der höchste Glarner Berg, zum ersten Mal bestiegen. Für die Glarner von der falschen Seite, denn ihr Berg heisst Tödi.
Jedesmol, wenn i de Tödi aaluege
tänk i: E cheibe schöns Bild.
Und mängisch han i sogar s Gfühl,
das en d Wulche schtreichled,
will er so schön isch.
Chönntsch fascht yfersüchtig werde.
In diesem Jahr, und besonders am Sonntag, 1. September 2024, wird der 1954 in Brugg geborene Glarner Dichter Richard Knecht, vielleicht noch eine Spur eifersüchtiger geworden sein. Weil der Tödi nicht nur von Wolken gestreichelt wurde und wird, sondern auch von Texten, Gesängen, Veranstaltungen, Filmen usw. Denn vor 200 Jahren wurde der höchste Glarner Gipfel erstmals bestiegen. Allerdings nicht von der Glarner Seite her, sondern aus dem Bündnerland, wo der Gipfel Piz Russein (3612 m) heisst. Doch lassen wir den Initiator der Besteigung, den Disentiser Klosterbruder Placidus a Spescha, gleich selbst erzählen. Der Erstbesteiger des Rheinwaldhorns und des Oberalpstocks wollte unbedingt auch auf den höchsten Gipfel der Surselva; beim sechsten Mal klappte es, leider nicht für ihn, damals 71 Jahre alt:
«Den 1. des September 1824 wagte ich den noch nie erstiegenen Piz Russein zu ersteigen. Die Gemsjäger aber, die zur Mitersteigung bestellt waren, konnten nicht zeitlich genug versammelt werden, folglich musste das Nachtlager, welches unter dem Crap Glaruna hätte eingenommen werden sollen, um den Aufstieg zu verkürzen, bei der unteren Hütte der Alp Russein von Trons, wo das Vieh lagerte, eingenommen werden. Bei der oberen Hütte der Alp entschloss ich mich zu verbleiben; denn die Ersteigung des Bergs schien mir zu beschwerlich. Demnach schickte ich die Jäger: Placi Curschellas von Trons und Augustin Bisquolm von Disentis dahin und beobachtete ihre Hinreise. Wir – mit mir Carli Cagenard von Trons, mein Diener – sahen ihre Auf- und Abfahrt mit an. Nächst dem Fussglätscher westlich stiegen sie über die Mitte der Felsen des Bergs hin aus, lenkten zur Linken, um dessen westlichen beschneiten Rücken zu erreichen und so gelangten sie auf den Berggiebel um elf Uhr.»
Der Erstbesteigungstext von Placidus a Spescha ist abgedruckt in der neuen, vom Glarner Schriftsteller Perikles Monioudis herausgegebenen Publikation «Mein Tödi. Ein Lesebuch». Und zwar im ersten Beitrag des grossen Tödi-Kenners Emil Zopfi; er heisst «Die Speckschwarte auf dem Piz Russein – Die Erstbesteigung des Tödi, eine rätselhafte Geschichte». Weil die beiden Erstbesteiger auf dem verfirnten Gipfel des Tödi keine Steine zum Bau eines Steinmanns fanden, als Beweis ihrer Besteigung, vergruben sie eine Speckschwarte.
31 Beiträge hat Monioudis in sein Lesebuch aufgenommen, klassische wie von Karl Kraus und Meinrad Inglin, moderne wie von Vreni Stauffacher und Judith Arlt. Gleich anschliessend an Richard Knechts Gedicht «De Tödi» befasst sich der Glarner Claudio Landolt in seinem Originalbeitrag mit der «ChatGPTödi»; Ausschnitt:
Wer hat den Tödi eigentlich zuerst bestiegen?
– Die Erstbesteigung des Piz Tödi erfolgte am 8. August 1863 durch den Engländer Leslie Stephen und die Schweizer Führer Anton and Johann Gross. Die Gruppe erreichte den Gipfel über die Nordwestflanke des Berges.
Aber wenn wir dieses Jahr die 200-Jahre-Erstbesteigung feiern, müsste doch schon 1824 jemand den Tödi bestiegen haben, nicht?
– Es tut mir leid. Die Erstbesteigung des Piz Tödi fand tatsächlich am 19. August 1863 statt, nicht im Jahr 1824. Somit wäre die Feier zum 200-jährigen Jubiläum der Erstbesteigung im Jahr 2063 und nicht bereits im Jahr 2024.
Perikles Monioudis (Hrsg.): Mein Tödi. Ein Lesebuch. AS Verlag, Ziegelbrücke 2024. Fr. 29.90
Buchvernissage: Samstag, 21. September 2024, 16.00 Uhr, Linthkraft Stiftung an der Klausenstrasse 1 in Linthal. Apéro, Eintritt frei. Alle Veranstaltung und Hintergrundgeschichten zum Tödi-Jubiläum hier: https://glarnerland.ch/de/glarnerland/200-jahre-erstbesteigung-toedi.html
Bertilla Giossi von der Redactura Cuntrasts von Radiotelevisiun Svizra Rumantscha hat einen ganz starken, zweiteiligen Film zu 200 Jahre Erstbesteigung Tödi gemacht: